Helmut Lecher

Jassen im Dorfgasthaus in den Fünfzigern

September 2015

Meine Eltern betrieben mit dem „Gasthaus zur Taube“ – oder d’ Leachare, wie es im Volksmund genannt wurde – ein echtes, noch von meinen Urgroßeltern und Großeltern geerbtes Burowirtshus. Das Gastzimmer war mit fünf Tischen bestückt: zwei Vierertische, zwei Sechsertische und ein Achtertisch, also eine ideale Aufteilung zum Kartenspielen. Daneben gab es noch zwei separate Räume für Veranstaltungen und Vereine. Gelebt hat unsere Gastwirtschaft von etwa hundert Stammgästen, die mindestens einmal pro Woche kamen. Einige kamen sogar täglich.

Aber zurück zum Kartenspiel. Jassen war und ist das bevorzugte Kartenspiel der Dornbirner. Von den Südtirolern aus den nahe gelegenen Siedlungen Kehlerstraße und Nachbaurstraße wurde das Watten bevorzugt. Ich weiß über dieses Spiel nicht viel, nur dass zu viert, zwei gegen zwei, gewattet wurde. Die höchsten Karten waren der Belli (Schellensechser) und der Martel (Herzkönig). Das war ein Spiel, bei dem man nicht reden durfte und sich die notwendigen Informationen über Zucken der Mundwinkel oder Augenbrauen mitteilte.

Aber zurück zum Jassen. Bereits am Nachmittag fanden sich etwa 20 Pensionisten ein. Beliebt war bei denen ein Jass für sechs Personen mit sechs Karten, ohne wiiso. Der Abhub war Trumpf. Daher musste man die Karten ghörig mischla. Wenn einer zu langsam mischelte, sagten die andern: „Di schickt ma iotz ga auf an Mischlarkurs ge Oberbildsto.“

Uf füfe ab, das heißt auf fünf Striche, spielte man um 50 Groschen, das wären heute etwa 50 Cent. Die ersten beiden gewannen, dann gab es einen Schlüfar, und die beiden letzten zahlten. Das war für schmale Rentnereinkommen vertretbar: drei Stunden Jassvergnügen, zwei kleine Most um drei Schilling und ein Jassergewinn oder -verlust von maximal einem Schilling. Bei diesem Spiel konnte man, wenn es blöd lief, auch mit dem Bur (Trumpfunter) in den Sack (weniger als 21 Augen) gehen. Dann war ein Hallo am Tisch und man sang für den Pechvogel ein Lied, meistens „… nahm ich Abschied von der Lina, eh der Mond am Himmel stand“. Warum gerade dieses Lied, weiß ich bis heute nicht, aber beeindruckt hat es mich als kleinen Pimpf damals.

Am Abend kamen dann die Kreuzjasser und die Steigerer. Beim Kreuzjass, zwei gegen zwei, auf 78 zu 79 Augen, also ohne wiiso, spielte man pro Jassrunde uf füfe ab (fünf Siege) um einen halben Liter, den die Verlierer zahlen mussten, oder man spielte um zehn Schilling. Da konnten schon größere Summen zusammenkommen. Beim Wein konnten sich die Verlierer wenigstens schadlos halten und bei Spielpech „meh War dranio“, was bis Mitternacht oft zu einem kleineren Dämpfle führte. Dieser Jass war sehr emotional und laut. Die Partner beschimpften sich gegenseitig, wenn einer einmal einen Fehler machte, etwa die gegangenen Trümpfe nicht wusste und fälschlicherweise noch einmal nachtrumpfte, oder die falsche, vom Partner nicht angezeigte Farbe ausspielte.

Mein Onkel Karl, praktischer Arzt in Dornbirn, war ein leidenschaftlich schimpfender Kreuzjasser. Einmal hatte er den Walter als Jasspartner. Walter war beim Karl wegen beginnender Demenz in Behandlung. Als Walter beim Jass den ersten Fehler machte, schnauzte ihn Karl an: „Mit dir ischt as nümme, du kascht dor jo nünt meh mirko, mit dir ka ma numma jassa.“

In Erinnerung sind mir auch noch die Sprüche der Kreuzjasser zu den einzelnen Farben. Eichel: „Eichulia, das Banditenweib“. Herz: „Herz im Leib, hat jedes Weib“. Schellen: „Schellinsky war ein Pole, vom Scheitel bis zur Sohle“. Und Laub: „Laupheim bei Biberach“.
Beim Steigern ging es zwei gegen drei, wobei derjenige, der den Jass ersteigerte, sich von einem der vier anderen eine bestimmte Karte wünschen und tauschen durfte. Dann sagte er eine Karte an, und der, der diese hatte, musste dann mit dem Steigerer spielen. Die beiden mussten die ersteigerte Augenzahl erreichen, die andern tausend Augen. Im ersten Spiel ein Matsch (257 Augen) und ghörig wiiso war notwendig, sonst hatte der Steigerer keine Chance. Gespielt wurde um Geld, die Differenz am Schluss war für die Höhe ausschlaggebend, s’ Oug an Groscho.

Am Sonntagvormittag traf sich immer eine Sechserkreuzjassrunde – drei gegen drei, 78 zu 79 Augen. Bei dieser Runde waren die Teilnehmerplätze fix vergeben, und nur, wenn einer der Stammspieler einmal nicht da war, konnte ein neuer einspringen. Meistens übersahen die eifrigen Jasser, dass es schon nach zwölf Uhr war, und begannen noch einmal ein Spiel. Manchmal schickte eine erboste Gattin ihr Kind mit einem Löffel in die Wirtschaft, das dann sagen musste: „Papa, i bring dor do Löffel, d’ Suoppo stoht uf om Tisch und ischt am Arkalta.“

In unserem Gasthaus gab es auch viele Preisjassen. Jedes Jahr organisierte mein Vater eines für die Stammgäste. Dann benutzten viele Vereine unsere Wirtschaft für ihr öffentliches Preisjassen gegen Teilnahmegebühr. Legendär waren die Preisjassen von Admira Dornbirn und von Austria Lustenau mit tollen Hauptpreisen wie ein Auto oder ein Fernseher. Aber auch die Jahrgänger veranstalteten oft ihr Preisjassen in der Leachare. Jeder hatte einen verpackten Preis im Wert von mindestens zehn Schilling mitzubringen. Es wurden nach Auslosung der Teilnehmer zweimal acht Spiele in Viererpartien gejasst und dann eine Stichzahl gezogen. Wer am nächsten zur Stichzahl lag, hatte gewonnen und durfte als Erster aussuchen. Wer am weitesten weg war, bekam den Trostpreis. Oft war das ein Bachen Speck.

Jedes Jahr organisierte mein Vater für die Stammgäste auch einen Jasserausflug. Samstag und Sonntag fuhr man mit einem Bus ins Südtirol oder an den Comosee. Dort spendierte mein Vater abends dann ein paar Liter Wein und es gab ein zünftiges Fest, ausnahmsweise ganz ohne Jassen, denn das tat man wieder zu Hause.

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