Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Vintage Vorarlberg - Hip oder Anachronismus?

Oktober 2016

Unterwegs. Das Wetter: kalt. Passanten hasten an Schaufenstern vorüber, die Mantelkrägen hochgestellt. Die Kälte hat keine Chance. Zumindest nicht von oben. Und unten? Sneakers, Pumps, Halbschuhe. Das fühlt sich nicht gut an. Und da stechen uns fellbesetzte Stiefel mit robusten Holzsohlen ins Auge: Devich Holzschuhe aus dem Bregenzerwald, die ihren Siegeszug angetreten haben.

Holzschuhe – hip oder anachronistisch? Beides, meinen wir. Einerseits geht die Tradition der „Hölzler“ auf ein altes Handwerk zurück, das schon viele Landwirte trockenen Fußes durch Hof und Stall geführt hat.

Das ist die Geschichte. Die zündende Idee ist eine andere: die Veredelung des Produkt. Wie bekannte Vorarlberger Brenner ihre Schnäpse zu veredeln pflegen, so verfuhren die Devichs mit ihrem Produkt. Sie entrissen die „Hölzler“ dem landwirtschaftlichen Kontext und setzten sie in einen urbanen Konnex. Und siehe da – es funktioniert. Bereits in vierter Generation fertigt Daniel Devich Holzschuhe in Hittisau.

Tourismus – mehr als 4 Sterne

Weitere Beispiel gefällig? Sich auf dem See von der weißen Flotte nach Meersburg bringen zu lassen, hat besondere Qualität. Und wer sich lieber in der ersten Etage bewegt, bedient sich der Pfänderbahn, die seit 1927 die Landeshauptstadt mit ihrem Hausberg verbindet. Oder die Volksbank, die den Genossenschaftsgedanken mit dessen Nachhaltigkeit zum Programm macht.

Trotz – oder wegen – dieser Tradition erweisen sich Vorarlbergs Unternehmen als modern und den Erfordernissen der Zeit angepasst. Doch es sind nicht nur die Großen, die das Land Vorarlberg so stark machen. Es sind kleine und mittelständische Betriebe, die den Wert ihrer Produkte, Dienstleistungen und Ideen erkannt und ins Heute transportiert haben. Und damit erfolgreich sind.

Das Romantikhotel Schiff in Hittisau profiliert sich durch den Innovationswillen der Familie Metzler. Die Käsestraße, deren Senner den Vorarlberger Käse produzieren, die Designerin Susanne Bell aus Hohenems, deren Handwerk durch besondere Schnitte und Stoffe besticht, sie alle verbindet eines: die Liebe zu ihrer Profession. Was liegt also näher als diese Menschen in ein Boot zu holen und mit ihnen über ihre Leidenschaft zu sprechen. Es einfach nur Freude oder Passion zu nennen, wird dieser Unternehmung aber keineswegs gerecht. Es steckt viel mehr dahinter.

Vintage Vorarlberg – vom Gestern übers Heute zum Morgen

Vintage Vorarlberg ist eine Idee, die Altes, Wertiges aufnimmt und so in die Neuzeit transportiert, dass es im Alltag funktioniert, ja noch viel mehr: Es verbessert ihn. Wie sonst ist zu erklären, dass das Unternehmen eko-lifestyle in Sulz, das Spaghetti-Sessel produzierte, die uns in unserer Jugend nach dem Genuss einer Diezano im Gasthaus unvergleichliche Muster auf unsere nackten Oberschenkel „tätowierten“, heute als Vertrieb für Topmarken im Outdoor-Bereich floriert. Oder die Reparaturtischlerei Zandler, deren Inhaber sich den 1950er-Jahren verschrieben haben und die lieber die Fenster von Pensionisten reparieren, als auf Gedeih und Verderb alles zu erneuern.

Vintage ist ein Begriff, der sehr vielschichtig ist. Vintage und Retro konkurrenzieren sich, wobei das eine für Echtes steht, während das andere vielfach nur Modeerscheinung ist. Wir haben uns mit Menschen, die es wissen müssen, unterhalten. Die

Gemeinsamkeit: Vintage ist etwas genuin Altes, das sich in die heutige Zeit gerettet hat, ohne an Bedeutung zu verlieren.
Bisweilen hat sich der Verwendungs- oder Bedeutungskontext aber geändert: Aus reinen Gebrauchsschuhen, die in der Landwirtschaft verwendet wurden, entsprang wie Phönix aus der Asche ein Modeartikel. Andere haben ihre Produktion dahingehend geändert, dass sie sich den Bedürfnissen der heutigen Welt angepasst haben. Geblieben ist das Handwerk.

Nachhaltigkeit und Wertschätzung

Für alle bedeutet Vintage aber auch eines: weg von einer Wegwerfgesellschaft, hin zu einer Welt, in der Werte noch wertig sind.

Zeitlose Ästhetik, ausgefeilter Geschmack und altes Know-how ergeben den unverwechselbaren Charme eines eigenen Vorarlberger Vintage-Begriffs, der unser Land weit über seine Grenzen hinaus bekannt gemacht hat. Nicht umsonst steht Vorarlberg zum einen für das Bewahren der eigenen Traditionen, zum anderen für das Finden neuer Wege und Ideen, auf denen Tradition nie zu kurz kommt. Denn Vorarlberger sind offensichtlich ein gar pragmatisch Völkchen: Wozu das Rad neu erfinden, wenn es schon funktioniert? Das ist ein Ansatz, der Menschen in unserer Region Zeit und Muße gibt, das, was bereits gut funktioniert, zu verbessern und damit einen erneuten Mehrwert zu stiften.

Bei Vintage Vorarlberg geht es nicht allein um eine Dienstleistungs- und Produktwelt, vielmehr steht eine pflegliche, weil nachhaltige Behandlung der Umwelt und ihrer Ressourcen im Mittelpunkt. Wie interessant ein Come-Together von Wirtschaftstreibenden, Museumsfachleuten, Autodidakten und ambitionierten Fotografen sein kann, beweist das im November erscheinende Buch „Vintage Vorarlberg – Von der Idee zum Kult“.

„Vintage Vorarlberg – Von der Idee zum Kult“

Der Autor und sein Team haben auf der (Unternehmens-)Landkarte Vorarlbergs 20 Unternehmen ausgesucht. In Interviews sind sie den Wurzeln und dem Vintage-Gedanken dieser Unternehmen auf den Grund gegangen. Herausgekommen ist ein Buch, das auf 300 Seiten die spannenden Geschichten dieser erfolgreichen Betriebe nachzeichnet und aufzeigt, was sie so erfolgreich macht. Zwei Gespräche mit Andreas Rudigier (Direktor Vorarlberg Museum) und Hanno Loewy (Direktor Jüdisches Museum) runden den Praxisbezug ab.

Holzschuhe aus dem Bregenzerwald, Gastronomie mit einer Haubenköchin der ersten Stunde, ein Tischler, der sich aufs Reparieren spezialisiert hat. Eine Bank, die den Genossenschaftsgedanken pflegt. Dazu ein Architekt, der seinen Oldtimer benutzt, als ob er neu wäre, und ein Baumliebhaber, der sein gutgehendes Unternehmen verkauft, um sich seiner Leidenschaft zu widmen. Ein kleines Team, das dem Phänomen Vintage auf der Spur ist, zwängt sich samt Equipment standesgemäß in einen Mini Cooper S und bereist das Land, immer auf der Suche nach besonderen Menschen. Fotos und Text werden eins.

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