Kathrin Stainer-Hämmerle

Professorin für Politikwissenschaft, FH Kärnten

Das Diktat des Volkes

Mai 2015

In einer Demokratie geht das Recht vom Volk aus, das ist unbestritten. Heftig diskutiert wird aber, wie der oft zitierte Wille des Volkes in Gesetze umgewandelt werden soll. Dazu gibt es einerseits Parlamente, in denen Parteien sich gerne zum Vertreter aller Bürger erheben und dann entsprechend abgehoben von den Sorgen des Volkes gesehen werden. Fühlt das Volk sich ohnmächtig ausgeliefert, entsteht Politik(er)verdrossenheit – meist ausgedrückt durch das Fernbleiben von der Wahlurne.

Als Wunderwaffe gegen diese Politikmüdigkeit gilt mehr direkte Demokratie. Das Volk soll wieder selbst das Heft in die Hand nehmen und in Sachfragen direkt bestimmen, auch über Politiker und Parteien hinweg. Wohin die direkte Volksgesetzgebung aber führen kann, lehrt regelmäßig die Schweiz.

Ob derartige Widerständigkeit auch in Österreich zu erwarten wäre, können eine einzige bundesweite Volksbefragung zum Bundesheer und zwei Volksabstimmungen zu EU-Beitritt und gegen Atomkraft nicht beweisen. Auch bei den Volksbegehren erlahmt der Wille zum Engagement durch Unterschrift rapide, wurden sie doch alle mehr oder weniger elegant von der Politik in die Schublade entsorgt.

Mehr direkte Demokratie löst nicht den Reformbedarf der Politik. In einer Gesellschaft, die dem Individuum maximale Freiheit bietet, ist es Aufgabe der Politik, ein Fundament für Demokratie zu schaffen, anstatt die Bevölkerung auseinanderzudividieren. Politik darf nicht (mehr) als Kampf von Interessen, sondern muss als Herstellung von Gemeinwohl verstanden werden.

Politische Apathie ist heute der Hauptfeind der Demokratie. Doch ebenso gefährlich wirkt die alleinige Suche nach Mehrheiten – ohne Versuch, diese gemeinsame Basis zu definieren. Eine funktionierende Demokratie ist mehr als die Diktatur der Mehrheit.