Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Die Explosivkraft eines Namens – Was geschah 1964 in Fußach?

Oktober 2014

Ältere Personen mögen sich gut an die Fußach-Affäre erinnern, insbesondere dann, wenn sie selbst unter jenen geschätzten 20.000 Demonstranten waren, die am 21. November 1964 gegen die Taufe eines neuen Bodenseeschiffs auf den Namen „Karl Renner“ protestierten und einen Bundesminister in die Flucht schlugen. Um was ging es damals?

An der Oberfläche ging es um zwei Namen: „Karl Renner“ und „Vorarlberg“. Namen stehen für etwas, in diesem Fall für einen verstorbenen sozialdemokratischen Politiker und ein österreichisches Bundesland. Karl Renner (1870–1950) war einer der faszinierendsten Politiker und Intellektuellen seiner Zeit: ein rhetorisch brillanter Jurist und Sozialwissenschaftler zum einen, ein gewiefter Taktiker zum anderen. Jeweils unmittelbar nach verlorenen Weltkriegen wurde er 1918 und 1945 in schweren Krisenzeiten Staatskanzler provisorischer Regierungen, von 1946 bis zu seinem Tod war er Bundespräsident. Nicht durch seine zahlreichen Publikationen, sondern durch seine unglaubliche Laufbahn wurde er zu einer prominenten Ikone der Sozialdemokraten, aber auch zum gefeierten Gründervater der Zweiten Republik.

Vorarlberg dagegen war – im europäischen Kontext – wenig prominent. Erst spät – etwa um 1720 – war es zu seinem Namen gekommen, blieb aber noch lange Teil des Kronlandes Tirol-Vorarlberg. Erst 1861 bekam es einen eigenen Landtag, wurde aber noch in vielen Bereichen von Tirol aus verwaltet. Das änderte sich erst nach dem Zerfall der Monarchie: Nun erhielt Vorarlberg im Rahmen des österreichischen Bundesstaats eine gewisse Selbstständigkeit. Ein großer Teil der Bevölkerung, immerhin etwa 80 Prozent, votierte aber schon 1919 für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Schweiz. Nach dem Anschluss an das nationalsozialistische großdeutsche Reich ging die Selbstständigkeit neuerlich verloren, das Land wurde dem Reichsgau Tirol einverleibt. Über all das, was ein Land bekannt macht, es zu etwas Besonderem macht, verfügt Vorarlberg nicht: Es besitzt keine kulturellen oder politischen Identitätsikonen (wie etwa Tirol den Andreas Hofer), sofern man von der in Chur geborenen, in London verheirateten und in Rom verstorbenen Malerin Angelika Kauffmann absieht, die sich selbst einmal als „Maria Angelica Kauffmänin von Chur“ bezeichnete. Die Vorarlberger Besonderheiten, etwa der hohe Industrialisierungsgrad (das Land hatte 1910 unter allen Kronländern der Monarchie den höchsten), waren und sind schwer zu vermitteln. Die kollektive Ich-Schwäche hatte – beginnend im 19. Jahrhundert – zur folkloristischen Stilisierung einer alemannischen Identitäts-Staffage geführt, die aber stets brüchig blieb und sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als wenig haltbar und brauchbar erwies. Ein zentrales Merkmal dieser Alemannen-Maskerade war ein stets aktivierbarer Anti-Wien-Affekt, der auch 1964 – und später noch einmal im Rahmen der Initiative „Pro Vorarlberg“ 1979/80 – wirksam wurde.

Was also 1964 bei den handelnden Personen, den Politikern und Beamten, den Journalisten und nicht zuletzt bei den Demonstranten in Vorarlberg, aber auch in der Bevölkerung virulent wurde, war ein Anerkennungsproblem: Die Tatsache, dass der Bundesverkehrsminister Otto Probst (SPÖ) von Wien aus – stellvertretend für eine merkwürdig arrogant und unüberlegt handelnde Koalitionsregierung – einem Bodenseeschiff einen Namen geben wollte, ohne das Land Vorarlberg überhaupt zu fragen, wurde als Affront aufgefasst. Karl Renner als Ikone der Sozialdemokratie war gewiss kein Feindbild (seine ablehnende Haltung gegenüber dem Wunsch, ein Teil der Schweiz zu werden, war weitgehend vergessen). Durch die Instrumentalisierung im Rahmen dieser geplanten und dann gescheiterten offiziellen Schiffstaufe wurde sein Name jedoch zum Symbol für eine vermeintlich zentralistische Bevormundung. Ein besonders wichtiger – vielleicht entscheidender – Faktor war jedoch die umstrittene Rolle, die die damals wie heute wichtigste Tageszeitung des Landes spielte. War sie nur Sprachrohr für den Unmut und Protest der Bevölkerung, oder „machte“ sie den Aufruhr durch ihre Kampagne erst möglich? Am Tag der Schiffstaufe, es war ein Samstag, stand auf der Titelseite zu lesen: „Minister Probst brüskiert und provoziert damit ganz Vorarlberg. Die ‚Vorarlberger Nachrichten‘ als die größte Zeitung des Landes rufen deshalb heute die Bevölkerung zu einer Demonstration anlässlich des Taufaktes um 11 Uhr in Fußach auf.“ Die Worte motivierten offenbar ein bestimmtes Segment eher jüngerer Leute, dem Aufruf zu folgen. Über die kollektive geistig-psychische Befindlichkeit soll nicht spekuliert werden, aber ganz offenbar war der Anlass vielen wichtig: Man wollte zeigen, dass man diese Bevormundung empörend fand, oder man wollte zumindest dabei sein, um zu sehen, wie die Sache ausging. Das in der Folge gegen die Verantwortlichen in der Zeitung angestrengte Verfahren wegen Aufwiegelung wurde im September 1965 vom neu gewählten Bundespräsidenten Franz Jonas (SPÖ) niedergeschlagen. Schon zuvor hatte der Verkehrsminister das Modell des Schiffs in der Korneuburger Werft auf den Namen „Vorarlberg“ taufen müssen. Für ihn war das vermutlich die Höchststrafe.

Kommentare

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Ich bin stolz auf die damaligen Vorarlberger, die sich der Bevormundung widersetzt haben, die Bevölkerung eines armen Landes, die es mit Fleiß, Demut und Ausdauer geschafft haben, zum reichsten Bundesland Österreichs zu werden. Und das sagt kein Vorarlberger , sondern ein Piefke.