Begriffe in der Obdachlosigkeit.
Rilke bringt in seiner Poesie schon im 19. Jahrhundert die Sorge zum Ausdruck, dass Worte ihre Bedeutung verlieren, wenn sie leichtfertig verwendet werden. Was damals galt, gilt heute noch vielmehr. Viele Begriffe sind in einem Zustand der Entkernung, sie werden inflationär genutzt, ohne dass sie noch etwas Konkretes bezeichnen. „Nachhaltigkeit“, „Freiheit“, „Gemeinschaft“, „Werte“ oder das kleine Wörtchen „Wir“– all diese Worte waren einst mit klaren Bedeutungen verknüpft, wurden mit Erfahrungen, Kämpfen und Überzeugungen gefüllt. Und heute? Mit der semantischen Obdachlosigkeit verlieren sie ihre Tiefe. Sie werden bis zur Unkenntlichkeit verfremdet; oft aus Gedankenlosigkeit, immer öfter aber als weiche Steppdecke, mit denen die eigentlichen Interessen zugedeckt werden. Montesquieu bemerkte schon vor Jahrhunderten: „Je größer die Worte, desto mehr kann sich Fremdes in ihnen verstecken.“
Funktionalisierung der Sprache
Begriffe dienen nicht mehr primär dazu, einen gesellschaftlichen Zustand zu beschreiben oder eine Haltung zu reflektieren, sondern werden zu wirtschaftlichen und medialen Strategien. Unternehmen verkaufen Produkte unter dem Deckmantel von „Nachhaltigkeit“, politische Akteure fordern „Solidarität“, ohne sie selbst zu leben, und Medien nutzen „Krisen“, um Schlagzeilen zu generieren. Wenn Begriffe nicht mehr eindeutig sind, wird der öffentliche Diskurs zur Herausforderung. Was für den einen „Freiheit“ bedeutet, ist für