Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Bewerben sich Männer und Frauen für die gleichen Stellen?

April 2025

Wird über Geschlechterunterschiede auf Arbeitsmärkten diskutiert, geht es meist um Diskriminierung gegen Frauen, weil sie in Unternehmen schlechter bezahlt oder weniger oft befördert würden. Kaum einmal dreht sich die Diskussion um die Frage, ob eine wesentliche Ursache für Geschlechterunterschiede nicht schon zu einem viel früheren Zeitpunkt gesucht werden müsste, nämlich bereits im Bewerbungsprozess. Dabei gäbe es mit einem Blick darauf viel zu lernen.

Die Arbeitsmarktdaten zeigen eindeutig, dass Frauen im Schnitt nach wie vor weniger als Männer verdienen. Diese Gehaltsunterschiede können verschiedene Ursachen haben. In den letzten beiden Monaten habe ich beispielsweise in dieser Kolumne darüber geschrieben, dass Frauen sehr häufig bei der Stellensuche weniger Geld fordern oder dass sie deutlich bescheidener in der Beschreibung ihrer eigenen Leistungen sind, was für Aufstiegschancen und den Gehalt eher nachteilig ist. Diese Unterschiede erklären einen guten Teil von Gehaltsunterschieden, beziehen sich aber auf bestehende Anstellungen oder auf die Chancen in einem laufenden Bewerbungsverfahren. Es könnte aber sein, dass eine wichtige Ursache für Geschlechterunterschiede in Arbeitsmärkten schon einen Schritt früher zu finden ist, nämlich bei der Frage, für welche Jobs sich Männer und Frauen überhaupt bewerben. Eine Studie aus Dänemark zeigt eindrücklich, dass es bereits in der Auswahl der Jobs, für die sich Männer und Frauen bewerben, deutliche Unterschiede gibt. Und das hat Konsequenzen für den Gehalt.
Jonas Fluchtmann von der Universität in Aarhus hat gemeinsam mit drei weiteren Autoren Daten der dänischen Arbeitsagentur seit 2015 unter die Lupe genommen. Über 100.000 Personen haben sich über das Portal der Agentur auf fast drei Millionen Jobs beworben. Es handelt sich dabei um arbeitslose Personen aus allen verschiedenen Branchen und mit den verschiedensten Bildungs- und Erfahrungshintergründen, die sich über dieses Portal für offene Stellen bewerben. Das Portal erfasst den allergrößten Anteil der offenen Stellen im Land. Die arbeitslosen Personen haben einen Anreiz, sich über dieses Portal zu bewerben, weil es sonst zu Kürzungen des Arbeitslosengeldes kommen kann. Im Portal sind deshalb alle Bewerbungen einer bestimmten Person erfasst. Das umfasst den spezifischen Job, samt Tätigkeit und Stundenanzahl, und den betreffenden Arbeitgeber. Aus dem Portal lassen sich deshalb sehr zuverlässige Daten darüber gewinnen, welche Personen sich für welche Jobs überhaupt bewerben. Über die Zusammenführung mit Firmendaten lässt sich dann ermitteln, wer tatsächlich wo einen Job bekommen hat.
Fluchtmann und seine Koautoren analysieren ihre Daten im Hinblick darauf, ob sich vergleichbare Männer und Frauen auf verschiedene Jobs und in verschiedenen Branchen mit verschiedenen Verdienstmöglichkeiten bewerben. Unter „vergleichbar“ ist dabei zu verstehen, dass im betreffenden Vergleich Männer und Frauen etwa die gleiche Ausbildung und dieselbe Erfahrung mit einer bestimmten Tätigkeit in einer bestimmten Branche haben. Es wäre nur schwer vergleichbar, wenn man beispielsweise das Bewerbungsverhalten eines Bauarbeiters mit jenem einer Kindergärtnerin vergleichen würde. Hingegen wäre das Bewerbungsverhalten eines Personalleiters beziehungsweise einer Personalleiterin, die beide einen Hochschulabschluss in Psychologie und etwa zehn Jahre Berufserfahrung in Unternehmen ähnlicher Größe haben, als „vergleichbar“ zu bezeichnen.
Die dänischen Daten belegen eindeutig, dass es große Unterschiede im Bewerbungsverhalten von vergleichbaren Männern und Frauen gibt. Das gilt nicht nur für die Branche, in der man sich bewirbt. Traditionell bewerben sich Frauen relativ mehr in Service- und Pflegeberufen und Männer mehr im Bau- und technischen Gewerbe. Die Wahrscheinlichkeiten für Bewerbungen in der jeweiligen Branche sind aber selbst für vergleichbare Männer und Frauen unterschiedlich, die beispielsweise beide über viele Jahre im Service- oder Pflegebereich tätig waren. Mit der Bewerbung in unterschiedlichen Branchen und für unterschiedliche Jobs sind große erwartete Gehaltsunterschiede verbunden. Frauen bewerben sich überproportional mehr für Stellen, die zu den 30 Prozent am schlechtesten bezahlten Jobs gehören. Männer bewerben sich überproportional mehr für Stellen, die zu den 30 Prozent bestbezahlten Jobs gehören. Und das trotz vergleichbarer Ausbildung und Berufserfahrung in ähnlichen Unternehmen. Tatsächlich führt das unterschiedliche Bewerbungsverhalten auch zu mehr Frauen mit Jobs in den unteren Gehaltsbereichen und mehr Männern mit Jobs in den höheren Gehaltsbereichen. Wo man sich bewirbt, hat also auch Folgen dafür, wo man schließlich landet.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das unterschiedliche Bewerbungsverhalten etwa 70 Prozent der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in Dänemark erklären kann. Das hat nichts mit Diskriminierung, sondern mit unterschiedlichen Vorlieben für bestimmte Jobs zu tun. Dieses Ergebnis hat unmittelbare politische Konsequenzen. Wenn man Gehälter angleichen will, dann braucht es als Voraussetzung, dass sich im Hinblick auf Bildung und Berufserfahrung vergleichbare Männer und Frauen auch auf vergleichbare Jobs bewerben. Das ist aktuell nicht der Fall. Frauen bewerben sich beispielsweise systematisch häufiger auf Stellen, bei denen Teilzeitarbeit möglich ist, bei denen sie kürzere Pendelzeiten haben und die als familienfreundlicher (etwa im Hinblick auf flexible Arbeitszeitgestaltung) gelten. Alle drei Aspekte (Teilzeit, Pendeln, Flexibilität) sind mit geringeren Löhnen verbunden. Es ist also entscheidend, wo man sich bewirbt. 
Kommenden Monat schreibe ich über einen weiteren Aspekt, der zu unterschiedlichem Bewerbungsverhalten führt, nämlich Geschlechterunterschieden im Hinblick auf die „Sinnhaftigkeit“ von Arbeit.

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