
Über Familienpolitik und Einkommens- unterschiede
Wenn man davon ausgeht, dass Kinder der wesentliche Grund für Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind, dann folgt daraus sofort die Forderung an die Politik, beispielsweise für ein breiteres Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen zu sorgen. Aber verringert Familienpolitik wirklich die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen? Österreichische Daten sprechen dagegen.
Vor einem Monat habe ich an dieser Stelle darüber geschrieben, dass es bisher einen breiten wissenschaftlichen Konsens gibt, dass Frauen mit der Geburt von Kindern einen niemals wieder gutzumachenden Karriereknick erleiden. Aufgrund von Kindern würden Frauen während des gesamten Berufslebens deutlich weniger als Männer verdienen, bedingt durch die Berufsunterbrechung, die geringeren Aufstiegschancen nach Wiedereinstieg und mehr Teilzeitarbeit. Man spricht in diesem Zusammenhang von der „child penalty“ für Frauen. Zwar habe ich vor einem Monat auch darüber berichtet, dass neue Forschungsarbeiten massive Zweifel an der Sichtweise nahelegen, dass Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auf Kinder zurückzuführen sind. Trotzdem ist die Annahme einer „child penalty“ nach wie vor die gängige Erklärung für Einkommensunterschiede.
Unmittelbare Konsequenz einer solchen weithin akzeptierten Sichtweise ist dann die Forderung nach besserer Kinderbetreuung. Wenn endlich genug Kinderbetreuungsplätze auch schon für (unter) einjährige Kinder verfügbar wären, dann würden auch die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen endlich verschwinden. Gepaart mit einer großzügigen Karenzzeit und einem längeren Kündigungsschutz wären alle familienpolitischen Voraussetzungen erfüllt, dass Frauen und Männer im Arbeitsmarkt gleich erfolgreich sein könnten.
Während es hinsichtlich des Kinderbetreuungsangebots überhaupt keinen Dissens zu geben scheint – mehr und schon für Kleinstkinder verfügbare Plätze würden auf lange Sicht die Einkommen zwischen Männern und Frauen angleichen –, gibt es im Hinblick auf Karenzzeiten (ich rede nicht vom Mutterschutz) durchaus unterschiedliche Meinungen. Wenn der Staat es Frauen ermöglicht (und durch Karenzgeld unterstützt), länger für die Erziehung ihrer Kinder zuhause zu bleiben, dann könnte das nämlich auch negative Effekte für Frauen haben, weil sie länger aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und dadurch möglicherweise beruflich wichtige Fähigkeiten wieder verlernen oder verlieren. Trotz einer Arbeitsplatzgarantie selbst nach längeren Karenzzeiten könnten Frauen deshalb sogar von großzügigen Karenzangeboten negativ betroffen sein. Demgegenüber wird häufig argumentiert, dass der einfache Wiedereinstieg in dieselbe Firma nach Beendigung der Karenz für die weitere Karriere von Frauen vorteilhaft wäre, weil sie keine neue Arbeit suchen müssten und häufig (wenn auch nicht immer) ihre Karriere in der betreffenden Firma fortsetzen könnten.
Im Jahr 2024 erschien eine Studie unter Beteiligung renommierter österreichischer Arbeitsmarktökonomen – darunter Josef Zweimüller, der an der Universität Zürich lehrt –, die genau die hier aufgeworfenen Aspekte von Familienpolitik in Österreich untersucht hat. Der Titel der Studie lautete „Do family policies reduce gender inequality?“
Zur Beantwortung dieser Frage haben die Autoren um Zweimüller die Entwicklung der Karenzzeiten und das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg (konkret ab den 1950er Jahren) bis ins Jahr 2017 analysiert. Im Jahr 1961 wurde eine zwölfmonatige Karenzzeit eingeführt, nachdem es bis dahin nur die Mutterschutzzeiten gab. Die Dauer der möglichen Karenz wurde in mehreren Reformen schrittweise erweitert und liegt heute bei über zwei Jahren (abhängig vom gewählten Modell), was innerhalb Europas zu den großzügigsten Regelungen gehört. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden auch die Kinderbetreuungseinrichtungen sukzessive ausgebaut. Besuchten beispielsweise Anfang der 1970er-Jahre circa 40 Prozent aller drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kindergarten, sind es heute über 90 Prozent. Der Anteil an ein- bis zweijährigen Kindern in Betreuung stieg im selben Zeitraum von unter zwei Prozent auf rund 25 Prozent.
Zweimüller und seine Kollegen untersuchen nun, ob die Ausweitung familienpolitischer Leistungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Angleichung der Einkommen von Männern und Frauen geführt hätten. Die Antwort ist ein sehr ernüchterndes „Nein“, oder in den Originalworten der Autoren: „Our results show that the enormous expansions of parental leave and childcare have had virtually no impact on gender convergence”.
Die Autoren können zeigen, dass eine Verlängerung der Karenzzeiten kurzfristig (üblicherweise in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Geburt eines Kindes) zu starken Einkommensrückgängen bei Frauen geführt haben, langfristig die Verlängerung aber überhaupt keinen nachweisbaren Einkommenseffekt (also auch keinen positiven) hatte. Selbiges gilt für die Erweiterung der Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch diesbezüglich finden die Autoren keinen positiven Effekt auf die relativen Einkommen von Frauen im Vergleich zu Männern. Mehr staatlich bereitgestellte Kinderbetreuungsplätze haben vielmehr dazu geführt, dass weniger familiäre Betreuung (häufig durch Großeltern und Verwandte oder Nachbarn) in Anspruch genommen wird. Außerdem gibt es trotz erweiterter Betreuungsplätze gerade in Österreich immer noch eine starke soziale Norm, dass sich Mütter um die Erziehung ihrer Kinder kümmern sollen und wollen.
Die Studie von Zweimüller und Kollegen kommt also faktisch zur gleichen Schlussfolgerung wie die dänische Studie, über die ich vor einem Monat berichtet habe: Die „child penalty“ oder fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen genügen nicht als Erklärung für systematische Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen.
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