
Wenn Tiere reisen
Ferienzeit ist Reisezeit – auch für Tiere. Dass von den Haustieren allenfalls der Hund mit in den Urlaub darf, soll uns wenig kümmern. Dass manch wild lebende Tierart durch gewaltige Flugleistungen beeindruckt, ist hier ebenfalls kein Thema. Doch gleich wie der Warentransport über immer weitere Entfernungen sorgt auch der Ferienverkehr dafür, dass Tierarten neue Lebensräume für sich reklamieren, in denen noch vor wenigen Jahrzehnten niemand auf die Idee gekommen wäre, nach ihnen zu forschen. Einmal in Vorarlberg angekommen, hat der Klimawandel bereits für angenehme Lebensbedingungen gesorgt, und die Neuankömmlinge fühlen sich wohl. Aber nicht alle können sich hierzulande in dauerhaften Populationen etablieren. Verschleppte Einzelexemplare bleiben lediglich so lange, bis ihre natürliche Lebensuhr abgelaufen ist. Ihr Gastspiel im Ländle ist kurz, und in den meisten Fällen werden sie erst gar nicht bemerkt. Werden neue Arten aber in größerer Individuenzahl und in beiden Geschlechtern eingeschleppt, so steht der Eroberung des neuen Lebensraums nichts im Wege. In den meisten Fällen verläuft die „Invasion“ friedlich, und die Arten fügen sich unbemerkt in die hiesige Fauna ein – so unbemerkt, dass man nach ein paar Jahren meinen könnte, sie wären „eh schon immer“ da gewesen. Nur sehr wenige Arten erweisen sich als Störfaktoren, etwa indem sie bodenständige Arten verdrängen oder Schäden in der Landwirtschaft verursachen. Und nicht zuletzt sorgen manche Neuankömmlinge als mögliche Krankheitsüberträger für Verunsicherung. Ihnen muss unsere besondere Aufmerksamkeit gelten.
Am meisten Aufsehen aber erregen größere Einzeltiere, die, im Reisegepäck versteckt, als „blinde Passagiere“ mitgereist sind. Der Schrecken ist groß, wenn beim Auspacken ein Skorpion aus dem Koffer krabbelt. Auch Geckos gehören zu den häufigeren Reisemitbringseln. Während Skorpione für durchaus schmerzhafte Begegnungen sorgen können, geht von Geckos keine Gefahr aus – außer für Insekten, die man jedoch ohnehin nicht im Haus haben möchte. Aber einen Gecko oder gar einen Skorpion als Haustier zu adoptieren, ist mit rechtlichen Hürden verbunden. Auf die Frage, was mit solchen Tieren geschehen soll, folgt im Normalfall Ratlosigkeit. Ihnen „die Freiheit zu schenken“ ist gleichermaßen verboten, wie die Tiere als Kuriosa in die Sammlung der inatura aufzunehmen. Gibt es auch keinen Platz für ein Weiterleben, so spricht der Tierschutz klar gegen das Töten. Können solche Tiere aber unbemerkt entkommen, so ist diese Faunenverfälschung meist nicht von langer Dauer: Ein einzelnes, partnerloses Tier kann keine Population begründen. Selbst wenn es sich um ein bereits befruchtetes Weibchen handeln sollte, behindert der fehlende Austausch mit „familienfremden“ Tieren und damit verbunden eine genetische Verarmung die langfristige Etablierung.
Ganz anders ist das Bild bei Insekten und Spinnen, die – oft auch in größerer Zahl – im Gepäck oder im Fahrzeug versteckt in Vorarlberg, in Europa ankommen. Sie können lange unbemerkt bleiben, manchmal über Jahrzehnte. Und ebenso unbemerkt können sie neue Lebensräume erschließen. Nicht immer ist die Ausbreitungsgeschichte derart plausibel nachvollziehbar, wie beim Stahlblauen Grillenjäger (Isodontia mexicana). Der Artbeiname verrät, wo sich die ursprüngliche Heimat dieser Grabwespe zu suchen ist. Den Sprung über den Atlantik schaffte die Art gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Amerikanische Soldaten hatten ihre Ausrüstung mit Schilfmatten geschützt. Doch in den hohlen Schilfrohren hatten die Grabwespen ihre Brutkammern angelegt. Nach der Landung in Südfrankreich ließen die Soldaten die Matten im provisorischen Lager zurück. Dort schlüpften die als Larven verschleppten Tiere. Die ersten Generationen beschränkten ihren Aktionsradius auf das Umland des ehemaligen Militärlagers mit den immer noch bewohnbaren Schilfmatten. Dort wurden sie erst Anfang der 1960er Jahre entdeckt. Doch mit der Zeit suchten sich die Tiere neue Lebensräume – Isodontia mexicana ist heute in weiten Teilen Europas zu finden, seit zehn Jahren auch in Vorarlberg.
Die Ausbreitungsgeschichte des Stahlblauen Grillenjäger zeigt, wie passive Verschleppung und aktive Ausbreitung Hand in Hand gehen. Taucht eine Tierart an einem neuen Standort auf, so ist es müßig zu fragen, ob sie „per Anhalter“ oder aus eigener Kraft dorthin gelangt ist. In der Mehrzahl der Fälle wird es eine Kombination von beidem sein: Teilstrecken mit Auto oder Eisenbahn wechseln mit aktiver Erweiterung des Verbreitungsareals. Für Vorarlberg gilt: Jede wärmeliebende Art, die sich erfolgreich am Oberrhein nördlich von Basel etablieren konnte, hat das Potenzial, im „Kombiticket“ von Westen, dem Hochrhein entlang, ans östliche Bodenseeufer und weiter den Alpenrhein aufwärts zu gelangen.
Aber auch Langstreckenverschleppung – nicht nur über den Atlantik – ist keine Seltenheit. Die Springspinne Evarcha jucunda ist ebenfalls ein Tier mit Migrationshintergrund. Das erste Exemplar in Vorarlberg wurde in einem Wohnblock mit einem hohen Anteil an türkischstämmigen Bewohnern entdeckt – von einer Frau mit ausgeprägter Spinnenphobie. Ohne diese Angst wäre der kleine Krabbler wohl gar nicht aufgefallen: Die nur wenige Millimeter kleine Spinne kann sich mühelos verstecken, und sie sieht ihren heimischen Verwandten zum Verwechseln ähnlich. Ob die Art inzwischen zu den etablierten Neuankömmlingen gehört, wissen wir nicht. Zu schwierig ist es, ihr im Wohnbereich mit Fallen nachzustellen. Nur eines ist gewiss: Den Tieren ist es egal, von wem sie verschleppt werden, und auch ein Badeurlaub am östlichen Mittelmeer in Antalya oder Agia Napa, aber auch in Spanien oder Nordafrika kann zum Ausgangspunkt für eine tierische Fernreise werden.
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