
„Wollen kann man nicht lernen“
Das Handelsblatt nennt ihn eine „Berater-Legende“, das Manager-Magazin „den Preis-Papst“. Unternehmensberater Hermann Simon hat weltweit Unternehmen und Konzerne beraten, mehr als 40 Bücher verfasst und an der Harvard-Business-School und an anderen Universitäten gelehrt. Das von ihm 1985 gegründete Beratungsunternehmen Simon-Kucher mit Büros in über 30 Ländern gilt als weltweit führender Spezialist für Pricing und Wachstum. Im Interview spricht Simon (78) über sein neuestes Buch. Er erklärt dabei, was im Management wirklich zählt – und wer ihn in all den Jahren am meisten beeindruckt hat.
Herr Professor, Sie beraten seit 50 Jahren weltweit Unternehmen und Konzerne, haben auf Ihren Reisen stets Beobachtungen und Gedanken notiert, die illustrieren sollen, was „im Management wirklich zählt“. Wollen wir zunächst über das Thema Führung sprechen?
Führung ist das Wichtigste im Management und gleichzeitig das Phänomen, das wir am wenigsten verstehen. Selbst die Wissenschaft kann nicht erklären, warum Menschen bestimmten Führern folgen und anderen nicht. Es ist sehr schwierig, zu prognostizieren, ob eine Führungskraft wirklich auf Dauer performt. Nestlé, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, hat erst vor einem Jahr einen neuen Chef berufen. Der ist schon wieder weg. Dabei gilt Nestlé eigentlich als Symbol für Stabilität.
Sie schreiben in Ihrem Buch, in Sachen Personalentscheidungen sei nichts schwieriger, als einen Menschen im Hinblick auf eine zukünftige Aufgabe zu beurteilen.
Das ist so. Ein Manager hat zwei Anforderungen zu erfüllen. Erstens: Er muss sein Metier beherrschen, er muss tiefe Sachkenntnis und Erfahrung im Umgang mit Kunden und Märkten haben. Zweitens: Er muss Mitarbeiter motivieren können. Und das ist eine ganz andere Fähigkeit. Denn die Schwierigkeit bei dieser Ex-ante-Beurteilung bezieht sich nicht auf die Fachkenntnis. Die ist überprüfbar. Sie bezieht sich auf die Führungsaufgabe, Menschen in eine Richtung lenken und dabei begeistern zu können. Ich nenne ein Beispiel: Die Enkelin des Samsung-Gründers, Miky Lee, leidet erblich bedingt an einer schweren Krankheit. Dennoch hat sie die CJ Group aufgebaut, ein Unternehmen, das 30 Milliarden Euro Umsatz macht. Ich habe diese Dame erlebt, in Seoul. Sie war beeindruckend.
Hat ein guter Manager Charisma?
Charisma ist ein notwendiges Merkmal starker Führungspersonen. Charisma zieht Erfolg an. Allerdings weiß keiner so genau, was das eigentlich ist. Auch Max Weber hat sich damit beschäftigt. Aber wenn du seine Definition liest, dann pass auf: Der hat auch nicht verstanden, was das ist (lacht). Man nennt Charisma manchmal ja auch Gnadengabe.
Welche Persönlichkeit hat Sie in all den Jahren am meisten beeindruckt?
Also wenn ich eine Person nennen sollte, dann wäre das Joseph Kardinal Höffner, der einstige Erzbischof von Köln. Höffner hatte vier Doktortitel erworben, er hatte in Theologie, Philosophie, Volkswirtschaft und Jura promoviert. Das erste Mal bin ich ihm in Tokio begegnet. Ich war Firmpate einer befreundeten Familie, bei der Feier saßen 50 Menschen zusammen. Und dann kam Höffner in den Raum. Er sagte nichts. Aber die Atmosphäre änderte sich sofort. Es war ein Erlebnis. Ich habe das ein zweites Mal erlebt, als ich ihn später in Köln besuchte. Ich war damals Chef des größten deutschen Management-Weiterbildungs-Instituts und wollte ihn um einen Vortrag zum Thema ,Kirche und Wirtschaft‘ bitten. Er hörte zu, überlegte. Und sagte dann ganz freundlich: ‚Nein, ich mache das nicht.‘ Stattdessen schickte er einen Kardinal aus Rom. Der war auch gut. Aber ich hatte auf Höffner gesetzt. Einen Berufeneren als ihn hätte es nicht gegeben. Aber ich hätte niemals hinterfragt, was er sagte. Er ruhte in sich, er hörte zu und sprach nicht viel. Aber wenn er etwas sagte, dann war das definitiv. Es war wie in Stein gemeißelt.
Ist es also die klare Ansage, die im Management wirklich zählt?
Persönlichkeit ist die Unabhängigkeit vom Applaus der Masse. Da sehen wir viele Defizite in der Politik und auch in Unternehmensführungen, die sehr opportunistisch agieren. Seiner Überzeugung folgen, authentisch sein, nicht nur eine Rolle spielen, das ist meines Erachtens die Grundlage starker Führung. Gerade in großen Unternehmen erlebe ich viele Manager, die diese Rolle des Chefs lediglich spielen.
Fühlen Sie intuitiv, ob jemand nur eine Rolle spielt?
Ja. Ich habe hunderte Hidden-Champions-Führer kennengelernt. Und dabei eine herausragende Eigenschaft dieser Unternehmer identifiziert: Person und Mission sind identisch. Das bringt Glaubwürdigkeit und auch Identifikation bei den Mitarbeitern hervor. Wenn denn auch dazukommt, was der Heilige Augustinus sagte: ‚Du musst die Flamme, die in dir brennt, in anderen entzünden‘. Ein Künstler kann allein zum Größten seiner Zunft werden. Aber ein Unternehmer kann allein nicht Weltmarktführer werden. Dazu braucht er ein Team, und zwar ein immer größer werdendes. Und in diesem Team muss er dieselbe Begeisterung entzünden können, die in ihm selbst brennt.
Sie gelten mit Ihrem global tätigen Unternehmen als führend in Sachen Preisberatung. Sie sagen von sich selbst: ‚Ich bin kein Fan niedriger Preise.‘ Warum?
Weil ich einfach zu oft erlebt habe, dass Firmen mit niedrigen Preisen gescheitert sind. Zum einen hat man sich der Illusion hingegeben, man könne bei einer Preissenkung mehr verkaufen und damit Marktanteile gewinnen. Da dann aber auch die Konkurrenz die Preise gesenkt hat, fand man sich wieder in der alten Situation. Doch das zweite, noch wichtigere Kriterium ist: Mit niedrigen Preisen kann man nur Geld verdienen, wenn man auch die mit Abstand niedrigsten Kosten hat. Und um niedrige Kosten haben zu können, muss man sehr groß und sehr effizient sein. Diese Bedingung gilt nur für ganz wenige in einem Markt. Aldi und Lidl sind solche Beispiele. Aber für die meisten Firmen ist es eine Illusion, zu glauben, man könne mit niedrigen Preisen profitabel sein und auf Dauer überleben.
Es ist nur ein Beispiel, um Ihre umfassende Tätigkeit etwas zu beschreiben. Sie haben die Markteinführung des Porsche Cayenne begleitet …
Ja. Und die Markteinführung von vielen anderen Porsche-Modellen in den vergangenen Jahrzehnten.
Sie haben aber auch den Begriff der Hidden Champions erfunden.
Ja, und ich darf Euch ein Kompliment machen. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet hat Vorarlberg zusammen mit Basel-Land die meisten Hidden-Champions pro Einwohner im deutschsprachigen Raum. In meiner Datenbank habe ich 13 Vorarlberger Unternehmen, die meine Definition erfüllen: Ein Hidden Champion ist eines der Top-Drei-Unternehmen im Weltmarkt oder die Nummer eins auf seinem Kontinent und dem allgemeinen Publikum wenig bekannt. Doppelmayr, Blum, Bachmann Elektronik, Zumtobel, Alpla und andere in Hard und in Höchst und in anderen Vorarlberger Orten erfüllen diese Definition.
Sie schreiben in Ihrem Buch: ‚Wollen kann man nicht lernen.‘
Das ist ein sehr wichtiger Satz. Ich hatte erst vor wenigen Tagen eine Veranstaltung in München. Da kam ein junger Mann auf mich zu und sagte, er habe ein Studium mit Potenzial absolviert und überlege nun, ob er sich selbstständig machen soll. Er sagte aber auch: ‚Ich weiß nicht, ob ich das will, da hat man so viel am Hals und muss sich ständig um alles kümmern.‘ Ich hätte ihm am liebsten gesagt: ‚Dann lass es sein.‘
Warum?
Man hat es oder man hat es nicht. Das muss aus dem Inneren kommen. Dass man weiß, was man will und dabeibleibt und durchhält, gegen alle Widerstände. Lernen lässt sich das nicht. Ich stelle da einen Bezug zu einem aktuellen Phänomen her. Wir haben eine demografische Lücke, das ist jedem bekannt. Aber darauf aufgesetzt, und das ist schon weniger bekannt, haben wir auch eine Unternehmerlücke. Wir haben zu wenig junge Leute, die sich selbstständig machen und Unternehmen gründen wollen. Aber Wachstum kommt ja vor allem von jungen und neuen Unternehmen. Es gibt noch ein aktuelles Thema: das der relativen De-Globalisierung.
Was ist darunter zu verstehen?
Wir verbinden Globalisierung in der Vergangenheit insbesondere mit Exporten und sind stolz auf die Exportleistung unserer Länder. Aber bereits seit 2010 wachsen die Exporte weniger als das globale Bruttoinlandsprodukt. Das nenne ich relative De-Globalisierung. Das ist keineswegs das Ende der Globalisierung. Es bedeutet, dass Exporte verstärkt durch Direktinvestitionen im Ausland ersetzt werden. Anstatt also etwas in Österreich zu produzieren und dann in die USA oder nach China zu exportieren, errichten Unternehmen in den Zielmärkten eigene Fabriken. Das ist der derzeit wichtigste Trend, der durch Trump weiter verschärft wird. Das leitet über zu einem weiteren neuen Trend, dem Re-Balancing. International aktive Unternehmen müssen ihre Wertschöpfungskette völlig neu aufstellen. Besonders betroffen sind aktuell Schweizer Unternehmen. Zum Beispiel werden Nespresso-Kapseln nur in der Schweiz hergestellt. Der größte Markt ist die USA, die haben jetzt 39 Prozent Zoll, Nestlé muss sich diesbezüglich also völlig neu aufstellen.
Sie raten Managern und Unternehmern dazu, Ratgeber um sich zu haben, die nicht mit allem übereinstimmen. Das sei klug.
Wenn in einer Gruppe alle gleich denken und nicht mehr hinterfragen, was aus ihren Reihen kommt, dann ist das sehr gefährlich. Deshalb sollte man im Team immer ein, zwei Menschen haben, die kritisch hinterfragen, die auch anders denken, die mit anderer Perspektive an ein Problem herangehen. Das war ja die klassische Rolle des Hofnarren.
Allerdings braucht man auch Widerstandskraft, um Kritik aushalten zu können.
Ja. Das muss man aushalten können. Ein schönes Beispiel aus meiner Erfahrung bezieht sich auf Gerhard Neumann, der nach einem abenteuerlichen Leben später Chef der General Electric Aircraft Engine Division wurde. Neumann leitete den Weltmarktführer bei Düsentriebwerken mehr als 20 Jahre lang und hatte dabei stets einen ehemaligen US-Marine an seiner Seite, einen tough guy. Dieser ehemalige Soldat, Schmidt war sein Name, hat jede Entscheidung hinterfragt. Ich kannte Neumann sehr gut, er hat mir einmal gesagt, dieser kritische Sparringpartner habe ihm oft geholfen, Entscheidungen zu überdenken und Fehler zu vermeiden. Weil er Fragen gestellt hat, die in einem normalen Führungsteam so nicht gestellt werden. Das ist ein großes Problem von Donald Trump. Der umgibt sich ja nur mit Schmeichlern und Jasagern, soweit man das von außen beurteilen kann.
Ein Zitat von Ihnen lautet: ‚Leute, die nicht kaufen wollen, kann niemand davon abhalten.‘
Das hat oft damit zu tun, dass neue Produkte eingeführt werden, die kein wirkliches Bedürfnis befriedigen. Das gilt übrigens sehr stark im digitalen Bereich. Von den Millionen Apps, die es gibt, sind 99,5 Prozent erfolglos. Weil sie einfach niemand braucht.
Sie sagen auch: ‚Man kann nicht inmitten eines Sturms Navigation lernen.‘
Wenn du auf See bist und der große Sturm losbricht, ist das in der Tat nicht der ideale Moment, um Navigation zu lernen. Das ist auch in der aktuellen Wirtschaftssituation der Fall. Wer neu in einem Job ist und keine Erfahrungen mit Krisen hat, tut sich derzeit sehr schwer. Ein Schweizer Manager hat mal zu mir gesagt, die Aufgabe des Managements sei es, Krisen vorwegzunehmen. Sich also auszudenken: Was kann schiefgehen, und was könnte ich dann machen? Wer das vorab überlegt, wird in einer Krise nicht ratlos sein.
Lässt sich ein Fazit ziehen?
Mein Lieblingszitat stammt von Seneca: Per aspera ad astra. Auf rauen Pfaden zu den Sternen. Dieses Zitat gebe ich oft jungen Leuten mit auf den Weg. Ich sage: ‚Du solltest eine Vision haben, was du werden willst. Aber sei dir bewusst: Es wird nicht auf glatten Wegen gehen. Du wirst Widerstände überwinden und Herausforderungen bewältigen müssen. Man kann sein Ziel eben nur auf rauen Pfaden erreichen.‘ Per aspera ad astra.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Hermann Simon
* 1947 in Hasborn, ist Gründer und Ehrenvorsitzender von Simon-Kucher, einem weltweit führenden Beratungsunternehmen für Preisgestaltung und Wachstum. Simon ist der einzige Deutsche in der „Thinkers50 Hall of Fame“, der weltweit bedeutendsten Rangliste für Managementdenker. Mehrfach wurde er zum einflussreichsten deutschen Managementdenker gewählt. In seinem „ersten“ Leben unterrichtete Professor Simon an den Universitäten Mainz und Bielefeld, er war auch Gastprofessor in Harvard, Stanford, London, Tokio und Massachusetts. Zu seinen mehr als 40 Büchern, die in 30 Sprachen erschienen sind, zählen beispielsweise seine Bestseller über die Hidden Champions. Der vielfach mit renommierten Preisen ausgezeichnete Simon hat Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaft studiert und in diesen Fächern promoviert, er besitzt zudem mehrere Ehrendoktorwürden. In China trägt die Hermann Simon Business School seinen Namen.
Lesetipp!
Hermann Simon: „Simon sagt! Was im Management wirklich zählt“, Murmann Verlag, Hamburg, September 2025






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