Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Dann muss man das schnellstens realisieren“

August 2023

 

Die Rondo Ganahl AG plant auf ihrem Betriebsgelände in Frastanz den Bau eines Reststoffkraftwerks, mit dessen Inbetriebnahme schlagartig sieben Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs in Vorarlberg eingespart würden. Im Interview erklärt CEO Hubert Marte (56) warum die bisher praktizierte Form der Reststoffverwertung einem Schildbürgerstreich gleicht. Marte drängt auf ein schnelles Behördenverfahren - und sagt: „Wenn man die ,Energieautonomie Vorarlberg‘ ernst nimmt, dann muss man das schnellstens realisieren.“

Herr Marte, die Rondo Ganahl AG plant auf ihrem Betriebsgelände in Frastanz den Bau eines Reststoffkraftwerks von beachtlicher Dimension. Bevor wir aber über das Projekt sprechen, sprechen wir doch kurz über Ihr Tätigkeitsfeld … 
Wir verpacken quer durch alle Branchen Produkte mit Wellpappe, unserer ökologischen Kreislauf-Verpackung. Das Einzige, was nicht zu verpacken ist, sind Dienstleistungen (lacht). Aber alles andere muss verpackt werden. Ohne Verpackung läuft in der heutigen industriellen Welt nichts mehr. Gar nichts mehr, da Produkte auf dem Transportweg geschützt werden müssen. Wir haben viele Kunden in der Lebensmittelbranche, im Baunebengewerbe, im Pharmabereich, in der Medizintechnik. Im Übrigen sind wir dadurch ein systemrelevantes Unternehmen. 

Systemrelevant? Inwiefern?
Wir mussten in der Pandemie zusichern, bestimmte Pharmaunternehmen bevorzugt zu beliefern. Aber wir fahren mit unseren Verpackungen nicht durch die Weltgeschichte. 80 Prozent unseres Umsatzes machen wir im Radius von 100 Kilometern. Unser Kerngeschäft ist die Herstellung von Wellpappe-Verpackungen und Wellpappe-Rohpapieren sowie die Rohstoffverwertung. Wir schließen damit den Kreislauf.

Der Energiebedarf ist entsprechend hoch. Und damit sind wir bei Ihrem geplanten Reststoffkraftwerk. Was ist da der aktuelle Stand?
Die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant. Das Genehmigungsverfahren und die Ausschreibungen laufen. Es ist nun kein einzelner Kubus mehr geplant, der Baukörper wird in mehrere Teile gegliedert, damit er besser ins Ortsbild und zum Gesamtensemble der Gebäude passt. Wir sind da in enger Kooperation mit dem Landesgestaltungsbeirat, diskutieren dort auch ganz intensiv die Fassadengestaltung. Auch aufgrund der gestalterischen Änderungen ist die Investitionssumme auf 95 Millionen Euro gestiegen.

Eine beachtliche Dimension …
Ja. Es ist die größte Investition, die Rondo Ganahl jemals getätigt hat. Wobei die Dimension technisch vorgegeben ist. Die Papierindustrie ist eine sehr energieintensive Branche. Wir brauchen gegenwärtig sieben Prozent der gesamten in Vorarlberg privat und industriell genutzten Gasmengen. Wir sind der größte Erdgasverbraucher Vorarlbergs. Mit Abstand. Die Nummer zwei braucht gerade einmal die Hälfte von uns.
Ließe sich das illustrieren, vergleichen?
Unser jährlicher Energiebedarf entspricht dem Jahresbedarf von 10.000 Haushalten. Wir haben einen Energiebedarf, wie ihn die gesamte Stadt Bregenz hat. Nimmt also unser Reststoffkraftwerk den Betrieb auf, wäre das, als würden alle Bregenzer Haushalte auf einen Schlag vom Gasnetz gehen. Vorarlbergs gesamter Erdgasverbrauch würde schlagartig um sieben Prozent sinken. 

Für die viel zitierte ,Energie-Autonomie Vorarlberg‘ wäre dies …
Ein monumentaler Schritt. Und wir reden hier noch dazu von einer Privat-Initiative! Wenn man die ,Energie-Autonomie Vorarlberg‘ wirklich ernst nimmt, und nicht immer nur davon spricht, dann muss man dieses Kraftwerk schnellstens realisieren. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie lange es dauern würde, 10.000 Haushalte weg vom Erdgas zu bringen. Angesichts dieser Dimension müssten doch alle sagen: ‚Legt los! Sofort!‘

Gibt’s denn Widerstände? Verzögerungen?
Wir halten selbstredend alle gesetzlichen Bestimmungen ein. Und noch mehr als das. Unsere Filteranlagen werden beispielsweise dafür sorgen, dass die Emissionen weit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten liegen, sie erreichen lediglich drei Prozent. Die Grenzwerte werden somit um 97 Prozent unterschritten! Auch haben wir uns verpflichtet, im Zuge der Bauarbeiten eine auf unserem Gelände gelegene, vor 60 Jahren bewilligte Deponie zu renaturieren. Aber die Gutachten und Verfahren sind enorm langwierig. Wir wollen eine Verkürzung der Behördenverfahren. Eine Fast-Lane sozusagen. Auch wenn das überspitzt klingen mag, aber das ist ein Projekt im öffentlichen Interesse. Zumal auch die bisher praktizierte Form der Reststoffverwertung einem Schildbürgerstreich gleicht.

Wie ist das zu verstehen?
Um das zu erklären, muss ich etwas ausholen. Wir werden in unserem Reststoffkraftwerk keinen Hausmüll, sondern ausschließlich Industrie- und Gewerbereststoffe thermisch verwerten. In Vorarlberg fallen pro Jahr 60.000 Tonnen dieser Industrie- und Gewerbereststoffe an, beispielsweise Altholz oder Stanzabfälle. Von dieser Gesamtmenge brauchen wir für unser Kraftwerk 25.000 Tonnen, weil 11.000 Tonnen bei uns selbst anfallen. Wir reden hier von hochenergetischen, nicht gefährlichen Abfällen. Diese Abfälle werden zu einem Vorarlberger Recycling-Unternehmen gebracht. Dort werden die Reststoffe aufbereitet, geschreddert und richtig gemischt, damit der Brennwert passt – und dann mit Elektro-LKW zu uns gebracht. Im Reststoffkraftwerk werden diese Abfälle dann thermisch verwertet, zu Prozesswärme. Das Reststoffkraftwerk ist ein sinnvolles Projekt, das endlich Energieträger im Land behält und hier thermisch verwertet. Und da sind wir dann, bei diesem Schildbürgerstreich …

Weil?
Weil im Moment diese Reststoffe mit Lastwagen quer durch das Land gekarrt werden, über die Grenze, nach Buchs. Und dort zahlen wir auch noch dafür, dass die Schweizer daraus Energie gewinnen. Ich habe erst vor kurzem einem Schweizer Architekten gesagt: ‚Ihr findet das sicher witzig, dass wir euch auch noch Geld dafür zahlen, damit ihr unseren Brennstoff nehmt.‘ Und er hat geantwortet: ‚Ja. Das ist echt witzig.‘ Dass es da nicht längst schon einen Aufschrei gibt! Das kann es doch nicht sein! Das ist absurd!

Widerspricht da der Unternehmer in Ihnen?
Ja. Und noch etwas, alle sagen: Weg von fossilen Brennstoffen. Aber dass Industrie- und Gewerbereststoffe ein beachtlicher Energieträger sind, das wird oft verkannt. Als Alternativen werden nur Windkraft, vor allem aber Photovoltaik genannt. Nur: Wir nützen bereits alle Dachflächen und werden das auch weiterhin tun. Aber das liefert uns gerade einmal ein einziges Prozent unseres Energiebedarfs. Ein Prozent! Das sind Peanuts. Photovoltaik ist bei unserem Energiebedarf lediglich Öko-Romantik. Leider.

Wie kam es zu diesem Projekt?
Es gibt in Europa kaum eine Papierfabrik ohne eigenes Kraftwerk. Wir sind da – noch – eine der ganz wenigen Ausnahmen. Nun sind wir zwar mit dem billigen russischen Gas jahrelang gut gefahren, allerdings gab es immer wieder Phasen, in denen wir wettbewerbsmäßig durchaus unter Druck gerieten. Also haben wir schon vor fünf, sechs Jahren damit begonnen, Kraftwerkspläne zu schmieden. Doch haben wir die Pläne dann wieder in die Schublade gelegt. Denn die Investition ist immens. Aber dann kam die Energiekrise. Der Krieg in der Ukraine. Und wir wurden voll getroffen, vor allem von zwei Komponenten.

Welche Komponenten?
Der Preis. Der war exorbitant. Wir waren auf einmal nicht mehr am Markt, mussten unter den Herstellungskosten verkaufen. Und die Verfügbarkeit. Wir haben am Anfang noch gesagt: ‚Ja, wir zahlen den Preis, aber bitte, schaltet nicht ab.‘ Weil dann die Papierfabrik und über kurz oder lang auch das Wellpappe-Werk zum Stehen gekommen wären. Und was passiert dann mit all unseren Mitarbeitern? Wir sind regelrecht auf Nadeln gesessen.
Die Rondo Ganahl AG hat also die Energiekrise massiv gespürt?
Sofort. Unmittelbar. Wir wollten zunächst Ölkessel besorgen. Allerdings ist unser Energiebedarf so hoch, dass selbst 50.000 Liter Erdöl lediglich eine Woche gereicht hätten. Zudem hätten wir mit Erdöl lediglich das Wellpappe-Werk, nicht aber die Papierfabrik aufrecht erhalten können. Und da haben wir gesagt: ‚So. Und jetzt ist Schluss!‘

Und an diesem Punkt holten Sie die Kraftwerkspläne wieder aus der Schublade?
Genau. Es wäre ja vorher schon sinnvoll gewesen. Aber an diesem Punkt war uns klar, dass kein Weg mehr daran vorbei führt. Denn die anderen Papierfabriken, die mit einem eigenen Kraftwerk, die konnten in dieser Zeit ruhig bleiben.

Mit dem Reststoffkraftwerk würde die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert …
Ja. Aber es ist so: Der Mensch vergisst extrem schnell. Erinnern Sie sich noch, wie groß der Aufschrei war, als die Russen in der Ukraine einmarschiert sind und die Energiekrise begann? Und alle sagten, man müsse dringend unabhängig werden von russischem Gas? Und erinnern Sie sich auch noch daran, wie schnell dann alles wieder verdrängt wurde? Obwohl dort nach wie vor Krieg herrscht? Ich finde das furchtbar. Wir haben uns durch das billige russische Gas lange genug einlullen lassen. Das darf nicht wieder passieren. Und da ich als Unternehmer gefordert bin, langfristig zu denken, sage ich: Das Problem mit der Energiekrise ist nach wie vor nicht gelöst. Und deswegen müssen Projekte wie das unsere so schnell wie möglich vorangetrieben werden.

Es ist also der Gedanke der Autarkie, der Ihr Unternehmen da treibt. 
Autarkie und Autonomie sind ganz tief in unserer Firmenphilosophie verankert. Wir leben das auch in unserem Produkt und in unserer Supply Chain. Wir haben einen Altpapiersammelbetrieb in Hall in Tirol. Dieses Altpapier verwenden wir, um bei uns hier Wellpappe-Rohpapier zu produzieren. Aus dem Wellpappe-Rohpapier machen wir Verpackungen. Der größte Teil an ,Rohstoff‘, der uns zur Herstellung von Papier noch fehlt, das ist die Energie. Es wäre also der logische Schritt, um den Kreislauf zu schließen. Die Holzfaser, die im Papier verwendet wird, wird bei uns bis zu 25-mal recycelt. Wellpappe ist besser als jede Mehrwegverpackung aus Plastik. Dieser Kreislaufgedanke entspricht meiner absoluten Überzeugung. Ich brenne regelrecht für dieses Produkt und für das Kraftwerk.

Das Projekt läuft unter dem übergeordneten Namen „Energieautonomie Frastanz“.
Richtig. Wir haben Partner. Die Brauerei Frastanz und das Feuerwehrhaus Frastanz werden angeschlossen, auch den E-Werken Frastanz bieten wir einen Anschluss für 500 private Haushalte. Da wird momentan diskutiert, wer das Netz ausbauen soll.

Zuletzt hieß es allerdings, die E-Werke würden zögern.
Wir sind in guten, konstruktiven Gesprächen mit den E-Werken, aber die Kosten für den Netzausbau zu den Haushalten können nicht wir übernehmen. Neben dem Anschluss der Haushalte ist unser Kraftwerk auch noch ein Energie-Back-up für Frastanz und ideal zur Systemabdeckung.

Die Wurzeln der Ganahl AG reichen bis ins Jahr 1797 zurück, es ist nach den Gebrüdern Weiß mutmaßlich das zweitälteste noch existierende, große Vorarlberger Unternehmen. In dem Projekt mischt sich also Historie und Zukunft …
Wenn man die Geschichte der Ganahl AG betrachtet, sieht man, dass sie immer wieder gezwungen war, neue Wege zu gehen. Die Ganahls haben einst als Kolonialwarenhändler in Feldkirch angefangen. Mit der Papierproduktion hat man übrigens im Jahr 1911 begonnen, weil die sogenannten Konen, also die Röhren, mit denen man Garne und Stoffe aufgewickelt hat, Mangelware waren. Da hat man sich gesagt: Dann machen wir das doch selbst! Lasst uns unabhängig sein! Und das machen wir jetzt wieder. Wir wollen unabhängig sein. Mit diesem Projekt wird die Papierproduktion am Standort Frastanz über Jahrzehnte hinweg gesichert sein. Es werden auch Tage kommen, in denen das Gas wieder billiger wird, es wird sehr lange dauern, bis sich diese gewaltige Investition amortisiert. Wenn überhaupt. Aber ich will Planbarkeit und Stabilität. Und ich bin mir sicher, dass man Generationen später noch sagen wird: Das war eine super Entscheidung, damals. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Reststoffkraftwerk Frastanz
Kapazität/Materialinput ca. 34.000 Tonnen nicht gefährliche Reststoffe pro Jahr, davon rund 11.000 Tonnen aus der Rondo-Papier­fabrik am Standort
Wärmeleistung ca. 35 Megawatt
Energie-Output pro Jahr 140 Gigawattstunden thermische Energie, 60 Gigawattstunden elektrische Energie
Benötigte Fläche 3600 Quadratmeter auf dem Firmengelände von Rondo
Bauhöhe Kraftwerk 32 Meter
Geplante Investitionssumme 95 Millionen Euro (Stand Frühjahr 2023)
Inbetriebnahme Kraftwerk
Anfang 2026 (geplant)

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