
Selbsteinschätzung und Gehaltsunterschiede
Im Arbeitsleben kommt es häufig vor, dass man seine eigene Leistung gegenüber anderen rechtfertigen und einschätzen muss. Das beginnt im Bewerbungsprozess und bei Vorstellungsgesprächen und geht weiter im Rahmen regelmäßiger Evaluierungen im Berufsleben. Wie man sich dabei selbst präsentiert und seine eigene Leistung darstellt, hat einen Einfluss auf die eigenen Berufschancen und den Gehalt. Weil sich Männer und Frauen im Schnitt unterschiedlich präsentieren, hat das Auswirkungen auf das Lohnniveau von Männern und Frauen.
Ziemlich sicher hat jeder von Ihnen – liebe Leser – schon einmal selbst ein Bewerbungsschreiben geschrieben beziehungsweise das Schreiben einer anderen Person beurteilen müssen. Wenn man über sich selbst schreibt, ist es oft etwas peinlich, weil man sich fast schon „über den grünen Klee“ anpreisen muss als Idealbesetzung für eine offene Stelle. Wenn man die Schreiben anderer beurteilen muss – wenn man selbst eine Stelle zu besetzen hat – ist es wiederum oft peinlich zu lesen, wie übertrieben positiv sich jemand anderer selbst anpreist. Es ist ein dünner Grat zwischen einer positiven, aber realistischen Selbstdarstellung und einer verzerrten, weil überzogenen Darstellung der eigenen Leistung.
Trotz dieses Spannungsfelds ist es so, dass eine positive Darstellung der eigenen Leistung vorteilhaft ist, weil Arbeitgeber nun mal lieber Menschen einstellen, die so wahrgenommen werden, als ob sie für eine bestimmte Tätigkeit sehr gut geeignet wären. Sein Licht unter den Scheffel zu stellen, vermindert also in aller Regel die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt ganz allgemein, bekommt aber zusätzliche Bedeutung, wenn es systematische Unterschiede in der Selbsteinschätzung von Männern und Frauen gibt. In meiner Kolumne vor einem Monat habe ich berichtet, dass Frauen bei Gehaltsforderungen systematisch weniger Geld verlangen als Männer. Heute geht es um einen wichtigen Aspekt zur Erklärung dieses Unterschieds, nämlich die deutlich positivere Darstellung der eigenen Leistung durch Männer.
Christine Exley von der Harvard Universität und Judd Kessler von der University of Pennsylvania haben das in einer groß angelegten experimentellen Studie erforscht. Sie baten rund 4000 Personen, einen Test mit 20 Fragen zu bearbeiten. Die Fragen hatten hauptsächlich mit Mathematik, Logik und Technik zu tun. Wissen aus diesen Bereichen ist im Arbeitsleben besonders wertvoll (und gut bezahlt), weshalb die Autoren sich auf solche Fragen konzentrierten. Nach der Beantwortung der Fragen wurden die Teilnehmer gebeten einzuschätzen, wie viele Fragen sie richtig beantwortet hätten. Außerdem sollten sie ihre Arbeitsleistung in verschiedener Form selbst einschätzen. Eine der Fragen bat die Teilnehmer, auf einer Skala von 0 (ganz schlecht) bis 100 (ganz gut) anzugeben, wie gut sie ihre Leistung in diesem Test einschätzten.
Zuerst einmal die rohen Fakten. Frauen schnitten in dem Test signifikant besser ab und beantworteten im Schnitt 9,9 Fragen, während Männer nur 9,3 Fragen richtig hatten. Das möglicherweise vorhandene Vorurteil, dass Frauen in Mathematik, Logik und Technik weniger Wissen als Männer hätten, traf also auch in dieser Studie nicht zu.
Jedoch unterschieden sich Männer und Frauen deutlich in ihren Einschätzungen der eigenen Leistung. Männer schätzten, dass sie 11,1 Fragen beantwortet hätten. Das sind fast zwei Fragen mehr, als sie tatsächlich richtig beantwortet hatten. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von der typisch männlichen Selbstüberschätzung.
Frauen hingegen erwarteten, dass sie im Schnitt 8,8 Fragen richtig beantwortet hätten – was knapp eine Frage weniger als ihre tatsächliche Leistung war. Es liegt also eine systematische Unterschätzung der eigenen Leistung vor. Diese unterschiedlichen Erwartungen über die Anzahl der richtigen Fragen spiegelte sich auch in der Einschätzung der eigenen Leistung wider. Während Männer auf die Frage, wie gut sie ihre Leistung auf einer Skala von 0 bis 100 einschätzten, im Schnitt ungefähr 60 angaben, war der durchschnittliche Wert bei Frauen knapp unter 50 – und das, obwohl Frauen im Schnitt sogar besser als Männer abschnitten.
Interessant ist ein weiteres Ergebnis der Studie, wonach diese Unterschiede in der Selbsteinschätzung nicht vollständig verschwinden, wenn man den Teilnehmern mitteilt, wie viele Frage sie wirklich richtig beantwortet hatten und wie gut sie im Verhältnis zu anderen Teilnehmern dastehen. Selbst dann schätzen sich Frauen systematisch schlechter ein, auch wenn sich der Unterschied ungefähr halbiert. Bemerkenswert ist auch, dass der Unterschied vollkommen verschwindet, wenn Männer oder Frauen andere Personen einschätzen sollen. Dabei beurteilen Frauen die Leistungen anderer Frauen nicht schlechter als die Leistungen anderer Männer. Bei anderen ist es offenbar kein Problem, Frauen gleich gut wie Männer einzuschätzen, aber bei der eigenen Leistung gibt es deutliche Einschätzungsunterschiede.
Hat das ganze Auswirkungen für den Arbeitsmarkt? Ja. In der Studie von Exley und Kessler gab es auch Teilnehmer in der Rolle von Arbeitgebern, die andere Teilnehmer einstellen und ihnen einen (kleinen) Lohn für ihre Testleistung bezahlen konnten. Dabei zeigte sich, dass Männer häufiger eingestellt wurden – weil sie sich positiver darstellten – und höhere Gehälter bekamen – weil die Arbeitgeber von Personen, die sich positiver darstellten, eine bessere Leistung erwarteten. Beide Aspekte tragen also dazu bei, dass Frauen weniger als Männer verdienen.
Systematische Unterschiede in der Selbsteinschätzung spielen deshalb eine Rolle für Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen.
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