Brigitte Eggler-Bargehr

Direktorin des Landes-Rechnungshofs Vorarlberg

Die vergessene Tugend der Skepsis

September 2015

Nicht schon wieder die Griechen!“, werden Sie vielleicht denken. Und doch will ich an deren sprachliches Erbe anknüpfen, das so oft missverstanden wird. Das griechische Wort „Skepsis“ genießt keinen guten Ruf. Je unsicherer die Zeiten, desto eher beherrschen Macher die Szene, die ohne Zweifel und Zögern Besserung versprechen. Das Überzeugungsvermögen bestimmt vielfach den Erfolg einer Führungsperson in Politik und Wirtschaft. Skepsis wird oft mit einer negativen Grundhaltung wie Misstrauen und Zaudern gleichgesetzt. Dabei bezeichnet „Skepsis“ das präzise Hinsehen, die sorgfältige Untersuchung und die Prüfung der gewonnenen Erkenntnis. Sie ist kein Feind alles Neuen, wohl aber ein Inne-Halten und Nach-Denken. Skepsis beinhaltet einen offenen Ausgang. Somit kann etwas positiv oder negativ gewürdigt werden. Eine getroffene Entscheidung oder ein rechtlicher Standpunkt muss überprüft und womöglich angepasst werden. Veränderungen sind erlaubt und notwendig. Zur Bewältigung der Herausforderungen in der öffentlichen Verwaltung – steigender Haushaltsdruck, Demografie, Migration oder auch Digitalisierung – können die Kultur des skeptischen Hinterfragens und Zeit für methodisches Neu-Denken einen wesentlichen Beitrag leisten. Es ist zen­trale Aufgabe des Landes-Rechnungshofs, Kontrolle auszuüben, indem er Überzeugungen nicht einfach übernimmt, Wesentliches um- und aufrührt, mutig neue Sichtweisen einbringt und im Kontext zukünftiger Herausforderungen bewertet. Die Bedeutung eines unabhängigen – skeptischen – Landes-Rechnungshofs ist damit heute aktueller denn je. Und vielleicht besinnen sich ja auch die Griechen wieder ihrer alten Tugend …