Lisa Hämmerle

Friedens- und Konfliktforscherin
Foto: Florian Brunold

Konflikt schafft Leben und Leben schafft Konflikt

Februar 2023

… so der Friedensforscher John Paul Lederach. Mit Bedauern stelle ich fest, dass Konflikt in unserer Gesellschaft immer noch als etwas höchst Negatives gesehen wird. Der Tenor gibt klar zu verstehen: Konflikt hält man sich am besten vom Leib. Aber wie soll sich der Mensch Konflikt vom Leib halten, wenn dieser die Grundvoraussetzung für die Erhaltung des eigenen Lebens darstellt? Wie das immer pulsierende Herz, das für einen rhythmischen Blutfluss sorgt, so hält Konflikt uns in Bewegung und am Leben – auf physischer und geistiger Ebene. Ein interessantes Paradox, denn nach kaum etwas trachtet der Mensch mehr als zu leben. Anstatt täglich Energie aufzuwenden, um anschwellende Konflikte auf mühsamste Art abzutun, wäre auf lange Sicht das Hinsehen eine wirksame Alternative.
Ein Hauptproblem unserer Gesellschaft ist die inexistente Konfliktkultur. Sie veranlasst uns dazu, Konflikte nicht wahrnehmen zu wollen – das zu nehmen, was ist. Es gilt zu verstehen, dass Konflikt nicht gleich Gewalt und Krieg bedeutet. Diese destruktiven Kräfte sind weder ressourcenschonend noch konstruktiv. Je länger wir allerdings die Augen vor Verletzungen verschließen, die sich immer tiefer in den Körper hineinfressen, je länger wir Emotionen wie Angst und Hass Raum zur Vergiftung unserer Psyche gewähren, desto gewalttätiger wird der Ausbruch eines Konflikts sein.
Nutzen wir Konflikt lieber, um Wunden zu lokalisieren und zu behandeln, auch übertragene Traumata, welche unsere Vorgenerationen erlitten haben. Erinnern wir uns an das wahre Potenzial von Konflikt, welches darin besteht, dynamisch auf menschliche Bedürfnisse, Ziele und Wachstum zu reagieren und nachhaltige freundschaftliche Beziehungen zu schaffen – im Kleinen, wie im Großen, zum Mensch und zur Natur.