Über Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen
Ein guter Gehalt ist keine Selbstverständlichkeit. Im Verhandlungsprozess zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verkaufen sich Frauen aber häufig unter Wert, was zu Gehaltsunterschieden gegenüber Männern führt. Amerikanische Daten aus dem IT- beziehungsweise Ingenieursbereich belegen das nachdrücklich, zeigen aber auch einen praktikablen Ausweg.
Wer auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle ist, hat in der Regel eine Vorstellung darüber, welchen Gehalt er oder sie erwartet. Selten aber ist diese Vorstellung einem potenziellen Arbeitgeber bekannt, bevor es überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch kommt. Schon häufiger ist es der Fall, dass ein Arbeitnehmer weiß, welchen Gehalt ein Arbeitgeber anbieten möchte, weil diese Information manchmal in Stellenangeboten inkludiert ist. In der Mehrheit der Fälle ist aber der angebotene Lohn einem Arbeitnehmer vor den eigentlichen Vertragsverhandlungen nicht bekannt.
Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gehen also in den meisten Fällen mit „verdeckten“ Karten in Vertragsgespräche. Das bedeutet, es herrscht ein hohes Maß an Unsicherheit über die Vorstellungen der jeweils anderen Seite. Dadurch bekommt das individuelle Verhandlungsverhalten einen großen Einfluss auf den Gehalt, auf den sich beide Seiten letztlich einigen. Dabei spielt es etwa eine Rolle, wie risikoscheu jemand ist. Wer risikoscheuer ist, wird als Arbeitnehmer mit eher vorsichtigen Forderungen in die Verhandlungen gehen, um eine Einigung nicht zu gefährden. Wer wenig bis gar keine Informationen über einen realistischen Gehalt hat, wird tendenziell zu wenig verlangen, weil deutlich überzogene Forderungen fast zwangsläufig zum Scheitern führen. Der erste Punkt – Risikoscheu – ist für unterschiedliches Verhalten von Männern und Frauen relevant, weil unzählige Studien zeigen, dass Frauen im Schnitt risikoscheuer sind, was bei Gehaltsverhandlungen zu geringeren Forderungen führen wird. Der zweite Punkt zeigt auf, dass die Bereitstellung von Informationen über realistische Löhne die Ergebnisse im Verhandlungsprozess stark beeinflussen kann. So weit theoretische Überlegungen. Ist das aber auch in der Praxis so?
Eine Studie von Nina Roussille vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) belegt die Relevanz beider Punkte. Roussille analysierte Daten der Jobvermittlungsplattform Hired.com (jetzt LHH recruitment services). Diese Plattform vermittelt vor allem Jobs in den Bereichen IT-Services (wie etwa Softwareprogrammierung) und Ingenieurwesen. 95 Prozent der Arbeitssuchenden haben einen Bachelorabschluss und circa 40 Prozent einen Masterabschluss oder höher. Circa 80 Prozent der Bewerber sind Männer und nur 20 Prozent Frauen, was in techniknahen Bereichen üblich ist. Die durchschnittlichen Jahresgehälter bei Abschlüssen über die Plattform liegen bei circa 120.000 US-Dollar.
Der Vermittlungsprozess der Plattform hat einige Besonderheiten, die ganz neue Analysen ermöglichen. Nennen wir die Arbeitssuchenden im Folgenden Bewerber. In einem ersten Schritt muss ein Bewerber den gewünschten Job (Art der Tätigkeit), den bevorzugten Standort (in den USA), seine Ausbildung und bisherige Berufserfahrung und den gewünschten Gehalt angeben. Diese Informationen werden dann von der Plattform an ein Unternehmen weitergegeben, das eine passende Stelle am gewünschten Ort hat. Dann kann in einem zweiten Schritt das Unternehmen an mehrere Bewerber eine Anfrage für ein Jobinterview schicken, in der das Unternehmen bereits bekanntgeben muss, welchen Gehalt es anbieten möchte. Wenn ein Bewerber in einem dritten Schritt die Einladung zum Jobinterview annimmt, dann kommt es zu Verhandlungen und gegebenenfalls einem Arbeitsvertrag, dessen Gehalt wiederum der Plattform gemeldet wird.
Nicht überraschend werden Jobinterviews umso häufiger von den Bewerbern abgelehnt, je weiter das Angebot des Unternehmens unter dem gewünschten Gehalt liegt. Trotzdem kommt es auch in solchen Fällen zu Interviews. Spannend ist aber, dass die Daten einen systematischen Unterschied zwischen Männern und Frauen zeigen. Frauen verlangen als Bewerber im ersten Schritt des Prozesses 2,9 Prozent weniger Gehalt (wenn man Männer und Frauen mit gleicher Ausbildung und Vorerfahrung vergleicht). Die Unternehmen bieten Frauen im zweiten Schritt – im Wissen um deren Gehaltsforderungen! – 2,2 Prozent weniger Gehalt an. Wenn es zu einem Vertrag kommt, erhalten Frauen 1,4 Prozent weniger als vergleichbare Männer. Der Unterschied wird im Laufe des dreistufigen Prozesses also immer kleiner, aber er verschwindet nicht ganz. Roussille kann zeigen, dass die geringeren Angebote für Frauen praktisch vollständig durch die geringeren Forderungen von Frauen bedingt sind, was gegen systematische Diskriminierung von Frauen als Erklärung für die 1,4 Prozent geringeren Gehälter spricht.
Im Jahr 2018 gab es für ungefähr ein Viertel aller Jobs eine minimale Änderung. Bei der Angabe des gewünschten Gehalts im ersten Schritt sahen Bewerber im betreffenden Feld als Voreinstellung das durchschnittliche Gehalt, das jemand mit ihrer Qualifikation und Erfahrung für den betreffenden Job in den vergangenen zwölf Monaten erhalten hatte. Diese Voreinstellung gab allen Kandidaten eine realistische Einschätzung, was erwartet werden konnte.
Diese kleine Änderung hatte große Effekte. Zwar veränderten Männer ihre Gehaltswünsche im ersten Schritt nicht, aber Frauen erhöhten sie um drei Prozent. Die Gehaltsforderungen waren also im ersten Schritt nicht mehr unterscheidbar zwischen Männern und Frauen. Im zweiten Schritt boten Unternehmen beiden im Schnitt gleiche Gehälter an und bei den tatsächlich zustande gekommenen Verträgen gab es auch keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen. Es braucht also keine ideologisch motivierten Eingriffe eines (deutschen) Bundesarbeitsgerichts (siehe meine Kolumne vom letzten Monat) für mehr Gehaltsgerechtigkeit, sondern ein cleveres Design im Verhandlungsprozess führt viel einfacher zum selben Ergebnis.
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