Herbert Motter

Die Vorarlberger Wirtshauskultur im Wandel

April 2024

Tirol hat es 2019 getan, die Steiermark und unser Nachbar Bayern auch, Niederösterreich vor gut einem Jahr. Jetzt setzt auch Vorarlberg Akzente gegen den weiteren Nieder­gang der Dorfgasthaus-Kultur. Bis in den Sommer soll ein Maßnahmen- und Förderprogramm vorliegen.

Die traditionelle Wirtshauskultur bröckelt. Schon seit Jahrzehnten werden die klassischen Wirtschaften weniger, Dorfgemeinschaften verlieren ihren Mittelpunkt; das verschärfte sich schon lange vor Corona dramatisch. Stichworte sind Bürokratie, Personalmangel oder verändertes Freizeitverhalten. Doch die Fakten sprechen auf den ersten Blick eine andere Sprache. Aber eben nur auf den ersten.
Trotz der österreichweiten Zunahme von Gastronomieunternehmen – Restaurants/Gaststätten, Catering, Bars, Kaffeehäuser sowie Betriebe mit Ausschank von Getränken – sinkt die Zahl der klassischen Wirtshäuser beziehungsweise Dorfwirtschaften. 1978 gab es in Österreich noch 15.000 Gasthäuser, 2016 waren es nur noch 8500 – Tendenz weiter sinkend. 2023 verfügte Vorarlberg laut Statistik der Wirtschaftskammer über 1603 gastgewerbliche Berechtigungen, die die Verabreichung von Speisen und den Ausschank von Getränken zum Gegenstand haben. Klassische Gasthäuser waren 143 gelistet, Restaurants 359. Fünf Jahre zuvor, 2018, waren es insgesamt 1619 „Gastro“-Betriebe, davon 191 klassische Dorfgasthäuser. Die Gründe für das Verschwinden der dörflichen Wirtshäuser sind vielfältig.
Da wären zum einen die gestiegenen Kosten. In vielen Gemeinden sind die Mieten hoch, die Lohnkosten der Mitarbeiter steigen jedes Jahr. Dazu kommen hohe Investitionen, um den Bedürfnissen der Gäste gerecht zu werden: Barrierefreiheit, moderne Küchenausstattung, hochwertige, regionale Lebensmittel und ausreichend Parkmöglichkeiten.
Das gesellschaftliche Problem der steigenden Landflucht spielt ebenso eine Rolle. Viele Menschen arbeiten in der Stadt, leben aber auf dem Land. Diese Menschen haben ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr in den Dörfern, ihnen fehlt der Bezug zu den ortsansässigen Gasthäusern und Vereinen. Trotz Zunahme der Beschäftigten – sie stieg in der Vorarlberger Gastronomie von 2010 bis 2021 von 3933 auf 4610 Personen (+17,2 Prozent) – gehört der Personalmangel zu den aktuell größten Herausforderungen der Gastronomie, ebenso wie der demographische Wandel, sich verändernde Gästeanforderungen und Essverhalten, eine fehlende Differenzierung von der Konkurrenz und Probleme bei der Übernahme von Betrieben. Damit spiegeln die Probleme der dörflichen Wirtshauskultur einen Prozess wider, hinter dem sich ein Wandel, eine Erneuerung, eine Anpassung der Wirtshauskultur an die veränderten Lebensbedingungen der Menschen und ihrer Bedürfnisse im 21. Jahrhundert verbirgt.

Initiativen auf Bundesländerebene
Niederösterreich nahm sich vergangenes Jahr Tirol zum Vorbild. Seit 2019 gibt es dort neben einer Investitionsförderung für Tiroler Wirtshäuser auch die sogenannte Wirtshausprämie. Bis zu 20.000 Euro können Gastronomen vom Land bekommen, sollten sie ein Wirtshaus übernehmen oder neu eröffnen wollen und die Verpflegungssituation in der Gemeinde „ernsthaft gefährdet“ sein. Ob damit das Ende des Wirthauses aufgehalten werden kann, bleibt fraglich, zumal in Tirol laut „profil“-Recherchen seit Einführung der Wirtshausprämie nur sieben Betriebe mit insgesamt 70.000 Euro gefördert wurden.
Mit Programmen wie „Vorarlberg isst“ und der Arbeitgebermarke „Top Tourismus Jobs“ wurden auch bei uns in jüngerer Vergangenheit versucht, erste Akzente für eine Stärkung der heimischen Gastronomie zu setzen. „Es geht um die Hingabe zur kulinarischen Vielfalt und Küche Vorarlbergs, in Richtung saisonale, nachhaltige und traditionelle österreichische sowie Vorarlberger Küche, aber auch mit dem zeitgemäßen, kreativen und modernen Input der Küchenchefs“, schlägt Gastro-Fachgruppenobmann Mike P. Pansi vor. 
Es gäbe verschiedene Maßnahmen, die ergriffen werden können, um das Wirtshaussterben in Österreich zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Eine Möglichkeit sieht Pansi darin, die Betriebskosten für Wirtshäuser zu senken. „Dazu könnten Steuererleichterungen – etwa Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen nach dem deutschen Vorbild – oder spezielle Förderungen für Wirtshausbesitzer beitragen. Eine weitere Möglichkeit ist, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Wirtshäusern zu erhöhen. Auch neue Konzepte müssen angedacht werden“, sagt der Obmann der Vorarlberger Gastronomie. So gibt es zum Beispiel Überlegungen, Wirtshäuser stärker als Treffpunkte für die lokale Gemeinschaft zu positionieren. Durch die Organisation von Veranstaltungen, wie Quiz- oder Spieleabende, wird das Wirtshaus zu einem Ort, an dem sich Menschen gerne aufhalten und austauschen. Auch die Möglichkeit, das Wirtshaus als Coworking-Space zu nutzen, gehöre diskutiert. Pansi plädiert auch für lokale Gemeinschaftsinitiativen, die sich aktiv für den Erhalt und die Förderung der Wirtshäuser einsetzen. Mehr Mut, Angebote zu diversifizieren, Partnerschaften mit lokalen Bauern und Produzenten oder die Integration in lokale touristische Routen gehören auch dazu. Letztlich könnten Marketingkampagnen, um Wirthäuser als touristische Attraktionen und Markenzeichen lokaler Authentizität hervorzuheben, ebenso dienlich sein wie die Nutzung digitaler Technologien.

Neues Maßnahmenpaket für Vorarlberg
Mit der Initiative „Unser Dorfwirt – Wirtshauspakt für Vorarlberg“ soll nun ein weiteres Maßnahmenpaket dazukommen. Nach einer Analyse von bestehenden Instrumenten und Möglichkeiten steht als nächster Schritt eine Umfrage unter Gastronomiebetrieben an. Auf Grundlage dieser beiden Komponenten werden zielgerichtete Maßnahmen ausgearbeitet, die die Bereiche Gründung und Übernahme, Modernisierung und Attraktivierung sowie Beratung abdecken sollen.
Für Landesrat Christian Gantner steht die Bedeutung von Dorfgasthäusern außer Frage: „Das Gasthaus ist die Seele einer Gemeinde. Denn gerade das Wirtshaus mitten im Dorf steht für vieles, was uns ausmacht: Vorarlberg ist ein Land der Gastfreundschaft und des Genusses. Wirtshäuser sind soziale Treffpunkte und Kulturräume. Das wollen wir stärken.“
Auch Fachgruppenobmann Pansi stellt klar: „Die Gastronomie ist mehr als nur Essen und Trinken. Sinkt die Zahl der Wirtshäuser, so hat das kulturelle wie auch wirtschaftliche Auswirkungen.“ Einerseits als Träger von Tradition und (Dorf-)Geschichte, andererseits als Arbeitgeber und Anker für den Tourismus sind die Funktionen von Dorfgasthäusern vielfältig.
Land und Wirtschaftskammer wollen das finale Maßnahmen- und Förderprogramm noch vor dem Sommer vorstellen.

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