Florian Wakolbinger

Wie kalt wird die Progression nach der Steuerreform?

Mai 2015

Paradoxerweise hat ausgerechnet der „kalte“ Teil der Progression die Diskussion der von der Regierung geplanten Steuerreform deutlich hitziger werden lassen. Dieser Artikel versucht zu erörtern, warum das so ist: Was ist die kalte Progression überhaupt, wodurch wird sie verursacht und wie hoch sind die zu erwartenden Verluste?

Ein Steuersystem kann dann von der kalten Progression betroffen sein, wenn der Durchschnittssteuersatz mit steigender Bemessungsgrundlage steigt. Dies ist in Österreich bei der Lohn- und Einkommensteuer der Fall. Eine zweite Voraussetzung für das Entstehen der kalten Progression ist Inflation. Wenn es Inflation gibt, dann ist, im Zeitverlauf betrachtet, der nominelle (das heißt in Euro gemessene) Zuwachs der Einkommen jedenfalls größer als der reale (das heißt preisbereinigte) Zuwachs. Es entsteht eine Belastung durch die kalte Progression, wenn die Besteuerung auf Basis nomineller Einkommen erfolgt. Denn ein Teil des nominellen Einkommenszuwachses führt nicht zu höheren Konsum- bzw. Sparmöglichkeiten, sondern gilt nur die steigenden Preise ab. Auch aufgrund dieses, nur preisabgeltenden Zuwachses steigt in einem progressiven System jedoch die durchschnittliche Steuerbelastung und führt so zu einer höheren Steuerbelastung, als durch den realen Einkommenszuwachs gerechtfertigt wäre.

Die kalte Progression könnte auf einfache Weise abgestellt werden, indem das Steuersystem, ähnlich wie das Sozialversicherungssystem, jährlich an die Inflation angepasst wird. Bei der Sozialversicherung wachsen Höchstbemessungsgrundlage und Geringfügigkeitsgrenze jährlich und schließen so eine kalte Progression aus. Im Steuersystem werden die Progressionsstufen und die Absetz- und Freibeträge, wenn überhaupt, nur bei den relativ seltenen Tarifreformen angepasst. Daher verursacht die kalte Progression eine schleichende Steuererhöhung. Sie entsteht gerade dadurch, dass der Tarif nicht angepasst wird.

Wie hoch sind die durch die kalte Progression entstehenden Verluste für den einzelnen Steuerzahler? Betrachten wir dazu einen (kinderlosen und alleinstehenden) Angestellten, der 2016, also im Jahr der geplanten Steuerreform, ein monatliches Bruttogehalt von 2800 Euro und somit bei 14 Monatsbezügen ein Jahresgehalt von 39.200 Euro bezieht. Er wird im Jahr 2016 insgesamt 4859 Euro an Lohnsteuer abführen, das Nettoeinkommen beträgt (nach Berücksichtigung von SV-Beiträgen) 27.313 Euro.

Wenn nun 2017, bei einer Inflationsrate von 2 Prozent, sein Bruttogehalt um 2,5 Prozent (also auf 40.180 Euro) steigt, so wird die Steuerbelastung auf 5107 Euro und sein Nettoeinkommen auf 27.870 Euro steigen. Wie ersichtlich wächst die Steuerbelastung in diesem Jahr um 5,1 Prozent, während das Nettoeinkommen nur um 2 Prozent steigt und somit gerade einmal das Preiswachstum kompensiert. Vom realen Einkommenszuwachs bleibt nichts übrig. Wäre hingegen der Steuertarif an die Inflation angepasst worden, so würde die Steuerbelastung 2017 5006 Euro und das Nettoeinkommen 27.971 Euro betragen. Der Verlust durch die kalte Progression beträgt somit  5107 minus 5006 Euro, das sind 101 Euro. Wird das System auch 2018 nicht angepasst und beträgt die Inflation abermals 2 Prozent, beträgt der Verlust durch die kalte Progression 2018 bereits 204 Euro.

Die auf diese Weise auftretenden Verluste können mithilfe eines Mikrosimulationsmodells unter Anwendung eines repräsentativen Datensatzes für Österreich oder aber auch ein Bundesland hochgerechnet werden. Unter der Annahme einer Inflationsrate von 2 Prozent ist für 2017 zu erwarten, dass die Gesamtbelastung durch die kalte Progression 446 Millionen Euro beträgt. Davon werden etwa 17 Millionen Euro auf das Bundesland Vorarlberg entfallen.

Wiederum auf individueller Ebene betrachtet wächst der absolute Verlust durch die kalte Progression mit der Höhe des Einkommens, denn der absolute Verlust hängt neben der Inflationsrate auch vom Grenzsteuersatz in der jeweils relevanten Progressionsstufe ab. In Relation zum Einkommen ist der Verlust jedoch bei den unteren und mittleren Einkommen am höchsten. Im unteren Einkommensbereich müsste der Maximalbetrag der Negativsteuer (er wird im Zuge der Reform von 110 auf 400 Euro angehoben) jährlich an die Inflation angepasst werden, um Verluste zu vermeiden. Im mittleren Einkommensbereich sind die relativen Verluste deshalb hoch, weil hier der Durchschnittssteuersatz schneller wächst als etwa bei höheren Einkommen.

Es ist in Österreich zur Tradition geworden, jeweils nach einer Steuerreform die Belastung durch die kalte Progression schleichend anwachsen zu lassen, um einige Jahre später im Rahmen der nächsten Reform die Steuerbelastung wieder zu reduzieren. Typischerweise wird dies als große Entlastung verkauft und teilweise auch wahrgenommen. Tatsächlich ist es jedoch meistens nicht mehr als ein Reset des Systems auf das Niveau der vergangenen Reform. Im Jahr 2016 wird die Steuerbelastung zwar etwas niedriger sein als im Jahr der letzten Reform (2009), die Summe der in der Zwischenzeit von 2010 bis 2015 jährlich angefallenen Verluste vermag jedoch auch die nun geplante Reform in den Jahren 2016 und danach nicht auszugleichen. Im Gegenteil – wie gezeigt, wird bereits im Jahr 2017 die kalte Progression neuerlich zuschlagen und die Entlastungswirkung mindern. Die kalte Progression sollte daher durch jährliche Tarifanpassung an die Inflation abgestellt werden.

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