Peter Bussjäger

Peter Bussjäger (*4. Mai 1963 in Bludenz) ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Bußjäger war zehn Jahre Direktor des Vorarlberger Landtags. Der Bludenzer ist Professor an der Universität Innsbruck, Direktor des Instituts für Föderalismus und Forschungsbeauftragter des Liechtenstein-Instituts sowie Mitglied des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs. 

(Foto: © Heinz Stanger)

Ein guter Kunde

November 2020

Der frühere Landeshauptmann Ulrich Ilg (1945 – 1964) schreibt in seinen Lebenserinnerungen, das Land Vorarlberg habe nach 1945 den Ruf gehabt, „Stammkundschaft beim Verfassungsgerichtshof“ zu sein. Er meinte damit einerseits, dass das in einem zentralistischen Bundesstaat um seine Rechte kämpfende Vorarlberg besonders häufig den Weg zum Verfassungsgerichtshof gesucht habe, andererseits, dass die Bundesregierung immer wieder Vorarlberger Landesgesetze angefochten hatte, weil sie ihr kompetenzwidrig schienen.
In der Betrachtung durch Zeithistoriker wurde diese Formulierung zuweilen auch ins Negative gewendet. Besonders gern wird in diesem Zusammenhang der seinerzeitige Landesamtsdirektor Elmar Grabherr dämonisiert, der als Mastermind hinter föderalistisch inspirierten, vom Landtag beschlossenen Gesetzen gesehen wird, die dann als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Als typisches Beispiel wird insbesondere die Aufhebung des Sicherheitsgesetzes des Landes durch den VfGH im Jahre 1977 genannt. Dieses Gesetz hatte die Bürgermeister verfassungswidrigerweise mit weitreichenden Handlungsermächtigungen auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei ausgestattet. Das Erkenntnis des VfGH war ein arger Verriss eines Landesgesetzes, das in der zeithistorischen Betrachtung denn auch als alemannische Attacke auf die Grundrechte interpretiert wurde.
Das Beispiel zeigt, dass das Bonmot vom Stammkunden des Verfassungsgerichtshofes weit über die Amtszeit Ulrich Ilgs hinaus betrachtet werden muss. Aber entsprach das, was Ilg in seinen Lebens­erinnerungen nonchalant plaudert und zuweilen unbesehen und ungeprüft uminterpretiert wird, überhaupt der Realität?

Gesetzesprüfung durch den VfGH

Die Bundesverfassung sieht vor, dass die Bundesregierung Landesgesetze beim VfGH auf ihre Verfassungskonformität prüfen lassen kann ebenso wie umgekehrt Landesregierungen Bundesgesetze vor den VfGH ziehen können. Das ist ein wechselseitiger Kontrollmechanismus, der helfen soll, die Balance im Bundesstaat zu wahren. Zwischen 1945 und 2019 entschied der VfGH in insgesamt 102 derartigen Fällen, 106 Anträge wurden gestellt (einige wenige Bundesgesetze wurden von mehreren Ländern angefochten, daher die größere Zahl). 
Tatsächlich hat kein anderes Land so oft wie Vorarlberg den Weg zum VfGH beschritten, nämlich insgesamt in 18 Fällen. Die Anträge der Vorarlberger Landesregierung sind fast so hoch wie die Anfechtungen der Bundesregierung von Landesgesetzen insgesamt, nämlich 25. Von diesen bezogen sich wiederum 13, also mehr als die Hälfte(!) auf Vorarl­berger Landesgesetze.
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Es gibt kein Land, das so oft den VfGH anrief, aber auch keines, dessen Landesgesetze so oft von der Bundesregierung vor den VfGH gezogen wurden.

Match Vorarlberg - Bund

Die Erfolgsquote Vorarlbergs liegt ungefähr bei der Hälfte: in 52 Prozent der Fälle wurde bisher dem Antrag zumindest teilweise stattgegeben. Das ist nicht schlecht. Noch besser schneidet jedoch die Bundesregierung ab, deren Anträgen vom VfGH in 73 Prozent der Fälle (bezogen auf sämtliche Anfechtungen von Landesgesetzen) zumindest teilweise stattgegeben wurde.
Betrachtet man nur die Regierungszeit Ulrich Ilgs, so fällt auf, dass die Gesetzesanfechtungen vor dem VfGH nach 1945 zunächst ausschließlich ein Match zwischen dem Bund und dem Land Vorarlberg waren. Erst 1952 gesellte sich das Land Wien hinzu, mit der Zeit auch andere Länder. Es stimmt schon: Kein anderes Land setzte sich so energisch für seine Rechte ein, freilich auch mit dem Risiko, beim VfGH zu scheitern.

Bilanz

In der Ilg-Ära beschritt das Land Vorarlberg in elf Fällen den Weg zum VfGH und war immerhin sieben Mal zumindest teilweise erfolgreich. Die Bundesregierung obsiegte freilich in allen sieben Fällen zumindest teilweise. 
Das sind aber nur die Zahlen. In einer Angelegenheit, die dem Land besonders wichtig war, nämlich die Suspendierung von Heimatrecht und Landesbürgerschaft durch ein Verfassungsgesetz des Bundes, scheiterte das Land 1952, ebenso wie mit seiner allerersten Anfechtung im 1947, dem Arbeiterkammergesetz. 
Keine Niederlage dürfte Ulrich Ilg so sehr geschmerzt haben, wie das berühmte „Rundfunkerkenntnis“ des VfGH aus dem Jahre 1954. Der VfGH erkannte, dass Rundfunk ausschließliche Bundeskompetenz ist und die Länder keinen eigenen Sender betreiben durften. Als Konsequenz daraus musste die Landesregierung den Sender Dornbirn endgültig dem Bund übergeben. Der empörte Ulrich Ilg wollte den kurz zuvor von Bundespräsident Körner empfangenen Orden für Verdienste um die Republik Österreich zurückschicken. Bundeskanzler Raab konnte den Landeshauptmann jedoch überzeugen, dass die Zurücksendung des Ordens in Wahrheit eine Brüskierung des Bundespräsidenten sei, weshalb Ilg von seinem Vorhaben Abstand nahm und den Orden dem Vorarlberger Landesarchiv übergab.

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