Walter Osztovics

Kollege Roboter vom Nachbarbüro

März 2016

Eine Studie wirft einen Blick auf die Arbeitswelt der Zukunft und entdeckt dort virtuelle Fabriken, denkende Roboter und Big-Data-Technologien. Wer dort erfolgreich sein will, muss gut ausgebildet und flexibel sein und sich vor ständig drohender Selbstausbeutung schützen.

BigDelta ist nichts anderes als ein Drucker. Aber einer, der zwölf Meter hoch aufragt, seine Druckerpatrone wird mit Mörtel und Ton gefüllt, und was er ausdruckt, sind ganze Häuser. Noch existiert die Konstruktion des italienischen Designers Massimo Moretti nur als Prototyp, der holländische 3-D-Printer MX3D steht dagegen schon im Einsatz: Seine Druckerdüse spritzt 1500 Grad heißes Metall in die Luft, wo es sofort härtet; er kann auf diese Weise Metallkonstruktionen in jeder beliebigen Form erzeugen. Nächstes Jahr wird MX3D eine Brücke über eine Amsterdamer Gracht bauen, vollautomatisch, gesteuert von einem ganz normalen Laptop.

3-D-Printer sind eine je jener technischen Innovationen, die in den nächsten Jahren die gesamte Arbeitswelt auf den Kopf stellen werden. Zu diesem Ergebnis kommt die Arena Analyse 2016, eine Studie, die vom Wiener Beratungsunternehmen Kovar & Partners in Zusammenarbeit mit der „Zeit“ und der Tageszeitung „Der Standard“ erstellt wurde. Die aktuelle Ausgabe der jährlich durchgeführten, auf Expertenbefragungen beruhenden Arena Analyse widmet sich gezielt der Frage nach der Arbeitswelt von morgen; insgesamt wurden dafür Tiefeninterviews und schriftliche Beiträge von 58 Expertinnen und Experten ausgewertet.

Automatisierung und Digitalisierung sind die Treiber der Revolution, die längst schon stattfindet, deren Auswirkungen aber in den nächsten Jahren so richtig sichtbar werden. Die Automatisierung bewirkt, dass immer mehr menschliche Tätigkeiten von Robotern oder Algorithmen übernommen werden. Durch die Digitalisierung wandert sozusagen das gesamte Wirtschaftsleben ins Internet.

Das hat weitreichende Folgen, zum Beispiel für die Indus­trieproduktion, die möglicherweise künftig so ähnlich ablaufen wird wie heute die Entstehung eines großen Kinofilms: Die Industriellen sind gleichsam Producer, die im Wesentlichen nur die Rechte auf eine Produktidee besitzen. Ihre Fabrik existiert nur als virtuelles Gebilde, als Organisation von Spezialisten, die über die ganze Welt verstreut sitzen und für die jeweilige Produktion engagiert werden, wie die Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler, Maskenbildner und sonstigen Akteure beim Film. Dank Internet können die Techniker und Produktdesigner, die Software-Entwickler und Ingenieure vernetzt zusammenarbeiten, ohne sich je physisch zu treffen; das Gleiche gilt für das Marketing- und Verkaufsteam und die Funding-Spezia­listen, die das Geld auftreiben. Nicht einmal für das Herstellen des Endprodukts braucht dieses Industrieunternehmen eine reale Produktionsstätte, denn dafür gibt es ja, siehe oben, demnächst 3-D-Drucker, die irgendwo bei Partnerbetrieben stehen, vielleicht im Hinterzimmer eines Cafés oder in der Lagerhalle eines Textilshops. Die Käufer erwerben lediglich einen Code und drucken sich ihre Ware selber aus.

Und was wird aus den Arbeitern und Angestellten in einer solchen Welt? Die sitzen jedenfalls vor dem Computer, falls sie ihren Job überhaupt behalten. Eine Reihe von Studien hat in den letzten Jahren errechnet, dass ein Drittel oder gar die Hälfte aller derzeit bestehenden Jobs schon bald überflüssig sein werden, weil Maschinen diese Arbeit übernehmen – die berühmteste dieser Vorhersagen aus dem Jahr 2013 stammt von zwei Oxford-Professoren, Benedikt Frey und Michael A. Osborne. So wird es aber nicht kommen, sind die Experten der Arena Analyse überzeugt, tatsächlich werden wohl nur wenige Berufe zur Gänze durch Automaten ersetzt werden. Umgekehrt aber wird es kaum einen Beruf geben, in den nicht Computer und Roboter Einzug halten und den Menschen Teile der Tätigkeiten abnehmen werden. Praktisch überall wird das gewohnte Tätigkeitsfeld völlig verändert, den Beschäftigten werden neue, erhöhte Qualifikationen abgefordert.

Wenn sich zum Beispiel die bereits serienreifen vollautomatischen Lkw durchsetzen, werden die Fahrer deshalb nicht unbedingt arbeitslos. Sie sitzen nur nicht mehr am Steuer, sondern daneben in einer Kabine oder daheim in der Zentrale, wo sie am Bildschirm Koordinations- und Kontrollaufgaben erledigen, und vielleicht wird man sie „Transportmanager“ nennen statt „Chauffeur“. Dafür müssen sie natürlich einiges an Weiterbildung erledigen, um Schritt halten zu können, so wie schon heute in immer mehr Berufen, die früher als niedrig qualifiziert galten, recht umfangreiche IT-Fähigkeiten verlangt werden: Verkäuferinnen blättern mit ihren Kundinnen im Tablet-Computer, Lagerarbeiter müssen Roboter überwachen, selbst Bauhilfsarbeiter müssen mit immer smarteren Maschinen umgehen können. Auf die Berufsausbildung und vor allem die Weiterbildung kommen also enorme Herausforderungen zu.

Das Internet macht nicht nur jeden Ort der Welt zum Büro, es wird auch selbst zum Wirtschaftsfaktor, nämlich durch die kommerzielle Verwertung der dort billionenfach anfallenden Datensätze. „Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ lautet eine der Feststellungen der Arena Analyse. Tatsächlich stehen wir bei der Nutzung von Big Data noch in den ersten Anfängen – und schon jetzt sind die Auswirkungen auf Marketing und Handel enorm. In Zukunft wird vielleicht die herkömmliche Marktforschung durch das Auswerten von Google-Suchan­fragen und „Likes“ auf Facebook ersetzt. Über jedes normale Smartphone, lässt sich auswerten, wo sich der Besitzer – falls dieser nicht zur winzigen Minderheit jener gehört, die den Ortungsdienst aktiv abschalten – aufhält, vor welchem Schaufenster er länger stehen geblieben ist, wie lange er beim Mittagessen saß. Die Datenflut wird sich noch vermehren, wenn die sogenannten Wearables allgemeine Verbreitung finden, also Minicomputer in Armbändern, Manschetten oder Brillen. Die können nämlich medizinische Daten über ihre User liefern – Puls, Blutdruck, wie viele Schritte sie an diesem Tag schon getan haben. Auch automatische Blutanalysen wären technisch kein Problem und könnten zur Online-Dauer-Medizinbetreuung führen.

Theoretisch könnte der oben erwähnte Transportmanager seinen Job auch zu Hause vor dem Laptop erledigen. Eine wesentliche Folge der Digitalisierung besteht nämlich darin, dass sie unsere Arbeitsleistung vollständig von Raum und Zeit entkoppelt. Diese Entwicklung ist schon heute deutlich sichtbar: Wir müssen nicht unbedingt im Büro sitzen, um zu arbeiten, mit Tablets, Laptop und WLAN kann buchstäblich jeder Ort zum Büro werden. Irgendwie nehmen wir es auch hin, dass wir dringende Mails beantworten, obwohl es Abend oder Wochenende ist. Und es ist jederzeit möglich, Teams zu bilden, die im selben Projekt eng zusammenarbeiten, obwohl einer von ihnen in Wien, einer in São Paulo und einer in Istanbul sitzt.

Die Unternehmen der Zukunft werden also durchaus weiterhin Arbeitskräfte brauchen – aber die könnten erstens überwiegend freiberufliche Heimarbeiter sein und zweitens mehr oder weniger aus der ganzen Welt kommen. Die Menschen haben dann zwar Arbeit, aber keine fixen Jobs mehr, sondern leben in einer erzwungenen Scheinselbstständigkeit, tingeln von einem Projekt zum nächsten und stehen dabei mit anderen unfreiwilligen Freiberuflern auf der ganzen Welt in Konkurrenz, die genau wie sie ihre Fähigkeiten über Web-Plattformen vermarkten müssen. Im englischen Sprachgebrauch wurde für eine derart gestaltete Arbeitswelt bereits der Begriff „Gig Economy“ geprägt. „Gigs“ nennen Musiker ihre kurzzeitigen Engagements. In der Gig Economy wird die prekäre Unsicherheit, die seit jeher das Künstlerleben prägt, zum Normalfall für jedermann. Manche werden in einem solchen Umfeld von der Vielfalt der Möglichkeiten profitieren, andere rutschen in eine Spirale aus Abhängigkeit und Selbstausbeutung.

Die Sozialpolitik hat noch keine Antworten auf diese Herausforderungen, sie hat weitgehend noch nicht einmal das Problem erkannt. Es wird nicht möglich sein, meinen die Experten der Arena Analyse, die neuen virtuellen Arbeitsformen einfach zu unterbinden. Umgekehrt ist es politisch auch nicht akzeptabel, dass das Prekariat zum Normalfall wird – hier werden in Zukunft mutige politische Lösungen gefragt sein – nicht nur für das Problem der prekäre Arbeitsverhältnisse in der Gig-Economy: Auch sonst wird es, wie immer bei großen Umbrüchen, Gewinner und Verlierer geben. Menschen mit einem geschickten Hang zur Selbstvermarktung, die eine der gerade gefragten Fähigkeiten mitbringen und es verstehen, sich virtuell gut zu vernetzen, werden ohne Zweifel von den grenzenlosen Möglichkeiten des weltweiten virtuellen Arbeitsmarkts profitieren. Doch wird es auch Gruppen geben, die mit den steigenden Anforderungen nicht Schritt halten können. Eine Folge der technologischen Revolution besteht ja darin, dass die Anforderungen an die Qualifikation auf allen Ebenen steigen. Niedrig qualifizierte Jobs wird es immer weniger geben. Schon jetzt ist die mangelnde Qualifikation der Grund dafür, warum Österreich 400.000 Arbeitslose hat und gleichzeitig 30.000 bis 40.000 Jobs mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt werden können.

In Zukunft könnte aus dieser Schere mehr werden als nur ein Arbeitsmarktproblem. Wir müssen uns ernsthaft fragen, so eine Schlussfolgerung der Arena Analyse, wie eine Gesellschaft organisiert werden kann, in der ein nennenswerter Teil der Bevölkerung auf Dauer nicht in den Arbeitsprozess eingegliedert werden kann. Mögliche Lösungen klingen einstweilen noch utopisch, zum Beispiel eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 25 Wochenstunden, oder eine sehr hohe Grundsicherung, die keine Sozialhilfe darstellt, sondern ein echtes „Einkommen ohne Arbeit“. Denkbar wäre auch die Schaffung eines sogenannten Zweiten Arbeitsmarkts, wo subventionierte Unternehmen gesellschaftlich wünschenswerte, aber nicht markttaugliche Dienstleistungen erbringen, zum Beispiel in der Pflege oder in der Kinderbetreuung.

Wer sich die Frage stellt, wie er seine eigenen Kinder davor bewahren kann, später zur Gruppe der Verlierer zu gehören, landet unweigerlich bei der Bildung. Für die Zukunft gewappnet sind jene, die eine hohe Qualifikation mitbringen, die aber nicht von vornherein allzu spezialisiert sein soll. Denn die Absolventen von heute müssen davon ausgehen, dass sie ein oder zwei Mal in ihrem Berufsleben umlernen werden müssen. Die klassische Abfolge Schule – berufliche Ausbildung – Erwerbstätigkeit – Ruhestand wird es nicht mehr geben, sie ist schon heute nicht mehr wirklich der Normalfall. Sich selbst mehrmals beruflich neu zu erfinden wird die Regel sein. Auch daraus ergibt sich eine gewaltige Herausforderung für die Politik, denn wir müssen Systeme der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens schaffen, die es auch einem Fünfzigjährigen ermöglichen, noch einmal einen neuen Beruf zu erlernen, den er dann bis 75 ausübt. Wir müssen die Durchlässigkeit zwischen den Berufsbildern erhöhen – derzeit hätte ein 45-jähriger Physikprofessor, der Tischler oder Bäcker werden will, kaum Chancen, das unter zumutbaren Bedingungen zu schaffen.

Doch so dramatisch diese Herausforderungen auch klingen mögen: Tatsächlich verspricht die digitale, vollautomatisierte Arbeitswelt der Zukunft auch eine Menge Gutes. Immerhin dürfen wir uns anscheinend darauf freuen, dass – wie schon bei der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert – viele anstrengende und langweilige Routinearbeiten von Maschinen übernommen werden. Wir könnten viel an Freizeit und Selbstbestimmung gewinnen, wenn wir es schaffen, dass die Vorteile der Flexibilität und die Zunahme der Möglichkeiten nicht durch die Nachteile aufgewogen werden. Das Rezept für Erfolg in der neuen Welt ist jedenfalls das Gleiche wie schon in der alten: Bildung, die Bereitschaft zur Weiterbildung und der Wille, sich selber immer weiterzuentwickeln und dabei auf eine Basis von solidem Wissen zu bauen.

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