
Politische Korrektheit und ihre Schattenseiten
Politische Korrektheit hat das Ziel, durch eine entsprechende Verwendung von Begriffen niemanden zu diskriminieren oder abzuwerten. Das führt schnell dazu, dass manche Dinge nicht mehr gemacht oder gesagt werden dürfen. Der politische Wind dreht sich zwar gerade, aber noch werden manche Nebenwirkungen politischer Korrektheit nicht wahrgenommen.
Im Jahr 2023 fand in Mannheim die deutsche Bundesgartenschau statt. An sich wäre das kaum einer Erwähnung wert, wenn nicht der Auftritt einer Seniorinnentanzgruppe mit mexikanischen Sombreros von den Verantwortlichen untersagt worden wäre. Die Verwendung von traditionell mexikanischen Hüten durch deutsche Tänzerinnen würde die „interkulturelle Sensibilität“ untergraben, der sich die Veranstalter verschrieben hätten. Es handle sich beim Tanzen mit Sombreros um einen Akt kultureller Aneignung. Also wurde der Auftritt mit den Sombreros gecancelt.
Ich selbst hatte ungefähr zur selben Zeit ein anderes Erlebnis. Eine Vortragende an der Universität erklärte mir in einem Gespräch, dass man heutzutage das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare nicht mehr in Frage stellen könne und darum auch nicht mehr zu diskutieren habe. Ich meinte damals, dass ich mir viele Gründe vorstellen könne, warum manche Menschen hierbei durchaus noch Diskussionsbedarf sehen, weshalb die Diskussion nicht einfach per Dekret verboten werden dürfte. Die besagte Besucherin bestand darauf, dass aus politischer Korrektheit auf jede Diskussion verzichtet werden müsse, um betroffene Personen nicht unangenehm zu berühren oder zu diskriminieren.
Die Liste an Beispielen ließe sich beliebig erweitern. Die Auseinandersetzung um politische Korrektheit und insbesondere politisch korrekte Sprache (Stichwort: „Gendern“) wird heftig geführt. Befürworter politischer Korrektheit argumentieren, dass politisch korrekte Sprache die Inklusion fördere und einen durch unsensible Sprache verursachten Schaden vermeide. Kritiker konzentrieren sich auf das Potenzial politisch korrekter Sprache, die Polarisierung in der Gesellschaft zu vertiefen, die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und die Bemühungen um einen Konsens in dringenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu erschweren. Beide Seiten stehen sich ziemlich unversöhnlich gegenüber. Die eine Seite ist der Ansicht, dass der Verzicht auf politisch korrekte Sprache automatisch andere Menschen diskriminieren würde. Die andere Seite beklagt in der Diskussion, dass man in den westlichen Demokratien längst nicht mehr alles sagen kann, weil die Sprechverbote der „Sprachpolizei“ die freie Meinungsäußerung einschränken würden.
In der ganzen Diskussion gibt es relativ wenig wissenschaftlich gut abgesicherte Befunde, wie denn nun politische Korrektheit auf das Handeln und auf die Meinungsäußerungen von Menschen wirkt. Luca Braghieri von der Bocconi Universität in Mailand hat im Jahr 2024 eine Studie in der renommierten Zeitschrift „American Economic Review“ dazu veröffentlicht, die der Frage nachging, inwieweit politisch korrekte Sprache den Informationsgehalt von Meinungsäußerungen beeinträchtigt.
Dazu hat Braghieri mit fast 2000 Studenten an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und San Diego das folgende Experiment durchgeführt. Die Studenten mussten verschiedene Fragen zu politisch kontroversen Themen beantworten. Dazu zählten etwa folgende Aussagen, zu denen die Zustimmung von null („stimme überhaupt nicht zu“) bis zehn („stimme vollkommen zu“) angegeben werden musste:
„Die Universitätsleitung sollte Dozenten dazu verpflichten, in ihren Kursen Trigger-Warnungen zu geben“ (damit sind Hinweise auf potenziell belastende oder traumatisierende Inhalte gemeint, damit Nutzerinnen und Nutzer selbst entscheiden können, ob sie sich diesen aussetzen möchten, etwa bei der Darstellung von Kriegen in Büchern oder Filmen).
Oder: „Die Universitätsleitung sollte kulturell unsensible Kostüme zu Halloween verbieten“.
Die Studenten wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Der ersten Gruppe wurde klar kommuniziert, dass ihre Antworten anonym bleiben würden. Bei der zweiten Gruppe war die Erklärung absichtlich so vage, dass die Studenten in dieser Gruppe davon ausgehen mussten, dass ihre individuellen Antworten vielen anderen Studenten in nicht-anonymisierter Form gezeigt werden würden (was tatsächlich aber nicht geschah).
Die Antworten von beiden Gruppen unterschieden sich krass. Die Antworten in der zweiten Gruppe spiegelten deutlich stärker die politisch korrekte Sichtweise wider (zumindest an diesen beiden Universitäten, die als sehr liberal und damit als politisch korrekt gelten). Braghieri konnte auch zeigen, dass die Beobachter der Antworten der zweiten Gruppe falsche Schlüsse daraus zogen, welche Meinung wirklich herrschte, weil sie die Antworten der zweiten Gruppe fälschlicherweise für bare Münze nahmen. Das Bestreben, das „Richtige“ zu sagen, wenn etwas (möglicherweise) an die Öffentlichkeit geht, reduzierte also den Informationsgehalt solcher Aussagen wesentlich und man sollte nicht allzu viel auf solche Aussagen geben. Dieser unerwünschte Nebeneffekt politischer Korrektheit wird in der Diskussion über die möglichen Vorzüge ebendieser in der Regel übersehen.
Donald Trump sagte bereits im Jahr 2015 während der Vorwahlen zur Präsidentenwahl 2016: „Ich denke, das große Problem dieses Landes ist die politische Korrektheit… Ehrlich gesagt habe ich keine Zeit für … politische Korrektheit.“ Wir wissen mittlerweile, wie die Wahlen 2016 und 2024 ausgegangen sind; auch weil viele Menschen der Ansicht waren, dass Trump endlich Dinge öffentlich sagt, von denen sie selbst den Eindruck hatten, dass sie nicht mehr in der Öffentlichkeit gesagt und diskutiert werden dürfen, weil andere sie als politisch inkorrekt erachteten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet hat politische Korrektheit zum Erfolg Trumps beigetragen.









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