Peter Bussjäger

Peter Bussjäger (*4. Mai 1963 in Bludenz) ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Bußjäger war zehn Jahre Direktor des Vorarlberger Landtags. Der Bludenzer ist Professor an der Universität Innsbruck, Direktor des Instituts für Föderalismus und Forschungsbeauftragter des Liechtenstein-Instituts sowie Mitglied des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs. 

(Foto: © Heinz Stanger)

Von den Kirchtürmen in die Region

Juni 2017

Gemeinden müssen innovative Kooperationen suchen – ist die Zahl der Gemeinden in Stein gemeißelt?

Die Zahl der Gemeinden in Vorarl­berg ist seit etwa 70 Jahren unverändert. Die Nationalsozialisten hatten nach dem sogenannten „Anschluss“ nicht lange gefackelt und schon im September 1938 mehrere Gemeindezusammenlegungen verfügt: Lochau, Eichenberg, Kennelbach und Fluh waren Bregenz eingemeindet worden; Höchst, Gaißau und Fußach waren zur neuen Gemeinde Rheinau zusammengeschlossen worden. Reuthe wurde an Bezau angeschlossen, Stallehr an Bludenz und Bolgenach an Hittisau. 1946 wurden in den betroffenen Gemeinden über Beschluss des Landtages Volksabstimmungen abgehalten. Die meisten entschieden sich dafür, ihre frühere Eigenständigkeit wiederzuerlangen, lediglich Hittisau und Bolgenau sowie Bregenz und Fluh blieben zusammen.

Während die Gemeindestrukturen in Vorarlberg keine Veränderung erfahren haben, wurde in den letzten Jahrzehnten in vielen Staaten Europas die Zahl der Gemeinden massiv reduziert: In ganz Dänemark gibt es beispielsweise gerade noch 98 Gemeinden, also etwa so viele wie in Vorarlberg. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Trend überall besteht: In Frankreich dagegen gibt es nach wie vor die fast unglaubliche Zahl von 36.000 Gemeinden!

In der Schweiz sind Gemeindefusionen nach wie vor an der Tagesordnung. Und auch Österreich hat seine Gemeinden massiv reduziert: Nach Fusionswellen in den 1970er-Jahren in Kärnten und Niederösterreich wurde unlängst auch in der Steiermark die Zahl der Gemeinden halbiert. Bedeutet das nicht auch für Vorarlberg, dass über Gemeindefusionen zumindest diskutiert werden sollte?

Zurückhaltung angebracht

Neuere Erkenntnisse legen Zurückhaltung nahe: Eine 2016 publizierte Studie des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden hat Gemeindefusionen in ganz Europa analysiert. Das Ergebnis ist zwiespältig. Es gibt eine große Bandbreite zwischen tatsächlich erzielten Einsparungen und Fusionsprojekten, die sogar teurer gekommen sind als vorher. Bürgerzufriedenheit und Wahlbeteiligung sind insgesamt eher gesunken.

Der renommierte Schweizer Ökonom Christoph Schaltegger und die junge Forscherin Janine Studerus haben jüngst in der Schweiz 142 Gemeindefusionen untersucht und konnten keine wesentlichen Einsparungseffekte entdecken. Geringfügigen Kostenreduktionen beim politischen Apparat standen Ausgabensteigerungen in anderen Budgetposten gegenüber. Allgemein ist bekannt, dass fusionierte Gemeinden mehr in die Qualität ihrer Dienstleistungen investieren können, dadurch aber auch Mehrkosten anfallen.

Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Gemeindefusionen in Einzelfällen sinnvoll sein können, als eine generelle Strategie zur Entlastung des Staatshaushaltes eignen sie sich nicht. Wer sparen will, muss woanders als bei den Kleingemeinden ansetzen.

Neues Regionsdenken

Gemeindefusionen sind aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt die falsche Lösung: Was bringt es, zwei Kleingemeinden mit etwa 1000 Einwohnern zu einer größeren Gemeinde mit 2000 Einwohnern zu verschmelzen? Sie ist danach noch immer zu klein, um den zunehmenden Anforderungen von Bürgern und Unternehmen an „ihre“ Gemeinde gerecht zu werden.

Innovative Gemeindekooperationen müssen heute die Region entdecken. Dabei kann mitunter, was gar nicht widersprüchlich ist, an jahrhundertealte Verbünde angeknüpft werden: Gäbe es den Stand Montafon nicht schon seit fast 200 Jahren, man müsste ihn erfinden. Auch in anderen Teilen Vorarlbergs wird die Region wiederentdeckt. Bregenzerwald, Hofsteig, Kummenberg, Vorderland, Walgau und andere.

In diesen Regionen können von den beteiligten Gemeinden Dienstleistungen organisiert werden, die den modernen Anforderungen entsprechen: Krankenpflege, Pflegeheime, Musikschulen, aber auch Kinderbetreuung.
Eine besondere Innovation in Sachen Gemeindekooperationen in Vorarlberg sind die gemeinsamen Bauverwaltungen in verschiedenen Regionen. Die erste Einrichtung dieser Art, die Bauverwaltung Großes Walsertal, war ein Pionier in Österreich. Als das Modell 2004 in einer Veranstaltung des Österreichischen Gemeindebundes und des Instituts für Föderalismus in Wien vorgestellt wurde, war das ungläubige Staunen unter vielen anwesenden Bürgermeistern groß, dass es möglich sein soll, ein Bauamt für mehrere Gemeinden zu schaffen. In Vorarlberg wurde das Instrument, wie erwähnt, von anderen Gemeinden übernommen, im Rest Österreichs bisher so gut wie gar nicht.

Nicht ausruhen

In Vorarlberg existierten, wie eine Studie des Instituts für Föderalismus ergeben hat (Download unter www.foederalismus.at/publikationen), zum Zeitpunkt Mai 2016 insgesamt 262 Gemeindekooperationen. Im Durchschnitt ist jede Gemeinde an nahezu zehn Kooperationen beteiligt. Die zahlenmäßig meisten Kooperationen spielen sich im Bereich der Pflege und sozialer Dienstleistungen ab (33 von 262). Die interkommunale Zusammenarbeit hat in Vorarlberg ein hohes Niveau und braucht weder den Vergleich mit dem Inland noch mit dem Ausland zu scheuen.

Dennoch dürfen sich weder das Land noch die Gemeinden ausruhen: Einer leistungsfähigen Gemeindeverwaltung kommt enorme Bedeutung für die Standortqualität zu. Die Ansprüche der Bürger und der Unternehmen an die Gemeinden werden weiter wachsen. Neue Gemeindekooperationen müssen das Regionsdenken noch stärker als bisher fördern. Kommunale Dienstleistungen und Infrastrukturen können immer mehr auf Regionsebene angeboten werden, von Schwimmbädern über die Kinderbetreuung hin zur gemeinsamen Bauverwaltung. Allerdings stoßen auch Kooperationen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit: Wenn sich die Gemeinde in zu viele Kooperationen verstrickt, werden sie unübersichtlich und demokratisch kaum mehr kontrollierbar. Eine Lösung könnten vielleicht gemeinsame Gemeindeämter für die Gemeinden einer Region sein. Dann haben sich die Gemeinden ihre demokratische Eigenständigkeit bewahrt und gleichzeitig in der Verwaltung Synergien erzielt.

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