Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Wie viel Wissenschaft braucht Vorarlberg?

Juli 2017

Mit berechtigter Genugtuung konnten wir hier unlängst feststellen, dass sich die Vorarlberger Wirtschaft gerade in den letzten, durch eine hartnäckige internationale Krise besonders schwierigen Jahren nicht nur besser entwickelt hat als andere Bundesländer, sondern auch im internationalen Vergleich der Regionen. Sie hat ihren Vorsprung sogar noch gesteigert.

In auffallendem Widerspruch dazu scheint zu stehen, dass in Vorarlberg ein signifikanter Rückstand im Einsatz für Forschung und Entwicklung besteht und dieser seit Jahren anhält. Die österreichische Politik rühmt sich – als eine der seltenen Erfolgsmeldungen –, dass das Österreich im Begriff ist, mit dem Forschungsaufwand führender Nationen – Schweden, Schweiz, Finnland, Taiwan, Korea – gleichzuziehen und sogar Deutschland zu überholen.1) Im Vergleich mit den meisten anderen Bundesländern bleibt in Vorarlberg der Aufwand für F&E in Vorarlberg signifikant zurück. Nicht nur der Wirtschaftsforscher, sondern auch die Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik des Landes fragen sich, was das gerade für ein Industrieland bedeutet, welche Konsequenzen es für die Wettbewerbsfähigkeit in Zukunft haben könnte.

Skeptiker der Vorzüge von Wissenschaft und Forschung fühlen sich bestätigt: Offenbar bedeutet eine hohe Forschungsquote nicht automatisch wirtschaftlichen Erfolg. Das ist sicher richtig. Nur den Forschungsaufwand zu steigern, ist keine Garantie dafür. Es gibt Wirtschaftssektoren, wo F&E nicht viel hilft, und solche, wo es ohne hohen Aufwand nicht geht: etwa in der Pharmazie der Schweiz. Aber muss Vorarl­berg in dieser Hinsicht gleich unterdurchschnittlich platziert sein? Und wodurch gelingt es, der vor allem im Export erfolgreichen Wirtschaft, das Manko zu ersetzen? Ein Standortvorteil könnte die Attraktivität des Lebensraumes sein. Obwohl der Autor unterschreibt, dass dieser tatsächlich einmalig ist, behaupten nüchterne Analysen, das seien andere Regionen auch. „Schaffa, schaffa, spära ...“ könnte längst nicht mehr genügen. Das können Chinesen auch. Konsequentes Qualitätsbewusstsein, Drang nach Verbesserung, Eingehen auf Kundenwünsche, Design: Spielt gewiss eine Rolle, aber ist das entscheidend? Gibt es eine Art Vorarlberg-Bonus auf internationalen Märkten? Wohl nicht.

Darauf kann und darf sich die Politik nicht verlassen. Die Landesregierung hat eine eingehende Analyse bestellt und daraus ihre aktuelle „Wissenschafts- und Forschungsstrategie 2020 +“2) abgestützt. Sie analysiert Stärken und Schwächen, identifiziert Chancen und Herausforderungen – gewiss mit den üblichen technokratischen Argumenten, die natürlich eine wichtige Rolle spielen. Die auffallende Schwäche in Hinsicht auf F&E-Aufwand wird bestätigt und eine bedenkliche Ursache festgestellt: Der Anteil der unternehmenseigenen Aufwendungen für F&E am gesamten Forschungsaufwand im Land ist hoch, dafür ist aber der öffentlich finanzierte Aufwand besonders des Bundes und seiner Förderungseinrichtungen in Vorarlberg weit unterdurchschnittlich. Das hat damit zu tun, dass Vorarlberg nicht Standort einer Universität ist, deren Aufwand hauptsächlich aus Bundesmitteln getragen würde. Es scheint aber auch mit der räumlichen – und wohl auch mentalen – Entfernung Vorarlbergs vom wissenschaftspolitischen Geschehen und den wichtigsten Förderungseinrichtungen in Wien zu tun zu haben. Vorschläge, diese Rückstände dringend abzubauen, enthält die Strategie.

Schließlich wird auch angeschnitten, dass das traditionelle Selbstverständnis größerer Kreise der Bevölkerung noch relativ wenig „sensibilisiert ist für die entscheidende Bedeutung von Wissenschaft und Forschung zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes“ (Strategie, S. 4). Nach der geballten Ladung technokratischer Zielvorstellungen wie „smart specialisation“, „nachhaltig“, „Kofinanzierung“, „matching“, „Kreativität ausschöpfen“ klingt das erfrischend: Fundamental für das Gelingen der Strategie sind menschliche Faktoren und Qualitäten. Daher ist besonders zu begrüßen, dass Empfehlungen auch die sozial- und geisteswissenschaftlichen Herausforderungen einer modernen Gesellschaft betreffen. Hätte man vor ein paar Jahren erheben lassen, in welchen Segmenten der Wirtschaft Initiativen besonderen Erfolg versprechen, wäre die Antwort sicher gewesen: in moderner Textiltechnologie, in der architektonischen Gestaltung und beim Einsatz neuer Baustoffe, speziell Holz, vielleicht in einigen Disziplinen der Medizin oder auch in der Logistik, für die in Vorarlberg hochinteressante Entwicklungskerne etabliert sind. Wohl niemand hätte den Erfolg internationaler Symposien über Philosophie vorausgesagt. Vorarlberg als Standort für Philosophie liegt nicht nahe, Vorarlberger sehen sich selbst kaum als Philosophen, viel eher als zupackende unternehmerische Menschen.

Die relative Schwäche als Standort für hochrangige Wissenschaft hat eine bedenkliche indirekte Konsequenz: Er begünstigt, dass gut ausgebildete junge Vorarlberger in der Heimat schwer einen qualifizierten Arbeitsplatz finden können. So entstand und entsteht ein jahrelanger Brain-Drain: Diese Bildungsemigranten stellen ihr Wissen an Arbeitsplätzen zur Verfügung, wo sie interessante Aufgaben finden. Nicht nur an Zahl, sondern auch an internationaler Wertschätzung als Wissenschaftler ist diese Art von menschlichem Export erstaunlich. Dabei geht es nicht nur um zumindest eine Hundertschaft von Uniprofessoren. Es erfüllt zwar mit Stolz, aber auch ein wenig mit Sorge zu beobachten, welchen teilweise führenden Rang unsere Landsleute in der österreichischen Forschungspolitik in Ministerien, in den wichtigsten Institutionen der Forschungsförderung, auch in der außeruniversitären Medizinforschung spielen, wo sie über Projekte, die aus anderen Teilen des Landes eingereicht wurden, urteilen, aber selten über solche aus Vorarlberg.

Ermutigend ist, dass die neue Landesstrategie nicht nur als wissenschafts- und wirtschaftspolitische Leitlinie aufzufassen ist, sondern auch als „fundamental für die gesellschaftliche Weiterentwicklung Vorarlbergs“.

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