Robert Seeberger

* 1960 in Bludenz, Diplomstudium Physik an der Universität Innsbruck bis 1986, Dissertation 1994 (Universität Innsbruck und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Wirtschaftsingenieurstudium in Liechtenstein bis 1994; Forschungsaufenthalte an Instituten und Observatorien in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1995 beim Arbeitsinspektorat Bregenz. 2000: Mitarbeit beim Zentralarbeitsinspektorat Wien und bei der Europäischen Agentur für Sicherheit in Bilbao, Spanien.

Studien belegen eindeutig, dass…

Juni 2023

Öffentliche und private Diskussionen werden immer sachlicher. Es werden Fakten bemüht, Studien und Wissenschaftler zitiert. Als Beobachter sollte man kritisch und wachsam bleiben.

Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Um meinen Argumenten Gewicht zu verleihen, beginne ich mit einem Zitat, das Albert Einstein, einem der bekanntesten und einflussreichsten Physiker überhaupt, zugeschrieben wird. 
Zitate von Einstein sind leicht zu finden, er hat sich zu Gesellschaft, Krieg und Politik geäußert. Sein wissenschaftlicher Ruhm verlieh seinen Worten auch abseits des photoelektrischen Effekts und der Relativitätstheorien hohes Gewicht. Doch etliche „Zitate“ werden ihm nur zugeschrieben. Grundsätzlich ist es schwer zu belegen, dass jemand etwas nicht gesagt hat, etwas leichter ist der Nachweis, dass etwas nicht öffentlich publiziert wurde. 
Die Standard-Urknall-Theorie widerspricht der Aussage des ersten Teils des Zitats, denn das Universum ist endlich. Stammt das Zitat also von Einstein? Nein. Martin Rasper fand in seinem Buch „No Sports“ den wahren Urheber: Fritz Perls (1893–1970), der Begründer der Gestalttherapie. In seinem Buch „Das Ich, der Hunger und die Aggression“ legte Perls einem namenlosen „großen Astronomen“ das Zitat in den Mund. Erst 20 Jahre später berichtet Perls über ein Gespräch mit Einstein – und setzt den „großen Astronomen“ fälschlicherweise mit Einstein gleich.

Quellen 
Korrekte Quellenangaben sind bei der wissenschaftlichen Methode essenziell. Außerdem ist der bekannte Forschungsstand möglichst vollständig darzulegen. In öffentlichen Diskussionen wird gerne flapsig argumentiert. Beispielsweise: „Im Internet finden sie unzählige Studien, die belegen, dass …“ Das Internet ist aber lediglich ein Medium, über das Informationen abgerufen werden, es steht informationstechnisch auf einer Stufe mit dem Telefon, wobei wohl niemand behaupten würde „über das Telefon wurde bewiesen, dass …“ 
Bekräftigungen, dass Aussagen durch Studien belegt sind, sind reine Rhetorik. Was wurde genau untersucht und mit welchen Methoden? Wer sind die Studienautoren? Gibt es zum selben Thema Studien mit anderen Ergebnissen? Wo wurde die Studie veröffentlicht? Eine Publikation im Eigenverlag sollte stutzig machen, jedenfalls haben sich die Autoren nicht der Diskussion mit Fachkollegen gestellt.

Dunning-Kruger-Effekt
Der zweite Teil des unrichtigen Einstein-Zitats klingt unrealistisch hart. Die Unendlichkeit, auch die angeblich unendliche Dummheit, ist ein mathematischer Begriff, der in der Natur kein Pendant findet. Der Grund, weshalb die Urknalltheorie vom Ursprung des Universums nur zögerlich in der Fachwelt akzeptiert wurde, war eine vermeintliche Singularität. Zu Beginn der Zeiten wäre das Universum unendlich klein, dicht und heiß gewesen, alles Bedingungen, die nicht real sein können. Zudem ist die Menschheit als Ganzes keineswegs dumm, sie hat unglaubliche Fortschritte – nicht zuletzt mithilfe der wissenschaftlichen Methode – erzielt.
Die Psychologen Justin Kruger und David Dunning testeten Personen mit Logik- und Grammatikaufgaben. Danach sollten sie ihre Leistungen im Vergleich zu anderen Probanden einschätzen. Der Dunning-Kruger-Effekt (1999) besagt, dass man etwas gut können muss, um selbst korrekt beurteilen zu können, ob man etwas gut kann. Das ist eine klare Absage an Hobbyforscher, die einen Zeitungsartikel über die Relativitätstheorie lesen und danach überzeugt sind, Einstein widerlegen zu können.

Fakt ist …
Mit diesen Worten wird gerne versucht, den Gesprächsverlauf zu steuern. Fakten sind Fakten, sagt man. Dazu werden Daten benötigt. Zwei Beispiele: Der britische Physiker Robert Matthews stellte einen hoch signifikanten Zusammenhang zwischen der Geburtenrate und der Zahl der brütenden Storchenpaare im Beobachtungszeitraum zwischen 1980 und 1990 in 17 europäischen Länder her. Die Datenerfassung ist korrekt, aber daraus könnten unzulässige Schlüsse eines kausalen Zusammenhangs gezogen und als Fakten präsentiert werden. 
Beim Gran-Sasso-Labor in den italienischen Abruzzen werden Neutrinos erforscht. Das sind Elementarteilchen mit extrem kleiner Masse (ursprünglich ging man von masselosen Teilchen aus), die erst 1956 nachgewiesen wurden. Postuliert hatte der österreichische Physiker Wolfgang Pauli 1930 das elektrisch neutrale Teilchen aus theoretischen Überlegungen. 2011 ging die Meldung um die Welt, dass Neutrinos mit Überlichtgeschwindigkeit gemessen worden seien. Neutrino-Messungen sind technisch höchst kompliziert und so scheint die Korrektur der Meldung – ein lockeres Kabel habe die falschen Daten hervorgerufen – fast zu banal.

Noch ein Einstein Zitat
Ist es wichtig, dass große Teile der Bevölkerung Daten und Studien einordnen und bewerten können? Unser Weltbild zerbricht nicht, wenn einige Menschen die Erde für eine Scheibe halten. Kritischer ist die Einstellung zu Gesundheitsmaßnahmen zu sehen und apokalyptisch können falsche geopolitische Einschätzungen von Staatenlenkern sein. Angesichts der Atombomben des Jahres 1945 sagte Einstein: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der vierte Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen.“

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