

Politische Polarisierung, nationale Identität und … Wehrpflicht
Allerorten wird über eine Zunahme der politischen Polarisierung gesprochen. Kaum einmal wird die Frage aufgeworfen, wie man denn eigentlich Gräben zwischen verschiedenen Lagern überwinden könnte. Das würde aber die politische Diskussionskultur entspannter machen. Wie also schafft man nationale Identitäten, die über dem politischen Klein-Klein stehen?
Vor einem Jahr fand die US-amerikanische Präsidentenwahl statt, die wohl ein Paradebeispiel für die tiefe Kluft zwischen den Anhängern zweier rivalisierender Parteien war. Der Ausgang der Wahl ist bekannt und hat im Frühjahr 2025 zu teils sehr erratischen politischen Entscheidungen von Donald Trump, etwa über Zölle im internationalen Handelsverkehr, geführt. Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle über eine Studie berichtet, wonach die politische Polarisierung zwischen Parteien dazu führen kann, dass identische Regeln unterschiedlich wahrgenommen, unterstützt und gegebenenfalls befolgt werden, je nachdem, von wem sie aufgestellt wurden. Das aber erschwert das Zusammenleben in einer Gesellschaft, weil man zuerst den politischen Gegner und nicht die möglicherweise doch vorhandenen gemeinsamen Interessen beziehungsweise gemeinsam zu bewältigenden Probleme sieht. Daraus können dann absurde Situationen entstehen, in denen eine Seite der anderen vorwirft, das Richtige mit den Stimmen der Falschen durchsetzen zu wollen – was das Richtige zwangsläufig zum Falschen mache. Eine verkehrte Logik (die ich mehrfach in der deutschen Innenpolitik in den vergangenen Jahren beobachten konnte), die zu verdrängen versucht, worum es eigentlich in der Sache geht. Ganz im Gegenteil schafft eine solche Logik ein „Wir gegen die anderen“-Denken, das die Polarisierung in einer Gesellschaft nur weiter erhöht und damit keineswegs zu einer Lösung von Problemen beiträgt.
Eine übergeordnete Identität
Das wirft die Frage auf, wie man denn ein solches „Wir gegen die anderen“-Denken vermeiden oder zumindest reduzieren könnte. Ein naheliegender Ansatz wäre die Schaffung respektive Stärkung einer übergeordneten Identität, über die man Gemeinsamkeiten finden könnte. In Deutschland denkt man diesbezüglich schnell an das Sommermärchen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die ein enormes „Wir“-Gefühl schuf, und zwar über Parteigrenzen hinweg. Etwas Ähnliches gelang in Deutschland ansatzweise bei der Fußball-Europameisterschaft 2024. Wissenschaftliche Studien belegen, dass (erfolgreiche) Fußballländerspiele das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifizierung mit dem eigenen Land deutlich erhöhen. Daten von Emilio Depetris-Chauvin und Koautoren zeigen das auch für afrikanische Länder, wo die Autoren durch die stärkere Identifikation mit dem eigenen Land nach erfolgreichen Spielen auch weniger zivile Konflikte beobachteten.
Nun kann man nicht immer darauf vertrauen, dass die eigene Fußballnationalmannschaft sich in Turnieren erfolgreich schlägt, um eine stärkere gemeinsame Identität zu schaffen. Darum finde ich eine heuer erschienene Studie von Manuel Bagues von der Universität in Warwick und Chris Roth von der Universität zu Köln so interessant. Die beiden Autoren untersuchten, wie sich ein bestimmtes Detail der spanischen Wehrpflicht (die bis 2001 galt) auf die gemeinsame nationale Identität auswirkte.
Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht argumentieren bekanntlich damit, dass die Wehrpflicht zu einem stärkeren Zusammenhalt in der Gesellschaft führen würde. Konkret untersuchten Bagues und Roth die Auswirkungen des Umstands, dass zwei Drittel der jungen, wehrpflichtigen Männer ihren Wehrdienst in einer anderen Region als ihrer Heimatregion abzuleisten hatten, wogegen ein Drittel den Dienst in der eigenen Region ableistete. Wer seinen Dienst wo abzuleisten hatte, wurde dabei zufällig entschieden. In den Jahren 2019 und 2020 befragten Bagues und Roth mehr als 3000 frühere Wehrpflichtige, die zwischen 1980 und 1991 ihren Wehrdienst abgeleistet hatten.
Identifikation
Dabei stellten sie fest, dass Männer, die ihren Wehrdienst außerhalb ihrer Heimatregion ableisteten, einen viel besseren Bezug zu Menschen aus anderen Regionen (als der eigenen Heimatregion) und zum Staat Spanien insgesamt hatten, selbst 30 bis 40 Jahre nach Beendigung des Wehrdiensts. Wenig überraschend hatten sie mehr Freunde in den Regionen, wo sie ihren Wehrdienst ableisteten, und brachten den Menschen in diesen Regionen auch mehr Sympathien entgegen. Sie hielten sie auch für ehrlicher, als das Männer taten, die ihren Wehrdienst zu Hause versahen. Besonders bemerkenswert ist aber das Ergebnis, dass der Wehrdienst in einer fremden Region die Identifikation mit und den Stolz auf Spanien als auch eine positive Einstellung zur spanischen Flagge besonders für jene Männer verstärkten, die aus traditionell separatistischen Regionen (etwa dem Baskenland oder Katalonien) stammten.
Stolz auf das eigene Land – was ich gerade in Vorarlberg in einem hohen Ausmaß wahrnehme – und ein Gefühl des „Miteinander“ statt „Wir gegen die anderen“ wären hilfreiche Zutaten für weniger politisches Klein-Klein und ein wichtiger Beitrag, die politische Polarisierung zu überwinden, weil man wieder anfangen könnte, die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund zu stellen und nach Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu suchen. Dass das aber auch verlangen würde, dass unsere politischen Parteien sich stärker an den Vorstellungen der Bevölkerung orientieren sollten, behandle ich in der nächsten Kolumne im kommenden Monat.
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