Peter Bussjäger

Peter Bussjäger (*4. Mai 1963 in Bludenz) ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Bußjäger war zehn Jahre Direktor des Vorarlberger Landtags. Der Bludenzer ist Professor an der Universität Innsbruck, Direktor des Instituts für Föderalismus und Forschungsbeauftragter des Liechtenstein-Instituts sowie Mitglied des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs. 

(Foto: © Heinz Stanger)

Hochverrat auf dem Bodensee?

November 2016

Als ich unlängst in einem Flugzeug der Swiss auf dem Monitor in der Kabine den Anflug nach Zürich auf einer digitalen Landkarte mitverfolgte, war auf dieser auch der Bodensee zu sehen. Er war durch dicke Grenzlinien in drei Stücke zerteilt – je eines, in unterschiedlicher Größe, für Österreich, Deutschland und die Schweiz. „Ganz schön frech“, dachte ich mir, denn das, was auf dem Bildschirm zu sehen war, war eigentlich nicht mehr als eine Wunschvorstellung der Schweizer. Für einen diplomatischen Protest besteht trotzdem kein Anlass: Wo auf dem Bodensee die Grenze verläuft, weiß nämlich niemand. Oder zumindest nicht genau.

Auf dem Bodensee gibt es nämlich nicht nur keinen Grenzzaun, sondern auch keinen offiziellen, von allen Anrainerstaaten, also Deutschland, der Schweiz und Österreich, anerkannten Grenzverlauf. Die drei Staaten sind sich nämlich nicht einig, wem der See „gehört“.

  • Die Schweiz ist der Auffassung, dass der Bodensee in insgesamt drei Teile gegliedert ist, von denen zwei relativ groß sind und der dritte ziemlich klein ist und nicht viel mehr als die Bregenzer Bucht umfasst. Dieser Abschnitt gehört zu Österreich, die beiden anderen Teile sind der Schweiz und Deutschland zugeordnet. Diese Meinung wird als Real­teilungstheorie bezeichnet.
  • Die österreichische Auffassung, die sogenannte Kondominiumstheorie, ist etwas komplizierter: Bis zu einer Wassertiefe von 25 Metern gehört der Bodensee dem jeweiligen Uferstaat, ab dieser Tiefe ist er sozusagen gemeinsamer Besitz aller Anrainerstaaten, ein Kondominium eben.
  • Von Deutschland kennen wir keine offizielle Auffassung zur Bodenseegrenze.

Die originelle österreichische Rechtsauffassung wird auf einen Juristen namens Wegelin zurückgeführt, der sie in einer 1724, also vor gut 300 Jahren, verfassten Dissertation erstmals vertreten hat. In dieser Zeit entwickelten sich allmählich die modernen Staaten und mit ihnen die Staatsgrenzen. Logischerweise profitiert Österreich von dieser Theorie: Erstens „gehört“ dadurch der gesamte hohe See zu Österreich (und Vorarlberg), zweitens verschiebt sich das ausschließliche österreichische Staatsgebiet (bis zu 25 Meter Wassertiefe) durch die Rheinauflandung immer weiter in den See hinaus.

Bemerkenswerterweise war man sich gerade in Vorarlberg niemals ganz sicher: 1927 intervenierte der damalige Landeshauptmann Otto Ender sogar in Wien zugunsten der Schweizer Position – weil er hoffte, mit einem klaren Grenzverlauf den Schmuggel besser eindämmen zu können. Das Bundeskanzleramt lehnte es allerdings ab, sich auf das Thema einzulassen. Man hatte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg von Grenzverträgen genug.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es dagegen plötzlich die Wiener Ministerien, die dem Ansinnen der Schweiz (Deutschland hielt sich da stets raus), den Bodensee real zu teilen und Österreich mit der kleinen Bregenzer Bucht abzufinden, positiv gegenüberstanden. Vorarlberg wiederum vertrat nun, völlig konträr zur Zeit zwischen 1918 und 1938, die Kondominiums­theorie. Alle Landesdienststellen wurden vom Landesamtsdirektor angewiesen, von der Einzeichnung einer Grenze auf dem Bodensee Abstand zu nehmen, weil „eine derartige Staatsgrenze nach österreichischer und deutscher Auffassung nicht besteht“.

Es bedurfte jahrelanger eindringlicher Überredung durch die Vorarlberger, bis sich die Wiener Ministerialbürokratie bei einer „interministeriellen Besprechung“ am 18. Jänner 1961 unter der Leitung des damaligen Gesandten und späteren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger darauf verständigte, die von Vorarlberg nunmehr vertretene Kondominiumstheorie zum österreichischen Standpunkt zu erklären. 1984 schrieb der Vorarlberger Landtag die Kondominiumstheorie sogar in der Landesverfassung fest. Sie hat für Österreich nur einen einzigen kleinen Nachteil: In der Bregenzer Bucht fällt ein kleines Stück in den gemeinschaftlichen Herrschaftsbereich der drei Staaten, über den sonst Österreich den ausschließlichen Anspruch hätte. Ein Rechtsanwalt, für den dieses Resultat in einem konkreten Rechtsstreit ungünstig war, erstattete daraufhin Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen die Schöpfer der neuen Landesverfassung wegen angeblichen Hochverrats. Die Anzeige wurde wohl zurückgelegt, den Akt hätte ich gerne gelesen.

Es ist heute für die friedlich aneinander grenzenden Nachbarn kein besonderes Problem, dass sie jeweils unterschiedliche Auffassungen über die Bodenseegrenze vertreten, weil man sich über die wesentlichen Fragen wie etwa die Rheinregulierung, die Bodenseefischerei und vor allem auch die Reinhaltung des Sees meistens verständigen konnte. So ist der See ein schönes Symbol guter Zusammenarbeit in einer Zeit, in der sich viele Staaten Europas immer mehr abschotten. Dass es auch andere Konstellationen gibt, zeigt der noch immer ungelöste Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien über den Verlauf ihrer Grenzen in der Bucht von Piran in der oberen Adria, wo sich zwei EU-Mitglieder bitter befehden.

Über die Bodenseegrenze auf dem Monitor der „Swiss“ kann man schmunzeln. Wenn allerdings österreichische Darstellungen sogar staatlicher Stellen, was zuweilen vorkommt, noch einen Grenzverlauf auf dem Bodensee eingezeichnet haben, dann handelt es sich um Ignoranz gegenüber den eigenen Interessen.

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