Martin Hebertinger

Hochschullehrer Fachhochschule Vorarlberg

Realwirtschaft schlägt Finanzwirtschaft

Juni 2020

Im Rhythmus von Quartalsabschlüssen schauten wir bislang auf Gewinne, Earn­ings before this and that, auf Working und Invested Capital und auf die damit definierten Renditen. Der Shareholder, dessen Value zu optimieren war, dürstete nach steter Mehrung der Effizienz, Beratung und Wissenschaft lieferten die Konzepte. Was messbar ist, muss objektiv sein, und so stellt kaum einer die Richtigkeit in Frage.
Wer nicht mitmachte, war gestrig oder konnte es sich einfach „leisten“. Belächelt als in Traditionen hängende Familienunternehmen, denen der Generationswechsel die „Effizienzierung“ ihrer ungenutzten Kapitalpolster einpflanzen wird. Die Ebbe zeigt, wer keine Badehose trägt. Das Coronavirus legt offen, wer binnen weniger Tage oder Wochen des Lock-down „nackt“ dasteht, wessen Wertschöpfungskette reißt, wessen Eigenkapital zu knapp ist.
Doppelte Lieferketten, Pufferbestände, lokale Lieferanten kosten kurzfristig mehr. Doch wer in der Vergangenheit dem Druck von Kapitalgebern widerstehen konnte, wer ein paar Prozentpunkte hergegeben hat, profitiert jetzt davon. Auch in solchen Unternehmen bebt der Boden. Aber es stürzt (noch) nichts ein.
Seit der Finanzkrise 2008 bröckelt das Primat des Shareholder Value. 2019 ließen 200 prominente amerikanische CEOs aufhorchen, die sich von der Effizienzmaxime distanzierten. Und spätestens jetzt ist klar, dass Gewinn und Rendite keine dauerhaften Fundamente einer Strategie sind. Die Realwirtschaft schafft den Wert, den man verteilen kann: an Kapitalgeber, an die Beschäftigten, an den Fiskus. Die Finanzwirtschaft, sie dient nur.
Die lokale Wirtschaft hat den rein finanzwirtschaftlichen Weg – jedenfalls überwiegend und auf Dauer – nie vollends eingeschlagen. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch weniger Pleiten sehen werden als anderswo.