Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Über Max Haller – Ein „Salonproletarier“ als Stadtrat

Dezember 2023

Warum widmete das Landesmuseum 1992 dem Kommunisten Haller eine Ausstellung?

Die Entscheidung, dass die KPÖ nach langer Pause aufgrund der kommunalpolitischen Erfolge in Graz und Salzburg wieder einmal bei den Nationalratswahlen 2024 – sie war ja seit 1959 nicht mehr im Nationalrat vertreten – antreten will, führt zur Frage, was es mit dem Kommunismus und insbesondere der KPÖ auf sich hat. Dabei kann man sich allerdings heillos verzetteln. Wer hat schon die Geschichte all der Links- und Rechtsabweichungen seit 1918 im Kopf, oder auch nur die seit 1945? Die Zahl der Dissidenten, die die KPÖ teils freiwillig, teils unfreiwillig verließen, ist Legende. Vielleicht ist es sinnvoll, sich einmal einer speziellen Facette dieser Geschichte anhand einer Persönlichkeit aus Vorarlberg zu widmen. Das Vorarlberger Landesmuseum (heute: vorarlberg museum) hat nicht viele Ausstellungen dem Feld der Politik gewidmet, schon gar nicht einzelnen Politikern. Abgesehen von Otto Ender (2018) hat das Landesmuseum nur einen einzigen Politiker mit einer Ausstellung gewürdigt: Max Haller (1895-1971). Das war im Jahr 1992, lange vor der Renaissance der KPÖ (Helmut Swozilek, Max Haller. Ein Internationaler – Literatur, Kunst, Politik, 1992). Warum?

Bregenz, Argentinien & retour
Eine Antwort bietet das abenteuerliche Leben Hallers. Der gebürtige Bregenzer, geboren 1895 als Sohn eines Fabrikarbeiters, ging 1914 nach einer Lehre bei Jenny & Schindler als technischer Zeichner nach Argentinien, damals das achtreichste Land der Welt. Während viele seiner Freunde im Krieg ums Leben kamen oder wie Rudolf Wacker erst nach vielen Jahren 1920 aus der Kriegsgefangenschaft in Sibirien zurückkehrten, lernte Haller die spanische Sprache, erarbeitete sich völlig neue Horizonte, lernte die südamerikanische Kultur kennen. Begeistert hörte er 1916 in Buenos Aires den noch jungen spanischen Philosophen Ortega y Gasset (1883-1955). Nach seiner Rückkehr war er ab 1920 als Techniker für Elektra Bregenz tätig, zog nach seiner Entlassung 1924 nach München, fand dann aber 1925 bei den Vorarlberger Illwerken eine Anstellung, anschließend 1928 in der Straßenbauleitung des Landes. 
1930 wurde er wieder arbeitslos, als seine Abteilung aufgelöst wurde. Er beschäftigte sich intensiv mit der Übersetzung von Schriftstellern aus dem Spanischen und er wurde – seiner Leidenschaft für die Kunst und der Freundschaft zu Rudolf Wacker geschuldet – 1929 Schriftführer und Kassier der Künstlervereinigung „Der Kreis – Maler und Bildhauer am Bodensee“ und blieb es bis 1938. Zu dieser Gruppe gehörten neben Wacker noch mehrere Künstler aus Vorarlberg, vor allem der Bildhauer Albert Bechtold. Über Wacker, Bechtold und Stephanie Hollenstein schrieb er einfühlsame Aufsätze, die zeigten, was ihm die Kunst bedeutete.
Ab 1934 war Haller Mitglied der Vaterländischen Front, der Einheitspartei des autoritären Regimes, für das Otto Ender als Minister diente und eine Verfassung ausarbeitete. Wie ist so eine Mitgliedschaft zu bewerten? Gewiss war es kein Herzensbekenntnis, viel eher ein pragmatisches Zugeständnis, wenn man sich Aussichten auf eine Anstellung oder Aufträge nicht völlig verbauen wollte, ein Schicksal, das er mit vielen Künstlern und Schriftstellern teilte. Auch Wacker, der sich noch Chancen auf eine Professur an der Wiener Akademie ausrechnete, war hier Mitglied. Waren die beiden begeisterte Anhänger oder auch nur Mitläufer des Austrofaschismus? Wohl kaum.
Erst 1938 fand Haller als Geschäftsführer der „Vbg. Kiesbaggerei u. Schotterwerke, Wocher & Co.“ wieder eine Anstellung und hatte noch im selben Jahr großes Glück, als er wegen angeblicher „kommunistischer Umtriebe“ nach einer Hausdurchsuchung von der Gestapo verhaftet und verhört wurde. Glücklicherweise wurde er wieder freigelassen. Nach Kriegsende 1945 war er genau 50 Jahre alt und einer der wenigen Intellektuellen Vorarlbergs, der politisch unbelastet war. Er wurde, ein wirklich rätselhafter Schritt, Mitglied der kommunistischen Partei. Für nicht ganz zwei Monate war er 1945 auch Mitglied des Provisorischen Landesausschusses, allerdings ohne Geschäftsbereich. In der Stadt Bregenz konnte Haller dagegen bis 1965 die KPÖ in der Stadtvertretung repräsentieren.

Wie kam Haller zum Kommunismus?
Wie konnte ein kluger Kopf, weltoffen und geistig alles andere als doktrinär, Mitglied und gar Politiker der KPÖ werden? Selbst wenn man sich dem geistigen Erbe von Marx und Engels verpflichtet fühlte und der Arbeiterbewegung angehörte oder mit ihr sympathisierte, konnte man nicht die Moskauer Schauprozesse und den Hitler-Stalin-Pakt ignorieren. Doch offenbar bot allein die Kommunistische Partei dem kultur- und kunstinteressierten Max Haller eine Bühne, auf der er seine politischen Interessen und kulturpolitischen Ambitionen am ehesten verwirklichen konnte. Dass wiederum die Kommunisten ihn akzeptierten, war auch nicht selbstverständlich, doch Haller konnte nicht nur Spanisch, sondern auch Englisch und Französisch. So jemand war brauchbar. Hatte er sich je mit dem Marxismus beschäftigt? Immerhin gibt es von Wacker in einem Brief von 1929 die Frage an Haller, ob er nicht von einem befreundeten russischen Maler „eine bestimmte Auskunft über praktische od. theoretische Dinge des Bolschewismus“ haben wolle. Und Wacker empfahl ihm auch, den Reiseschriftsteller Alfons Paquet zu besuchen, der „durch die Verhandlungen mit Lenin etc.“ bekannt war. Interesse war also vorhanden. Doch er hatte sich jedenfalls weniger für Georg Lukács, Rosa Luxemburg oder Karl Korsch begeistert, sondern viel mehr für Ortega y Gasset, den antinationalistischen spanischen Philosophen, berühmt für seine Zeitdiagnose „Der Aufstand der Massen“ (1931). Nach Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 ging Ortega als Mitunterzeichner eines Manifestes, das den Putsch der Militärs unter Führung von Franco verurteilte, ins Exil nach Frankreich und Argentinien und sollte erst 1948 zurückkehren. Zu Ortegas 50. Geburtstag veröffentliche Haller 1933 eine große Hommage in der renommierten „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ, 9.5.1933, S. 1-2). „Was Ortega unter ‚führender Minderheit‘, unter ‚Elite‘ versteht“, erklärte hier Haller, „ist keine Sonderklasse durch Geburt, Herkunft, Besitz oder ‚Bildung‘ ausnehmend Bevorrechteter. Es sind diejenigen, die härtere Anforderungen an sich selber stellen, die ihr Leben als Training auffassen, es sind die Asketen der Idee.“ Gewiss sah Haller ausgerechnet in den Kommunisten eine solche „Elite“. Wie eine spätere Rede über Lenin aus dem Jahr 1948 zeigt, hat er sich schon vor dem Russlandfeldzug 1941 den Kommunisten zugerechnet, zumindest nachträglich.

KP-Funktionär
Während er bei den anderen etablierten Parteien keine Chance gehabt hätte, ein Mandat zu erlangen, stand er bei der KPÖ unangefochten an der Spitze und konnte die Vorarlberger Kommunisten auch in den bundesweiten Parteigremien vertreten. Er selbst antwortete aber auf die Frage, warum er Kommunist geworden sei: „Ich habe bei meinen Aufenthalten in Südamerika“, sagte er einmal zu Eugen Leißing, „so viel soziale Ungerechtigkeit, Not und Elend erlebt, daß es für mich als letzte politische Konsequenz nur noch den Kommunismus gab“. Das muss man respektieren, auch wenn es kaum nachvollziehbar ist. Gab es nicht abseits der – bis ins Mark durch den Stalinismus korrumpierten – KPÖ Möglichkeiten, sich wirksam für soziale Gerechtigkeit einzusetzen? Die SPÖ in Vorarlberg war völlig zerstritten, die KPÖ nur eine kleine Splittergruppe von höchstens fünf- oder sechshundert Mitgliedern. Sie hatte vor ihrem Verbot 1933 kaum eine Rolle gespielt, war nun aber aufgrund ihrer Rolle im Widerstand eine der Parteien, die die Zweite Republik begründeten. Daher konnte man hoffen, hier etwas gestalten zu können. Und Max Haller hatte in Vorarlberg die Freiheit dazu. Ungeachtet seines Kunstgeschmacks, seiner Leidenschaft für moderne Literatur und Kunst, seines Atheismus, seiner für Vorarlberg unkonventionellen Lebensweise – seine Freundin und er waren zwar ein Paar, heirateten aber nicht – wurde er auch im konservativen Milieu Vorarlbergs nach 1945 durchaus geschätzt. Das christlichsoziale Vorarl­berger Volksblatt charakterisierte den „Landesleiter der Kommunistischen Partei in Vorarlberg“ liebevoll-ironisch als „Salonproletarier und (kapitalistischen) Mitbesitzer eines Schotterwerkes“ und lobte seine Wirtschaftskompetenz (Rot­häute auf dem Kriegspfad?, in: „Vor­arlberger Volksblatt“, 18.8.1949. S. 2). Wer kannte schon Hallers Rede über Lenin aus dem Jahr 1948? (Tageszeitung. Organ der Kommunistischen Partei Österreichs – Land Vor­arlberg 26.1.1948, S.3; das Typoskript der Rede befindet sich im Felder-Archiv). Hier wurde der 1924 verstorbene russische Revolutionär Gegenstand einer propagandistischen Bewunderungsprosa, er wurde als „Baumeister einer neuen Welt“ gepriesen, auch als Erwecker, als Pädagoge, als Organisator, als Willensmensch. Die Rede belegt immerhin eine Lektüre der fünf wichtigsten Texte Lenins und trug also zur Bildung bei. Aufhorchen konnte man bei Passagen, die man so hätte verstehen können, als ob die Nazis 1945 nicht von der Roten Armee unter der Führung Stalins, sondern von der „Klugheit der Partei Lenins“ besiegt worden wären. Der Abtrünnige Trotzki, der die Rote Armee organisiert hatte, aber längst von den Schergen Stalins liquidiert worden war, blieb unerwähnt. Dissident und selbstmörderischer Abweichler war Haller also nicht. Im Gegenteil: Er machte Reisen, 1952 in die Sowjetunion, 1954 zu einem Parteikongress nach Frankreich, er lernte Picasso kennen und durfte ihn fotografieren. In seiner eigenen Sammlung, die er einmal in Wien präsentierte, waren unter anderem Werke von Kokoschka, Picasso, Hans Arp und natürlich Wacker.

Der seltsame Stadtrat 
Warum hat die ÖVP in Bregenz Haller als Stadtrat ein Amt gegeben? Vielleicht anfangs aus taktischen Gründen, dann, weil er sich als durchaus fähig erwies und gleichzeitig kein politisches Gewicht hatte. Manche seiner unkonventionellen kommunalpolitischen Vorstellungen konnte er sogar durchsetzen, beileibe nicht alle. Immerhin waren 1946 von 72 zerstörten Häusern in Bregenz schon 30 zum Wiederaufbau genehmigt, zwölf weitere wurden behandelt. Das von Haller bis 1947 geleitete Ressort für Bauwesen und Stadtplanung hatte dabei „generelle Richtlinien“ vorgegeben, die eine „gewisse Einheitlichkeit“ betreffend Höhe der Trauflinien, Fassadengestaltung und Dachform zu erreichen versuchte. „Diese Einheitlichkeit“, meinte Haller, „soll in keiner Weise Uniformierung bedeuten, sondern nur zu einem ruhigen Charakter des Gesamtbildes beitragen“. („Empfangsraum Bregenz“. Neugestaltung einer verbauten Stadt, 1946). Außerdem versuchte er den Innenstadtverkehr zu regulieren. Unrealisiert blieb etwa die geforderte „Verlegung der Eisenbahn“ in einen Tunnel durch den Pfänder. Er wollte unbedingt das Seeufer von der Bahntrasse befreien und war überhaupt einer von jenen, die sich frühzeitig für den Schutz des österreichischen Bodenseeufers einsetzten und dessen Verbauung zu verhindern versuchten. Bis 1965 blieb er Mitglied der Stadtvertretung. 
Obwohl er ab 1951 für das „Wiener Tagebuch“ schrieb, eine KP-finanzierte Zeitschrift, die sich angesichts der so­wjetischen Machtdemonstrationen 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei zunehmend von der moskautreuen Linie der KPÖ entfernte, blieb er in der Partei und bis 1969 sogar im Zentralkomitee. Haller selbst hoffte auf eine Demokratisierung der kommunistischen Politik, wie er einem Freund anvertraute. Doch es ist schwer zu glauben, dass er so naiv war. Wahrscheinlich war er es auch nicht. Soweit wir wissen, ist er aber nie zum Dissidenten geworden. Vielleicht ist er nicht alt genug geworden. Er starb 1971 im Alter von 76 in Bregenz. In seinem Todesjahr widmete er „dem Andenken an meinen Freund Rudolf Wacker als ein Vermächtnis“ eine große Ausstellung in Lustenau und ein schönes Buch. Letztlich war für Helmut Swozilek Hallers Leidenschaft für die Kunst Grund genug, 20 Jahre später auch ihm eine Ausstellung und ein Buch zu widmen.

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