Peter Freiberger

Chicago in Vorarlberg: Krieg am Straßenstrich

Oktober 2016

Zwei Tote nach einer Schießerei in einem Café, zwei weitere bei einem Sprengstoffanschlag auf einen Wohnwagen, ein verhinderter Attentäter, der selbst mit dem Leben bezahlte – das sind nur ein paar „Höhepunkte“ der berüchtigten Zuhälterkriege in Vorarlberg in den späten 1970er- und den 1980er-Jahren. Viele wollten König im Rotlichtmilieu sein. Aber statt in einem Palast landeten letztendlich praktisch alle, die überlebten, im Gefängnis.

Blicken wir rund 40 Jahre zurück. Offizielle Bordelle gab es in Vorarlberg keine, im benachbarten Ausland waren sie lediglich dünn gesät. Und in den paar, die existierten, kostete käuflicher Sex ein kleines Vermögen. Am heimischen Straßenstrich hingegen mussten die Freier weit weniger tief in die Geldtasche greifen – ein Umstand, den vor allem preisbewusste Schweizer schätzten. Das Interesse potenter Eidgenossen sprach sich rasch in ganz Österreich herum. Die offensichtliche Marktlücke lockte zahlreiche Prostituierte aus Innerösterreich bzw. Kärnten nach Vorarlberg und hier besonders an die Schweizer Grenze. „Und mit den Damen kamen gleich die Beschützer mit“, erinnert sich Norbert Schwendinger vom Landeskriminalamt Vorarlberg, seinerzeit als junger Gendarm am Posten Höchst unmittelbar mit den Geschehnissen in der Rotlichtszene konfrontiert.

Zum Hotspot des Straßenstrichs im Land entwickelten sich schnell die landläufig als Betonstraße bezeichnete L 202 (Schweizer Straße) von Bregenz bis Höchst, die Gegend um Lustenau und der grenznahe Raum in Feldkirch. Und überall waren die Damen scharf auf die besten, weil gewinnträchtigsten Standplätze. „Je näher zur Schweiz, desto besser“, sagt Norbert Schwendinger. Außerordentlich begehrt: Die Rheinbrücke zwischen Hard und Fußach. Logisch, dass die Zuhälter das Interesse ihrer Damen teilten und sich für sie starkmachten – im wahrsten Sinn des Wortes. Ebenso logisch, dass dies nicht konfliktfrei vonstatten gehen konnte.

Kaum vorstellbare Brutalität

Die Zuhälter schlossen sich zu verschiedenen Gruppen zusammen, die sich regelrecht bekriegten und eine kaum vorstellbare Brutalität an den Tag legten. „Jede Gruppe wollte die Vorherrschaft“, erinnert sich Schwendinger. Opfer waren vorprogrammiert. So erschoss beispielsweise 1978 in Lustenau ein 24-jähriger Zuhälter einen Konkurrenten in Wildwestmanier schnörkellos aus dem fahrenden Auto heraus im fahrenden Auto. Besonders makaber an dem Milieuverbrechen: Das führerlose Fahrzeug des Opfers krachte anschließend in das Haus eines weiteren „Beschützers“. Auch in Feldkirch sollte ein Attentat auf einen Konkurrenten verübt werden. Dem potenziellen Attentäter kam allerdings seine Nervosität in die Quere – und der Leibwächter des Zuhälters. Der fackelte nicht lange und erschoss den Angreifer.

Ungeklärt ist nach wie vor der Sprengstoffanschlag auf einen Wohnwagen in Bregenz, in dem sich ein Zuhälter mit seiner siebenjährigen Ziehtochter befand. Beide überlebten den Anschlag nicht, vom Täter fehlt bis heute jede Spur. Zwischendurch wollten die Rotlichtgrößen Revierprobleme einmal anders – und nicht „standesgemäß“ – in Gesprächen klären und lösen. Dazu trafen sich sieben Zuhälter im ehemaligen Gasthaus Helvetia in Lustenau. Letztlich konnten sie das Wort „Konsens“ aber doch nicht buchstabieren. Jedenfalls gab es keine einvernehmliche Lösung – dafür eine Schießerei. Die Bilanz des bleigeladenen „Meetings“: zwei Tote, mehrere Schwerverletzte. Nicht nur ihren „Kollegen“ bzw. Konkurrenten gegenüber verhielten sich die harten Burschen brutal, hin und wieder bekamen auch die Freier deren Gnadenlosigkeit zu spüren. Weil sich eine der Damen von einem Kunden bedrängt fühlte, informierte sie ihren „Beschützer“. Der machte mit dem Mann kurzen Prozess: Er erdrosselte ihn in Lochau.

Den Mord an einer Prostituierten, deren Leiche im Lauteracher Jannersee lag, hat deren „Beschützer“ freilich nicht verhindern können. Als Täter stellte sich ein Freier der Dame heraus. Offenbar zwischen die Fronten geraten war wohl eine 19-jährige Dirne, die sich keinem Zuhälter hatte anschließen wollen. Ihre verweste Leiche entdeckte man in einer Wiese – Todesursache unklar. Irgendwann hatten die Zuhälter dann sogar die ermittelnden Polizisten auf ihrem Radar. Es kam unter anderem zu massiven bzw. versteckten Drohungen. „Beispielsweise fuhren sie Beamten nach dem Nachtdienst nach“, erzählt Kriminalist Schwendinger. Und sie zeigten durch ganz konkrete Attacken, dass sie Ermittlungen gar nicht schätzten.

Unmoralische Geldangebote

Besonders betroffen waren die Gendarmen vom Posten in Höchst. Es passierte schon einmal, dass das Privatauto eines der Beamten mit Säure übergossen wurde. „Finger weg von uns!“ lautete die Botschaft aus der Unterwelt. Auch mit unmoralischen Geldangeboten versuchte es die Rotlichtszene. Die Mühen hätten sich die Zuhälter sparen können … Als die Lage zu eskalieren drohte, erhöhte die Exekutive die Schlagkraft. In der Nacht stand ab sofort eine zusätzliche Streife im Einsatz, intern als „Dirnenpatrouille“ bezeichnet.

Die Bemühungen verfehlten ihre Wirkung nicht. Außerdem wurde das Milieu langsam unvorsichtig, die „Proponenten“ pflasterten sich quasi selbst ihren Weg Richtung Knast. So sollte eine Randperson der Szene im Auftrag einer Unterweltgröße einen Konkurrenten umbringen. Zu dessen Glück berichtete er der Gendarmerie von dem nie ausgeführten Mordauftrag. Fazit: Der Auftraggeber landete für viele Jahre hinter Gittern.

Dieses Schicksal teilten nach und nach die meisten seiner Kollegen und Konkurrenten. Ohne ihre „Beschützer“ wollten wiederum die leichten Damen nicht in Vorarlberg bleiben und wanderten schließlich ab. Ende der 1980er-Jahre war es nach den langen wilden Zeiten wieder ruhig in Vorarlberg. Allerdings ereignete sich 1992 noch einmal ein „Ausreißer“, als ein Zuhälter von einem Rivalen mit dem bezeichnenden Namen „Puff“ erschossen wurde. Helmut Wechner, im Landeskriminalamt mit dem Thema Menschenhandel und Schlepperei befasst, kann über die seinerzeitige Brutalität bloß den Kopf schütteln. Zwar gebe es in Vorarlberg heute den einen oder anderen Zuhälter, von denen möchte jedoch keiner in Konflikt mit der Polizei geraten.

Die „Größen“ von damals befinden sich längst wieder auf freiem Fuß, sie spielen – nicht zuletzt ob ihres Alters – freilich keine Rolle mehr in der überschaubaren Szene. An den Damen nagte gnadenlos der Zahn der Zeit, Jüngere rückten kaum nach. Und die Betonstraße ist mittlerweile nur noch Hotspot für den Autoverkehr.

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