Peter Bussjäger

Peter Bussjäger (*4. Mai 1963 in Bludenz) ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Bußjäger war zehn Jahre Direktor des Vorarlberger Landtags. Der Bludenzer ist Professor an der Universität Innsbruck, Direktor des Instituts für Föderalismus und Forschungsbeauftragter des Liechtenstein-Instituts sowie Mitglied des Liechtensteinischen Staatsgerichtshofs. 

(Foto: © Heinz Stanger)

„Direkte Demokratie von unten“?

März 2021

Tierschützer Martin Balluch ist erfreut: Er hat es geschafft, mehr als die nach dem burgenländischen Landes-Verfassungsgesetz erforderlichen 12.000 Unterschriften für die Abhaltung einer Volksabstimmung über das burgenländische Jagdgesetz zustande zu bringen. Darin ist vorgesehen, die umstrittene „Gatterjagd“ im Burgenland zu erlauben, was zu Recht die Volksseele empört. „Noch nie hat es in der österreichischen Geschichte eine Volksabstimmung auf Landesebene ‚von unten‘ gegeben“ wird Balluch im „Standard“ vom 22. Jänner zitiert. Das Burgenland als Vorreiter der direkten Demokratie in Österreich? Wer hätte das gedacht!
Die Freude des Tierschützers ist berechtigt, wenngleich er sich irrt: Die Wiege der „direkten Demokratie von unten“ in Österreich stand, man will es auch nicht anders glauben, in Vorarlberg: Die Vorarlberger Landesverfassung ermöglichte schon seit 1919 eine Volksabstimmung über vom Landtag beschlossene Gesetze, wenn dies innerhalb von drei Wochen von 10.000 Landesbürgern verlangt wurde. Die Verfassungsrechtler nennen ein solches Instrument „Veto­referendum“, weil das Volk die Gesetzgebung beeinspruchen kann. Als 1923 die mutige Verfassung von 1919 einer neuen Landesverfassung weichen musste, in der sich Vorarlberg mit dem Bundesstaat Österreich abfand, wurde das Vetoreferendum als eine der wenigen Originalitäten beibehalten. Die Frist wurde auf sechs Wochen verlängert, die Zahl der erforderlichen Unterschriften allerdings auf 15.000 erhöht. 
Ständestaat und Naziherrschaft mussten erst vorüberziehen, ehe man sich in Vorarlberg wieder mit direkter Demokratie befassen konnte: 1949 wurde die Schwelle für das Vetoreferendum auf 10.000 Unterschriften herabgesetzt und die Frist auf acht Wochen verlängert. Dann war es soweit: Am 21. Dezember 1956 beschloss der Landtag mit den Stimmen von ÖVP und WDU (der Vorläuferin der FPÖ) gegen die Stimmen der SPÖ ein Gesetz zum Verbot von sogenannten Betriebsaktionen. Das Gesetz sollte offenkundig die Interessen des Kleinhandels gegenüber Preisdumping bei Betriebsaktionen schützen und widersprach damit der Interessenlage eines Großteils der Vorarlberger Bevölkerung. 
Nach einer emotionalen Debatte im Landtag sammelte der Obmann der Metallergewerkschaft Hermann Moosbrugger innerhalb von acht Wochen 17.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung über das Gesetz. Damit war „Demokratie von unten“, erstmals in Österreich, erreicht. 
Die Volksabstimmung fand am 31. März 1957 statt. Bei einer Stimmbeteiligung von sagenhaften 93,2 Prozent votierten 67,66 Prozent der Stimmberechtigten gegen das Gesetz. Damit hatten die Bürgerinnen und Bürger der Landtagsmehrheit eine schallende Ohrfeige verpasst. Der Zeithistoriker Wolfgang Weber schreibt dazu in seinem 2004 erschienenen Buch „Hobelspäne“ über die Landtagswahlkämpfe zwischen 1945 und 1969: „Für die SPÖ-Vorarlberg stellte das Ergebnis der Volksabstimmung vom 31. März 1957 einen bedeutenden, ja in der Vorarlberger Landesgeschichte der Zweiten Republik einmaligen propagandistischen Erfolg dar.“
Diese Volksabstimmung war das erste und bisher einzige vom Volk erzwungene Referendum über einen Gesetzesbeschluss nicht nur in Vorarlberg, sondern in ganz Österreich. Nunmehr hat das Burgenland gleichgezogen. Die dortige SPÖ wittert allerdings bereits die drohende vergleichbare Ohrfeige und hat angekündigt, die Gatterjagd nun doch wieder verbieten zu wollen, sodass die Volksabstimmung inhaltlich überflüssig wurde. Die Tierschützer haben in der Folge den Antrag zurückgezogen.
Aber mittlerweile haben wir ganz andere Probleme mit der direkten Demokratie: In seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 2020 zur Ludescher Volksabstimmung über die geplante Betriebserweiterung des Fruchtsaftherstellers Rauch hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine Regelung verfassungswidrig ist, die die Gemeindevertretung gegen ihren Willen dem Volk unterwirft.
Nicht erst seit dieser Entscheidung, aber seither erst recht, bestehen Zweifel, ob nicht auch das „Vetoreferendum“ und damit der letzte Pfeiler eigenständiger direkter Demokratie auf Landesebene verfassungswidrig ist. Auch hier zeigt das Volk als Souverän dem Parlament seine Grenzen auf, ein Umstand, der nach Auffassung des VfGH von der Bundesverfassung nicht gewollt ist. Überzeugend begründet ist die Rechtsmeinung des VfGH nicht, aber der Verfassungsrechtler hat sich damit abzufinden. 
Nicht abfinden muss sich die Politik, denn sie kann die Verfassung ändern und direkte Demokratie auch in Fällen ermöglichen, in welchen Parlamente und Gemeindevertretungen anders entscheiden wollen. Abgeordnete der FPÖ, der SPÖ und der NEOS haben im Nationalrat den Antrag „Rettung der direkten Demokratie in Vorarlberg“ eingebracht, der zumindest die vorher bestandenen Möglichkeiten auf Gemeindeebene wiederherstellen soll. Ein guter Ansatz, der aber auch auf die Landesebene ausgedehnt werden müsste. Wie auch immer: Der Verfassungsausschuss des Nationalrates hat, so die Homepage des Parlaments, die „Beratungen noch nicht aufgenommen“ und damit ruht der Antrag bis auf Weiteres.

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