
„Bregenz“ fliegt
Vorarlberg staunte nicht schlecht, als ab 1910 die ersten motorbetriebenen Flugzeuge am Himmel zu sehen waren. Viele vergebliche Starts und etliche Bruchlandungen später gelang es findigen Pionieren in Vorarlberg, selbst ein Flugzeug zu bauen, das flugtauglich war.
Als das Motorflugzeug „Bregenz“ am 13. Oktober 1929 in Höchst erfolgreich vom Boden abhob, wurde ein entscheidendes Kapitel der Vorarlberger Luftfahrtgeschichte aufgeschlagen. Walter Kittelberger, einem Pionier der heimischen Fliegerei, war es gelungen die WKM I (Walter Kittelberger Motorflugzeug 1), so die Typenbezeichnung, in Eigeninitiative bis zur Flugreife zu entwickeln. Bereits aus dem Jahr 1916 datiert ein Foto, das ihn mit einem selbstgebauten Segelflieger zeigt und das mit „1916 – erster in Vorarlberg gebauter Hängegleiter von Walter Kittelberger“ beschriftet ist. Sollte die Datierung stimmen, wäre der Erbauer damals gerade erst 15 Jahre alt gewesen. 13 Jahre später präsentierte er dann im Bregenzer Austriahaus seinen ersten mit Motor betriebenen Flieger zunächst am Boden. Das Vorarlberger Volksblatt kommentierte damals überschwänglich: „Im Saale des Austriahauses an der Belruptstraße hatte am Samstag und Sonntag der junge Mechaniker Walter Kittelberger ein von ihm in seinen Mußestunden erbautes Sportflugzeug, das den Namen ‚Bregenz‘ führt, zur allgemeinen Besichtigung ausgestellt. Schon beim ersten Blick fällt die elegante Form der Maschine ins Auge, die mit aller Sorgfalt hergestellt ist. […] Das Flugzeug, das außer dem Führer noch einen Fluggast und Gepäck aufnehmen kann, wird im nächsten Monat im Rheindelta seine Probeflüge machen.“ Im Herbst 1929 erhielt Kittelberger dann die behördliche Genehmigung zur Erprobung des Flugzeuges, am 13. Oktober war es dann endlich so weit: Die „Bregenz“ konnte sich in die Lüfte erheben.
„Die Maschine zeigte sich in fliegerischer Hinsicht über alles Erwarten gut. Mehrere schöne, besonders in den Nachmittagsstunden vorgenommene Flüge bewiesen die tadellose Stabilität und unbedingte Flugtauglichkeit. Größere Flüge werden in nächster Zeit stattfinden und man darf denselben mit größter Erwartung entgegensehen.“ (Vorarlberger Landes-Zeitung). Das Flugzeug war vorwiegend aus Fichten-, Föhren- und Eschenholz gefertigt und es wurde auf die damals übliche Stoffbespannung verzichtet. Stattdessen wurden sämtliche Flächen mit ein Millimeter starkem Sperrholz beplankt, was einen torsionsfesten (verwindungsstabilen) Bau gewährleistete. Der Passagier saß auf dem vorderen Sitz, zu dem er über einen kleinen seitlichen Eingang gelangte. Der Pilot stieg von oben zu und nahm auf dem hinteren Sitz Platz, wobei sich der Treibstofftank genau zwischen den beiden Sitzen befand. 1934 wurde das Flugzeug noch in der Zeitschrift „l’Aerophile Salon“ vorgestellt, obwohl in der Firmengeschichte überliefert ist, dass die Maschine schon bald bei einer Landung schweren Schaden erlitten hatte, was vermutlich weitere Starts verunmöglichte. „Möglicherweise war die WKM I schon im Oktober 1930 nicht mehr funktionstüchtig, da Walter Kittelberger zu diesem Zeitpunkt den 2-Zylinder-M.A.G.-Motor, Zustand ‚wie neu‘, zum Verkauf anbot“, sagt der Experte Willi Rupp aus Hörbranz.
Wenn man in der Landesbibliothek die Fülle an Wissen betrachtet, die sich dank beharrlicher Forschung zu bestimmten Themen, in diesem Fall zur Geschichte des Flugwesens, anhäuft, ist man immer wieder erstaunt, welche Früchte Begeisterung und oft lebenslanges Interesse tragen können. Im Falle des Vorarlberger Flugwesens ist dies in ganz besonderem Maße der Initiative von Willi Rupp aus Hörbranz und Lothar Kurzemann aus Lustenau zu verdanken, die sich in ganz unterschiedlicher Weise dem Thema annähern.
Willi Rupp, mittlerweile pensionierter Mittelschullehrer, veröffentlichte 1978 mit 25 Jahren seinen ersten Artikel in „Hörbranz aktiv“, dem dortigen Gemeindeblatt, über den Mühlbach, 47 Jahre später schreibt er immer noch regelmäßig, neuerdings „Klostergeschichten“ aus dem aufgelassenen Salvatorkolleg. Dazwischen liegen weit über 300 Veröffentlichungen: Es sind dies Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie Bücher, die seiner Funktion als Gemeindearchivar von Hörbranz entsprechend, vor allem der Gegend des Leiblachtals gewidmet sind. Ein Spezialgebiet von Willi Rupp ist die Geschichte der Technik und Mobilität, wo seine Expertise weit über die engere Heimat hinausreicht.
Seien es die ersten Autos, Omnibusse, Flugzeuge, Fahrräder, alles, was sich bewegt erregt das Interesse des Heimatforschers und animiert ihn zu weiteren Recherchen. Zuletzt veröffentlichte er ein Standardwerk zu „Hans Varrone – Porsches vergessener Ingenieur“, der zwischenzeitlich auch in Hard tätig war. Der Dynastie der Kittelbergers, allesamt Pioniere der Vorarlberger Luftfahrt, widmete Rupp vor einigen Jahren sogar eine eigene Serie in den Vorarlberger Nachrichten, wobei er zur Illustration zahlreiche spektakuläre Fotos aus seinem privaten Archiv beisteuerte.
Der andere Experte für das frühe Flugwesen in Vorarlberg ist Lothar Kurzemann, Jahrgang 1945, dessen erste und bisher einzige in der Landesbibliothek verzeichnete Publikation das bemerkenswerte, 2024 erschienene Buch „Fliegen in Vorarlberg, von den Anfängen bis heute“ ist. Im Untertitel heißt es dort: „100 Jahre Erinnerungen und Geschichten vom Fliegen. Diese berichten von Vorarlberger Flugpionieren, beginnend mit den ersten Versuchen im Jahr 1916 und den Erfolgen mit selbst gebauten Fluggeräten den Himmel zu erobern, bis zum heutigen modernen Flugwesen am Flugplatz Hohenems im Jahr 2023.“
Lothar Kurzemann war ein Leben lang mit der Fliegerei verbunden. 1970 erwarb er in der Flugschule Aigen im Ennstal den Schein für Segelflugzeuge, war Mitglied der Sportfliegergruppe Dornbirn, absolvierte insgesamt 920 Starts mit Segelflugzeugen und blieb bis 2021 aktiver Hobby-Flieger. Im Rückblick auf das gelungene und reich illustrierte Buch kommt er zu folgendem Schluss: „Das Sammeln von Daten, Bildern und Fakten zur Geschichte der Fliegerei war eine aufwändige, aber befriedigende Aufgabe beim Ausstieg aus der aktiven Fliegerei.“ Im Zuge der Recherchen haben sich bei ihm rund 2500 Fotos über das Vorarlberger Flugwesen angesammelt, zusammengetragen aus zahlreichen Fotoalben der Vorarlberger Fliegerszene. Da im Buch nur ein Bruchteil der vorhandenen Fotos gezeigt werden kann, nimmt die Vorarlberger Landesbibliothek das Angebot von Lothar Kurzemann, in Zukunft alle Fotos auf der Bilddatenbank volare zu veröffentlichen, natürlich begeistert auf. Dankenswerterweise haben auch die meisten Besitzer der Alben die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt.
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Kurzemann, Lothar: „Fliegen in Vorarlberg. Von den Anfängen bis heute“, Lustenau 2024, erhältlich nur in DAS BUCH, Messepark
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