Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

2017 etwas mehr Dynamik, aber viel mehr Unsicherheit

Februar 2017

Was bringt 2017? Versetzen wir uns um ein Jahr zurück: was wussten oder ahnten wir damals Anfang Februar über das junge Jahr, das dann über weite Strecken Überraschungen und Entsetzen brachte? Weder Brexit noch Trump wurden erwartet, schon gar nicht wollte man sich die Fortsetzung der schrecklichen Serie von Attentaten in Paris, Brüssel, Nizza, Berlin und anderswo ausmalen. Auch nicht die mühsame Wahl eines Bundespräsidenten in Österreich. Ein neuer Bundeskanzler schien möglich, aber nicht wahrscheinlich. Dass der SCR Altach die Fußball-Bundesliga anführen wird, schien kaum möglich, jedenfalls nicht wahrscheinlich.

Mit den Worten des früheren amerikanischen Verteidigungsministers Rumsfeld (2002): „Es gibt bekanntes Wissen, das wir kennen. Wir wissen aber auch, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Und schließlich gibt es Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen“. Wahrscheinlich sollten sich die „Experten“, die vorgeben, auch das, was man nicht weiß, zu wissen, zurücknehmen und sich darauf beschränken, zu überlegen: was scheint möglich, was wahrscheinlich und was unmöglich oder unwahrscheinlich.

Die Wirtschaftsprognosen für 2017 klingen so zuversichtlichewie seit Jahren nicht mehr. Wir wollen ja nicht gleich von Aufschwung reden. Aber ein wenig Erholung, etwas Aufatmen, wachsende, wenn auch hoffentlich vorsichtige Zuversicht, sollten möglich sein. Da und dort ein paar Reformschrittchen – nein, nicht die großen epochalen Aufgaben: Steuern, Sozialsystem, Bildung – aber doch in die richtige Richtung: mehr Autonomie für die Schulen, etwas weniger skurrile Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Manche betreiben das Projekt eines bundeseinheitlichen Jugendschutzes (in welchem Alter und zu welcher Abend- oder Nachtzeit müssen die Jugendlichen zu Hause sein). Aber was wäre gewonnen zu wissen, dass die jungen Leute in Egg und in Eggenburg, in Hohenau oder in Hohenems zur gleichen Stunde Zapfenstreich haben? Wir reden jetzt nicht von der Höhe der Mindestsicherung: immerhin sind ja auch die Kosten der Lebenshaltung nicht bundeseinheitlich.

Dann rechnen wir mit bekannten Unbekannten: was bedeutet die Regierung Trump nicht nur für die USA, sondern für die Welt und auch für uns hier in der Mitte Europas? Am schlimmsten wohl die Gefahr eines nicht mehr kontrollierbaren Aufschaukelns von Spannungen: mit China und Nordkorea, mit dem Iran und anderen arabischen Ländern, mit Mexiko. Mit Russland??? (3 Fragezeichen). Gegenüber den Europäern das Durchsetzen des – nicht unverständlichen – Standpunkts, mehr für ihre eigene Verteidigung zu tun. Gute Aussichten für die Rüstungs-, die Bau- und die Ölindustrie. Und sehr bedenkliche für Umwelt und globales Klima.

Angesagt ist eine Wirtschafts- und Handelspolitik, von der sehr namhafte Ökonomen sagen, sie sei „jenseits von Voodoo“ (Larry Summers). Noch kaum scheint beim neuen US-Präsidenten die Tatsache zu dämmern, dass das Zurückverlagern von Fertigungsstufen nach Ohio und Pennsylvanien nicht nur in Mexiko Menschen arbeitslos macht, sondern auch in „Gods own country“ selbst, etwa in Kalifornien oder Minnesota, wo die Verarbeiter nun teurere Vorprodukte aus dem Inland beziehen müssen, und wo der Exportmarkt Mexiko, wohin bisher dreimal so viel amerikanische Exporte wie nach Deutschland oder Japan gingen und jedenfalls auch mehr als nach China, amerikanische Waren boykottieren wird. So simpel, wie Trump sich die Zusammenhänge der Welt zu erklären scheint, sind sie wirklich nicht. Er hat im Wahlkampf nicht geblufft: er ist ein ‚uncontrolled missile‘, eine ungesteuerte Rakete. Aber an einigen neuralgischen Stellen hat Trump den Finger auf wirklich wunde Punkte gelegt: auf die Bereitschaft der Europäer, für ihre eigene Sicherheit mehr zu tun, und angesichts seiner finsteren Entschlossenheit eine attraktivere Vision für Europa zu entwickeln.

Beim Erscheinen dieser ersten Ausgabe von „Thema Vorarl­berg“ im neuen Jahr hat das Volk von Liechtenstein bereits einen neuen Landtag gewählt. Die internationale Bedeutung dieser Wahl tritt allerdings ein wenig hinter die bevorstehenden Wahlen in Italien, in Frankreich, den Niederlanden und in Deutschland zurück. Eine so geballte Ladung Demokratie ist durchaus für Überraschungen gut: immerhin geht es um vier der wichtigsten Mitglieder der EU. Bis zur deutschen Wahl im Herbst ist überdies Angela Merkel durch Wahlrücksichten in ihrer europäischen Führungsrolle behindert.

In Österreich erläuterten in den ersten Wochen des Jahres der Bundes-, der Vizekanzler und der Finanzminister nacheinander ihre Vorhaben und Prioritäten. Einig sind sich alle drei darüber, dass große Probleme zu lösen wären. Welche? Darüber gibt es noch am ehesten ein wenig Konsens. Wie? Das wurde recht vage, wenn überhaupt, angeschnitten.

Der Wirtschaftsausblick auf 2017 wirkt zwiespältig: auf der einen Seite war in Europa gegen Ende des letzten Jahres mehr Dynamik zu registrieren. Nicht überall, aber zumindest im Kern des Kontinents. Die Wirtschaft nimmt das gern zur Kenntnis. Aber da ist noch viel aufgestautes Wunschdenken und noch viel mehr Vorsicht mit im Spiel. Die Belebung ist noch kaum tragfähig. In Großbritannien werden sich erst heuer die negativen Folgen der Brexit-Entscheidung bemerkbar machen. Italien gilt als noch größeres Risiko. Zu einer so doppelbödigen Situation würde der Surrealist René Magritte sagen: „Das ist kein Aufschwung“, auch wenn es genauso aussehen mag.

Großbritannien beantragt den Austritt aus der EU. Und ähnlich wie die Union, die harte Verhandlungen ankündigte und Rosinenpicken auf keinen Fall erlauben will, spricht die britische Regierungschefin nun auch von der konsequenten Scheidung, sollte die EU keine Zugeständnisse machen. Was für eine surreale Situation! Die Briten traten traditionell für weltweiten Freihandel ein. Nun nehmen sie aber bewusst in Kauf, diesen für nicht weniger als die Hälfte ihrer Exporte aufs Spiel zu setzen. Und ihre stärkste Branche, die Finanzindustrie, ist unmittelbar betroffen.

Sollen wir uns in Österreich einen Aufschwung überhaupt wünschen? Die Erfahrung lehrt zur Genüge, dass ein Aufschwung gewöhnlich nicht zu den anstehenden strategischen Kurskorrekturen genützt wird. Außer in Extremsituationen ist die Beeinträchtigung durch politische Kurzsichtigkeit zu stark, um den dornenvollen Weg von Reformen über die bloße Ankündigung hinaus konsequent anzugehen. Da muss der Finanzminister schon froh sein, wenn nicht gleich wieder Geschenke verteilt werden sollen.

2017: Ob sich eher Dynamik einer Erholung aus der jahrelangen Stagnation durchsetzen wird oder doch die unvorhersehbaren Risiken, muss gerade an diesem Jahresbeginn offen bleiben.

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