
Von Menschen, die in Dingen leben
Sie sollten mir besser nichts leihen, denn die Chancen stehen gut, dass ich das Ding einfach behalte. Vor allem dann, wenn ich Sie mag. In meinem Leben haben sich zahlreiche Gegenstände angesammelt, die mir rein technisch gesehen eigentlich nicht gehören. Bücher, beispielsweise. Der Klassiker. Aber auch Kleidungsstücke, Werkzeug, Küchenutensilien und (es ist schon eine Weile her) ein beachtlicher Stapel physischer Bild- und Tonträger. OK, ein Fahrrad ist auch dabei.
Mein Bügelbrett, zum Beispiel. Geliehen von Johannes A., auf Nimmerwiedersehen. Mit jedem Hemd, das es zu glätten gilt, denke ich auch noch nach einem Jahrzehnt regelmäßigem Gebrauch an ihn. Er hat sich als ergiebige Quelle erwiesen, der Hannes. Er winkt mir jeden Morgen aus dem Bücherregal zu („The Organization Man“, „Die Bibel nach Biff“) und begleitet meine kulinarischen Ambitionen mit seiner immer noch tadellosen Parmesanreibe.
Gleich mehrere Bücher lieh mir vor fast 20 Jahren Cornelia Z. Unsere gemeinsame Leidenschaft für den japanischen Autor Haruki Murakami führte zu einer spontanen Leihgabe ihrerseits. Die geschätzten Taschenbücher wohnen nun in unserem Treppenhaus-Bücherregal. Täglich erinnert mich der Rücken von „Tanz mit dem Schafmann“ an Conny.
Wie nennt man diese Dinge eigentlich? Dauerhafte Leihgaben? Geschenke wider Willen? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Für mich werden diese Objekte beinahe transparent und die Menschen in ihnen kommen immer deutlicher zum Vorschein, auch wenn wir uns im echten Leben nur noch selten begegnen. Echte Geschenke funktionieren übrigens nicht so gut. Ich glaube, es ist der Hauch von Gewissensbiss, der die Erinnerung am Leben hält.
Es sind mir auch schon andere begegnet, die sind wie ich. Ich hoffe und wünsche mir, dass auch ich in einigen Dingen weiterhin wohnen darf, die den Weg zu mir zurück nicht mehr gefunden haben. Es ist eine schöne Vorstellung, dass jemand ab und zu über einen Gegenstand stolpert, auf dem ein kleiner Oliver sitzt und freundlich winkt. Ja, wir hatten eine gute Zeit, sagt er. Schön, dass ich auf diese Weise immer noch bei dir sein kann.
Und mein Bericht wäre nicht vollständig, würde ich die dunklere Seite dieser Lebensweise verschweigen. In den sogenannten Nullerjahren war ich regelmäßig Gast und Kunde in den Lokalen von Reinhard R. Und eines Abends beschloss ich, dem Leihgott etwas unter die Flügel zu greifen. Das 0,5-Liter-Becherglas schwedischer Abstammung löste an diesem Abend ein One-Way-Ticket in meinen Küchenschrank. Und dort steht es, Jahrzehnte später, zwischen häufigem Gebrauch, noch immer. In freier Wildbahn hätte es kein Jahr mehr gemacht, sage ich mir. Wohlwissend, dass wir hier eine Grenze überschritten hatten. Auch in diesem Glas wohnt ein Mensch, an den wir oft denken. Meinen Fehltritt habe ich übrigens fünf Jahre später gebeichtet und erhielt verwunderte Absolution von Reini.
Einen hab’ ich noch: Auch eine Hose borgte ich mir einst. Das hat sich rentiert, denn an diesem Abend habe ich Nadine kennengelernt. Inwiefern die Hose am Erfolg beteiligt war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Frau habe ich bis heute behalten (keine Rückgabe geplant), das Beinkleid forderte mein Freund nach einigen Wochen zu meinem Leidwesen und mit Nachdruck zurück. Naja, man kann nicht alles behalten!
Es ist ein wenig schade, dass unser Leben immer digitaler wird. Bei allen Vorteilen bleibt doch das Verleihen auf der Strecke. Vielleicht wird es Zeit, umzudenken. Apropos Umdenken: Vor einiger Zeit nahm ich sogar einen Anlauf zur aktiven und strategischen Rückführung im größeren Stil, nach dem Vorbild des British Museum in London (einer meiner Lieblingsorte). Die bringen seit einigen Jahren die gesammelten und gehorteten kolonialen Kulturschätze nach und nach wieder dorthin zurück, wo sie herkamen. Mein Plan war, ein Mit-Dank-zurück-Geschenkpapier zu drucken und die Sachen persönlich oder per Post zu liefern. Also quasi Zurückschenken. Aber ganz mag ich sie nicht loslassen, die Dinge, und die Menschen, die in ihnen wohnen. Vielleicht im neuen Jahr dann.
Von Oliver Ruhm (45) – er ist schon sein halbes Leben lang Unternehmer in der Vorarlberger Kreativbranche.






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