J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Tödliche Schönheit

Oktober 2025

Der Herbst ist ins Land gezogen. Der tägliche Sonnenschein währt kürzer, das Wetter wird kühler. Und bereits seit einigen Wochen zeigt sich auf den Wiesen ein untrügliches Zeichen, dass sich das Jahr zu Ende neigt: Die Herbstzeitlose. Zu einer Zeit, da die meisten Blumen bereits verblüht sind, sorgt sie für lila Farbtupfer im Grün. So nett sie auch anzuschauen ist, bereitet sie den Landwirten keinen Grund zur Freude. Dass sie in größeren Mengen ins Heu gelangt, muss mit allen Mitteln verhindert werden. Denn die Herbstzeitlose ist eine unserer giftigsten Blütenpflanzen. Ihr Gift ist „zeitlos“. Das Alkaloid Colchicin bleibt in der getrockneten Pflanze (und damit im Heu), aber auch in der Silage lange Zeit erhalten. Einmal vom Tier aufgenommen, wird es über die Milch weitergereicht. Führt das direkt aufgenommene Gift ohne Gegenmaßnahmen binnen weniger Stunden zum Tode, so stehen kleinere, über eine längere Dauer mit der Milch verabreichte Dosen im Verdacht, Krebserkrankungen auszulösen. Und sogar über Todesfälle wird berichtet, bei denen das Gift mit der Milch übertragen wurde.
Colchicum autumnale – so der wissenschaftliche Name, mit dem Carl von Linné im Jahr 1753 die Pflanze belegte – „lost“ also den Herbst, sie sagt den autumnus, die Herbstzeit, vorher. Beim Gattungsnamen Colchicum wiederum dachte Linné an eine Landschaft am Schwarzen Meer, die Kolchis im heutigen Georgien. Die zauberkundige Medea der altgriechischen Sagenwelt soll dort ihre Heimat gehabt haben, wo ihr Vater Aietes, der König von Kolchis, über einen Garten mit Heil- und Giftpflanzen wachte. Auch er soll ein Magier und Giftkundiger gewesen sein. Die Wirkung der Herbstzeitlose war bereit in der Antike bekannt. Der Name colchicon taucht erstmals um die Mitte des 1. Jahrhundert zur Zeit Neros in den Schriften des Dioskurides auf. Auch wenn nicht restlos geklärt ist, welche Pflanze der Pionier der Pharmakologie mit diesem Namen belegt hatte, so deutet seine Beschreibung darauf hin, dass eine Vertreterin der Gattung der Zeitlosen damit gemeint war. Bei späteren Ärzten und Naturkundigen der Antike fehlt dieser Name. Die Droge wurde im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich bezeichnet. So erscheint sie im 6. Jahrhundert bei Alexander von Tralleis als hermodactylus („Hermesfinger“). Aber erst im 18. Jahrhundert wurde ihre Wirkung pharmakologisch untersucht. Experimente mit Freiwilligen zeigten, dass die Giftigkeit der Knolle mit der Jahreszeit schwankt. In kleinsten Mengen nach längerer Lagerung fand das Gift gegen die „Wassersucht“ Verwendung. Und in England wurde früh eine Tinktur aus der Wurzel gegen die Gicht verordnet – eine Krankheit, bei der Colchicin noch heute (freilich unter ärztlicher Kontrolle in geringsten Dosen als fremdstofffreies Präparat) verabreicht wird. 
Nicht nur der späte Blühtermin unterscheidet die Herbstzeitlose von anderen Pflanzen. Über der Erdoberfläche zeigt sie sich nur im Frühling und im Herbst. Wenn gegen Ende des Sommers die ersten Blüten erscheinen, sind keine Laubblätter mehr zu finden. Ihre Blütenhüllblätter sind zu einer langen Röhre verwachsen. Diese führt zum Fruchtknoten tief in der Erde, dem weiblichen Teil der zwittrigen Pflanze. In der Blüte über der Erde hingegen befinden sich die Staubblätter, die den Pollen bereitstellen. Insekten sorgen für die Bestäubung, aber auch Selbstbestäubung ist möglich. Die nackte, blattfreie Blüte galt einst als Symbol der Unkeuschheit – in manchen Gegenden der Schweiz wurde die Herbstzeitlose daher als „Blutts Mäitli“ („Nacktes Mädchen“) bezeichnet, in gewissen Gebieten Deutschlands als „Nackte Hure“ beziehungsweise „Nackte Jungfer“. Den Winter überdauert sie als unterirdische Knolle. Im Frühjahr – und nur in dieser Jahreszeit – zeigen sich die Blätter. Die von ihnen durch Photosynthese gewonnene Energie speichert die Pflanze in ihrer unterirdischen Knolle. Die Samenkapseln wachsen zwischen den Blättern. Gegen Ende der Reifezeit verfärben sich die Blätter und trocknen ein. Die Samenkapseln platzen auf und entlassen die Samen. Sie werden von Tieren verbreitet. Nach einer Phase der Inaktivität im Sommer startet der Zyklus im Herbst aufs Neue.
Nicht auf allen Wiesen ist die Herbstzeitlose zu finden. Sie bevorzugt nährstoffreiche, feuchte Standorte mit tiefgründigen Lehm- und Tonböden, oft nahe an Bächen und Gräben. Sonnig oder halbschattig sollte der Wuchsort sein, warm, und nicht ungeschützt dem Wind ausgesetzt. Die Pflanze ist trittempfindlich, und auch häufige Mahd behagt ihr nicht. Sie weicht auf feuchte Wiesen (oft in Schutzgebieten) aus, die maximal zwei- bis dreimal im Jahr gemäht werden. Im Wirtschaftsgrünland findet sie sich auf Flächen mit einem späten ersten Schnitt oder auf Wiesen mit einem späten Weidebeginn.
Auf der Weide meidet das Vieh die giftige Pflanze. Nur junge und unerfahrene Tiere laufen Gefahr, auch die Blätter der Herbstzeitlose zu fressen. Im gehäckselten Grünfutter, im Heu und in der Silage aber können auch erfahrene Tiere die Pflanze nicht mehr erkennen. Bereits geringe Mengen führen zu schweren Erkrankungen bis hin zum Tod. Schnittgut, das Herbstzeitlosen enthält, darf daher nicht verfüttert werden. Es muss entsorgt werden. Die effektivste Methode, ihren Bestand zu regulieren, ist gleichzeitig die aufwendigste: Im Mai werden die Knollen händisch ausgestochen. Bei zunehmender Pflanzendichte empfiehlt sich ein Frühschnitt im April, sobald die Samenkapseln weit genug über der Erde sind, mit nachfolgendem Mulchen. Damit werden nicht nur die Samenkapseln vernichtet. Weniger Blätter bedeuten auch geringere Energiereserven in der Knolle, und die Pflanze wird geschwächt. Wird hingegen erst im Mai gemulcht, so fördert dies auf Dauer Arten intensiv bewirtschafteter Wiesen. Der Einsatz von Herbiziden ist für Biobetriebe und auf Naturschutzflächen selbstverständlich verboten.
So faszinierend die Herbstzeitlose in ihrem Lebenszyklus ist, so unerwünscht ist sie in der Landwirtschaft. Trotz ihrer Giftigkeit wird sie dennoch als Zierpflanze gehandelt. Die Verwechslung ihrer Blätter mit denen des Bärlauchs aber kann tödlich enden.

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