Beate Nadler-Kopf

selbständige Architektin

Baukultur und Diversität

März 2022

Zu Beginn meines Architekturstudiums hatte ich eigentlich Glück. Ich drückte mich vor jenem Entwurfsprofessor, dessen Studenten sich mit phantastischen Gebilden überboten und dockte lieber bei Instituten mit den unaufgeregten Namen „Raumgestaltung“ und „Gebäudelehre“ an. Dort lernte man Orte und Räume zu lesen und zu analysieren, bevor man einen Bleistift in die Hand nahm. Die Nachbesetzung meiner Lehrer folgte dann, dem Zeitgeist entsprechend, eher dem ästhetischen Prinzip der Vielfalt. Die Einordnung von Entwürfen in den städtebaulichen Kontext war nicht mehr gefragt. Die Auswirkungen sind mittlerweile an unserer Baulandschaft ablesbar. Wir stehen hier in Vorarlberg vermutlich ganz oben, was die Ästhetik betrifft – bestgekleidete und zu Recht hochgelobte Solitäre, aber eben oft ohne Bezug zur Umgebung. Der Bruch zu den Dörfern und Städten mit ihren Identität und Orientierung stiftenden Ortsbildern ist von jedermann spürbar. Die Sehnsucht nach Authentizität stillt die moderne Konsumgesellschaft eben in den Seelenräumen der historisch gewachsenen Zentren, wo der öffentliche Raum noch als „Ort“ erlebbar ist.
Baukultur war aber immer Spiegel der Gesellschaft. Wenn heute Individualismus und Diversität als Leitbild der Gesellschaft fungieren, ist das an der Baukultur ebenso ablesbar wie Monotonie und Beziehungslosigkeit. Was heißt das fürs Bauen? Wenn eine Gemeinschaft – und als solche sind auch Siedlungen zu sehen – funktionieren soll, müssen wir uns eine gemeinsame Basis aus Überzeugungen und Regeln zurechtlegen. Abseits von Dichtezahlen brauchen wir im Städtebau mehr Analysen, Visionen und Leitlinien für übergreifende Siedlungsstrukturen. Scheinbarer Individualismus hat sich hier einer tragenden Homogenität unterzuordnen – zugunsten eines großen Ganzen. PS: Ortsbildinventare sind mögliche Instrumente der Siedlungsentwicklung. (Beispiel Ortsbildinventar Bregenz Dorf)