Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Copyright und Kreativität

Juli 2023

Copyrights, also Urheberrechte, schützen geistiges Eigentum, indem sie dem Besitzer das exklusive Recht einräumen, sein Werk zu verbreiten, etwa durch Kopien oder Aufführungen.
Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sollen Copyrights Anreize für Kreativität schaffen, um Neues zu entwickeln, wovon die Gesellschaft profitiert. Ein Blick in die Operngeschichte zeigt, dass das tatsächlich funktioniert.

Der Festspielsommer steht vor der Tür. Salzburg, Bregenz, Glyndebourne, Aix-en-Provence und viele andere Orte weltweit locken Opernfans in ihre Theater oder Freilichtbühnen. Als Rossini-Fan bin ich seit einigen Jahren regelmäßig in Pesaro beim Rossini-Opera- Festival zu Gast, weil mich die spritzige Musik dieses Komponisten begeistert und viele seiner Opern – wie im letzten Jahr etwa Le Comte Ory – beste Unterhaltung bieten. Dass viele Werke noch nach Jahrhunderten ein Publikum finden, hängt natürlich in erster Linie mit dem Einfallsreichtum und dem Können der betreffenden Künstler ab. Allerdings spielen ökonomische Faktoren dabei auch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Insbesondere die Einführung von Urheberrechten zum Schutz des geistigen Eigentums von Autoren hat vor rund 200 Jahren einen wesentlichen Schub für die Erstellung künstlerischer Werke geleistet.
In der ökonomischen Theorie haben Urheberrechte vor allem die Funktion, die Schaffung neuen geistigen Eigentums zu fördern, weil dadurch unsere Gesellschaft in materieller und kultureller Sicht bereichert werden kann. Um aber Anreize für Investitionen (geistiger oder materieller Art) in neue Werke zu setzen, sollen die Urheber angemessen am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Werke beteiligt werden. Man könnte also auch sagen, dass Urheberrechte die Kreativität und damit den Fortschritt steigern sollen. Ob sie das in kausaler Weise tun, ist allerdings gar nicht so einfach zu zeigen, weil man dazu idealerweise Situationen mit Urheberrechten und solche ohne Urheberrechte vergleichen sollte, die sich mit Ausnahme der Urheberrechte (ob vorhanden oder nicht) praktisch nicht unterscheiden. Das ist mit modernen Daten kaum möglich, da Urheberrechte weltweit existieren. Mit wirtschaftshistorischen Daten kann man aber einen Schritt weiterkommen.
Eine Analyse von Michela Giorcelli von der University of California Los Angeles und von Petra Moser von der New York University zeigt, dass die Einführung von Urheberrechten auf Opern – und andere künstlerische Werke – zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einigen Staaten des heutigen Italiens (das zu dieser Zeit noch nicht vereinigt war) einen kausalen Einfluss auf die Quantität und Qualität der zu dieser Zeit auf dem Gebiet des heutigen Italiens hatte.
Im Jahr 1801 wurde in der Lombardei und Venezien aufgrund der napoleonischen Eroberungen das französische Urheberrecht aus dem Jahr 1793 eingeführt. Darin wurde Komponisten ein exklusives Recht an ihren Werken auf Lebenszeit und deren Erben für weitere zehn Jahre nach dem Tod eingeräumt. Bis in die 1820er Jahre waren diesen beiden Regionen des heutigen Italien die einzigen Staaten Italiens, in denen ein Urheberrecht galt.
Giorcelli und Moser untersuchten anhand einer Datenbank mit über 2500 Opern, die von 705 italienischen Komponisten in acht Staaten auf dem Gebiet des heutigen Italiens zwischen 1770 und 1900 geschrieben und aufgeführt wurden. Bis ins Jahr 1801 gab es in keinem dieser Staaten ein Urheberrecht und wie erwartet zeigt sich, dass die Produktivität vor diesem Jahr praktisch zwischen den verschiedenen Staaten identisch ist. Mit dem Jahr 1801 vollzieht sich aber ein markanter Wechsel, und zwar sowohl in quantitativer und qualitativer Hinsicht. In den beiden Staaten mit Urheberrecht – Lombardei und Venezien – wurden bis in die 1820er-Jahre, als dann alle Staaten Urheberrechte einführten, mehr als doppelt so viele Opern pro Jahr produziert als in den Staaten ohne Urheberrechte. 
Quantität ist aber bekanntlich nicht alles. Um die Qualität der entstandenen Opern einzuschätzen, bedienten sich Giorcelli und Moser dreier verschiedener Informationen. 
Erstens erhoben sie auf der Basis von Alfred Loewenbergs „Annals of Opera“ den Erfolg der jeweiligen Uraufführungen und in den ersten Jahren eines neuen Werkes. Zweitens prüften sie, ob ein Werk mindestens einmal im 20. und 21. Jahrhundert an der Metropolitan Opera in New York, einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt, aufgeführt wurde. Drittens schauten sie, ob eine Oper bei Amazon erhältlich ist, also auch heute noch bekannt ist und gekauft wird. Bei allen drei Kriterien für die Qualität von Opern schneiden jene in den Staaten mit Urheberrechten statistisch signifikant besser ab als die Staaten ohne Urheberrecht. Deshalb schließen Giorcelli und Moser, dass die Urheberrechte die Kreativität angespornt haben. Ein wesentlicher Faktor der positiven Wirkung von Urheberrechten war mit Sicherheit die bessere finanzielle Situation für Autoren, deren Werke in Staaten mit Urheberrecht aufgeführt wurden. Obwohl in Summe in diesen Staaten mehr Komponisten mehr Opern schrieben, deutet einiges darauf hin, dass die bessere finanzielle Absicherung etwas mehr Zeit für die Fertigstellung eines neuen Werkes ermöglicht hat, was sich positiv auf die Langlebigkeit eines Stückes auswirkte. Weswegen auch im Sommer 2023 viele Werke aus dieser Zeit noch ein interessiertes Publikum finden. 
So wünsche ich allen Opernliebhabern und generell allen Kunstliebhabern einen schönen Sommer bei den verschiedensten Festivals und Veranstaltungen.

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