
Sind Kinder wirklich ein Karriere- und Einkommenskiller für Frauen?
Es gilt als allgemein etablierte Einsicht, dass der größte Teil der Lebenszeiteinkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auf Kinder zurückzuführen ist, also auf den Umstand, dass Frauen nach der Geburt einen Karriereknick erleiden, von dem sie sich nie wieder erholen. Neue Erkenntnisse sprechen eine ganz andere Sprache.
Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen bei Konferenzen über Geschlechterunterschiede auf Arbeitsmärkten spreche, dann höre ich immer wieder zwei Argumente, warum Frauen weniger als Männer verdienen: Erstens würden Frauen von Männern diskriminiert und weniger oft befördert und schlechter bezahlt und zweitens würden Frauen den Karriereknick nach der Geburt eines Kindes nie wieder gutmachen können. Dass es viele andere Gründe gibt, die nichts mit Diskriminierung zu tun haben, habe ich in den letzten Monaten in dieser Kolumne zu vermitteln versucht. Dafür ernte ich bei meinen Gesprächen auf Konferenzen selten Zustimmung, weil die Gesprächspartnerinnen glauben wollen, dass die zwei genannten Argumente die alles entscheidenden sind. Dass etwa Unterschiede in der Berufs- und Branchenwahl 50-70 Prozent der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären können, wird dann lieber ignoriert.
Das zweite Argument, so dachte ich bisher, ist aber unbestritten. Immerhin hat etwa Claudia Goldin 2023 den Wirtschaftsnobelpreis bekommen für ihre Arbeiten zu den Gründen für Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen, allen voran für die Identifizierung der „child penalty“ – also warum Kinder für Frauen so nachteilige Effekte auf Karriere und Einkommen haben. Die Logik ist in etwa folgende: Mit der Geburt des ersten Kindes verlassen viele Frauen – aber fast keine Männer – den Arbeitsmarkt, um sich der Erziehung ihres Kindes zu widmen. Diese Berufsunterbrechung – oder eine starke Reduktion der Arbeitszeit – führt dazu, dass Frauen kurzfristig enorme Einkommensverluste haben. Auch langfristig rächt sich die „Babypause“, weil Frauen nach dem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt weniger gute Stellen bekommen, weniger oft befördert werden und darum auch über Jahrzehnte hinweg weniger Geld verdienen als Frauen ohne Kinder und erst recht weniger als Männer.
Dass Frauen sehr viel häufiger als Männer für die Kindererziehung zu Hause bleiben oder ihre Arbeitszeit stark reduzieren, ist unstrittig und führt in den ersten wenigen Jahren nach der Geburt eines Kindes zu hohen Gehaltseinbußen. Dass diese child penalty über Jahrzehnte hinweg Nachteile für Frauen hat, wird in einer aufsehenerregenden Arbeit von Peter Lundborg, Erik Plug und Astrid Würtz Rasmussen aus dem Jahr 2024 aber ernsthaft in Zweifel gezogen. Sollten sich ihre Ergebnisse auch in anderen Ländern bestätigen, würde das nichts anderes als eine Revolution darstellen, wie wir in der Wissenschaft – und damit in der Politik – über die child penalty nachdenken müssen.
Lundborg und Koautoren untersuchten die Arbeitsmarktdaten von über 30.000 dänischen Frauen, die mithilfe einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) ein Kind bekommen wollten. Der Erfolg einer solchen künstlichen Befruchtung ist praktisch ein Zufallsprodukt. Das ist für die Identifizierung der Effekte eines Kindes auf die Berufslaufbahn von Müttern entscheidend. Bisherige Studien haben nämlich einfach Frauen (mit bestimmter Ausbildung und Berufserfahrung) eines bestimmten Alters miteinander verglichen, die entweder Kinder haben oder nicht. Ein solches Vorgehen (als „Event-Studies“ bezeichnet) ist wissenschaftlich problematisch, weil Frauen, die sich für ein Kind entscheiden, nicht ohne weiteres mit Frauen vergleichbar sind, die sich gegen ein Kind entscheiden. Das hat nämlich in der Regel auch mit Karriereplanungen zu tun. Wenn sich diese zwischen Frauen mit Kindern und jenen ohne Kindern unterscheiden, sind beide Typen von Frauen nicht mehr sauber miteinander vergleichbar, weil etwa Frauen mit ambitionierteren Karriereplänen eine ganz andere Berufslaufbahn als Frauen mit weniger ambitionierten Karriereplänen haben. Daraus folgt, dass die Erkenntnisse eines solchen Vergleichs mit großer Skepsis zu betrachten sind.
Die Verwendung der Daten zur künstlichen Befruchtung – die in Dänemark in anonymisierter Form jedem Forscher zugänglich sind und die mit Arbeitsmarktdaten jeder Frau kombiniert werden können – ist viel überzeugender, weil es praktisch zufällig ist, ob die künstliche Befruchtung erfolgreich ist. Damit ist zu erwarten, dass beispielsweise die Karrierepläne von beiden Typen von Frauen – mit oder ohne erfolgreiche IVF – vergleichbar sind.
Lundborg, Plug und Würtz Rasmussen finden in ihren dänischen Daten zuerst einmal das bekannte Muster kurzfristiger Effekte von Kindern. In den ersten zwei Lebensjahren des Kindes zeigen sich starke Gehaltseinbußen bei Frauen mit erfolgreicher künstlicher Befruchtung. Aber danach holen sie stark auf. Nach zehn Jahren gibt es keinen Gehaltsunterschied mehr zu Frauen ohne erfolgreiche Befruchtung und nach spätestens 15 Jahren – und bis 25 Jahren nach der Geburt (so lange ist der Untersuchungszeitraum) – verdienen die Frauen mit Kindern mehr als jene ohne Kinder, sodass das Lebenszeiteinkommen von Frauen mit Kindern in Summe sogar höher als jenes der Frauen ohne Kinder ist.
Dieses Ergebnis widerlegt das Argument, dass Frauen aufgrund von Kindern weniger als Männer verdienen. Zwar verdienen auch dänische Frauen weniger als Männer, aber die Kinder können nicht der Grund sein, wenn die Frauen mit erfolgreicher künstlicher Befruchtung im gesamten Berufsleben sogar mehr als Frauen ohne Kinder verdienen. Es müssen andere Gründe sein, wie etwa die Berufswahl, das Verhandlungsverhalten oder auch Diskriminierung. An den Kindern liegt es nicht, zumindest nicht in Dänemark. Es gibt aber gute Gründe anzunehmen, dass das auch für andere Staaten gilt, weil die bisher etablierte Sichtweise samt und sonders durch „Event studies“ untermauert wurde, die – wie oben erklärt – methodische Schwächen haben.
Kommentare