
„Das ist Realitätsverweigerung“
Österreich droht das dritte Jahr in Rezession; jene, die in wirtschaftlich guten Zeiten nach einem Ende des Wachstums riefen, sind auffällig still geworden. Ökonomin Monika Köppl-Turyna (40) begrüßt deren Schweigen, die EcoAustria-Direktorin sagt im Interview: „Weniger Wachstum bedeutet: weniger von allem.“ Und: „Ich würde mich an einer ausgeglichenen Kapitalismus-Diskussion in Österreich wirklich erfreuen. Es wäre höchste Zeit.“
Frau Professorin, welches jährliche Wachstum bräuchte Österreich? Und warum?
Zunächst sollte man verstehen, dass Wachstum keine abstrakte Größe ist. Mehr Wachstum bedeutet: Mehr Wertschöpfung pro Person. Mehr Einkommen pro Person. Mehr Geld zum Umverteilen. Mehr Geld für Investitionen, beispielsweise in Bildung, Gesundheit, Umwelt. Weniger Wachstum bedeutet dagegen: Weniger von allem. Ich möchte Ihre Frage also so beantworten: Das jährliche Wachstum in Österreich sollte so hoch wie möglich sein.
Wachstum ist also kein Selbstzweck der Unternehmer.
Natürlich nicht. Dass Wirtschaftswachstum den Menschen nichts bringe, ist nur ein Missverständnis, das sehr oft in der politischen Diskussion aufkommt. In der Realität bedeutet jedes Jahr mit weniger Wachstum – insbesondere bei wachsender Bevölkerung durch Migration – schlichtweg, dass pro Person einfach weniger Geld zur Verfügung steht. Corona hat uns in noch einer Hinsicht ausdrücklich bewiesen, was es bedeutet, wenn die Wirtschaft dramatisch schrumpft. Am Höhepunkt der Pandemie waren in Österreich 1,5 Millionen Menschen entweder arbeitslos oder in Kurzarbeit. Jedes Jahr mit weniger Wachstum bedeutet mehr Arbeitslose, bedeutet geringeren Lebensstandard. Und das kann doch kein Ziel sein.
Heuer droht Österreich das dritte Jahr in Rezession, wie dramatisch ist die Situation?
Nicht jede Rezession ist gleich. Der sehr tiefe wirtschaftliche Abschwung in der Pandemie hatte den konkreten Grund, dass lockdownbedingt deutlich weniger produziert und nachgefragt wurde. Davon haben wir uns vergleichsweise relativ schnell erholt. Die heutige Situation ist wesentlich schwieriger. Denn die Gründe für diese Rezession sind andere: Mangelnde Exportwettbewerbsfähigkeit, mangelnde Investitionen, schwacher Konsum in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Ohne Reformen kommen wir aus dieser Situation nicht wieder heraus. Und selbst wenn wider Erwarten heuer doch ein kleines Plus herauskommen sollte, wird Österreich um diese Reformen nicht herumkommen: Wir haben strukturell etwas zu verändern, um wieder auf einen höheren Wachstumspfad zu kommen. Weil Wachstum eben keine abstrakte Größe ist, wie zuvor gesagt.
Laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Österreich das einzige Industrieland weltweit, das sich im Gesamtjahr 2025 in einer Rezession befinden wird. Belegt das nicht, dass Österreichs Probleme in erster Linie eines sind: Hausgemacht?
Es ist nicht ganz so einfach. Die Weltnachfrage war durch die Inflationskrise infolge hoher Energiepreise sehr geschwächt, Österreichs wichtigster Handelspartner Deutschland steckt in Problemen, die Inlandsnachfrage schwächelt. Aber: Hätten wir unsere Hausaufgaben gemacht, zum Beispiel unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit nicht ständig weiter beeinträchtigt, und hätten wir ein sauberes Budget samt soliden Finanzen, dann wäre die Situation eine andere. Es fehlt der Spielraum, der notwendig wäre, um Österreich wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Sie sagten zuvor, in der politischen Diskussion werde Wachstum oft verkannt.
Die Diskussion wird sehr abstrakt geführt. Es fehlt teilweise wirklich das Verständnis dafür, was es bedeutet, wenn ein Land über längere Zeit einfach nicht wächst. Oder gar schrumpft. Man flüchtet sich in Ausreden, sagt, Österreich sei ja immer noch ein sehr reiches Land. Das stimmt natürlich, wir sind auf hohem Niveau. Aber die Frage ist eine andere: Wo werden wir in zehn Jahren stehen? Ändert sich nichts, sind wir in einem Jahrzehnt definitiv nicht mehr so kompetitiv. Dann wird unser Lebensstandard unweigerlich sinken. Und das kann politische Verwerfungen mit sich bringen, die wir sicherlich nicht wollen. Um es nochmals zu betonen: Österreich braucht Wirtschaftswachstum.
In wirtschaftlich guten Zeiten waren jene deutlich zu hören, die nach einem Ende des Wachstums riefen. Kapitalismus, übermäßiger Konsum, Wirtschaftswachstum seien schlecht, angesichts endlicher Ressourcen liege im Verzicht die Zukunft. Sie als Ökonomin dürften diesen Überlegungen von Anfang nichts abgewonnen haben …
Nein. Aus mehreren Gründen. Zum einen wurden und werden diese Stimmen im reichen Westen erhoben, während in anderen Teilen der Welt, beispielsweise in Afrika, nach wie vor die Kindersterblichkeit hoch ist, sehr viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, weite Teile noch nicht einmal Volksschulbildung bekommen. Ein Ende des Wachstums hieße, diesen armen Menschen jede Chance zu nehmen, aus ihrer Misere herauszukommen. Und das ist für mich moralisch nicht vertretbar. Ich sage das jetzt bewusst ganz salopp: Mit vollen Hosen ist leicht stinken. Europa ist reich. Unser Lebensstandard ist immer noch fantastisch. Auch aus einem anderen Grund lehne ich diese Überlegungen zum Ende des Wachstums entschieden ab …
Der da lautet?
Wir sollen durch Verzicht die Welt retten und den Klimawandel stoppen? Das ist nicht die Lösung. Wir brauchen das Gegenteil. Wir brauchen Wachstum, um unsere Umwelt- und Klimaziele erreichen zu können. Wir haben die Frage beispielsweise aus der Klimaperspektive untersucht. Ergebnis: Um die Emissionen bis 2040 tatsächlich auf null senken zu können, bräuchte Österreich ein jährliches Wachstum von etwa fünf Prozent. Wissenschaftliche Studien belegen zudem, dass Umwelt und Wachstum keine Gegenpole, sondern sehr wohl kombinierbar sind. Auch belegt die Umwelt-Kuznets-Kurve, dass Länder, die einkommensmäßig bereits auf hohem Niveau liegen, in erster Linie durch Technologieentwicklung weiter wachsen – und damit durch eine Entwicklung, die wiederum dafür sorgt, dass unsere Umweltqualität weiter verbessert werden kann. Wir brauchen Innovation und neue Technologien! Im Übrigen findet in vielen Ländern, auch in Österreich, bereits seit 20 Jahren real eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Emissionen statt. Nun mag man einwenden, dass das nicht schnell genug stattfindet, aber mit schlauer Politik wie beispielsweise in den skandinavischen Ländern könnte man das antreiben.
Die Ressourcen sind endlich, der Klimawandel ist Fakt, wenn also im Verzicht nicht die Zukunft liegt, wo liegt sie dann?
Die Zukunft liegt im immer effizienteren Umgang mit unseren Ressourcen. Und wie schaffen wir Effizienz? Durch technologischen Fortschritt, durch Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, durch Unterstützung mit politischen Mitteln. Indem Ziele definiert werden, die Unternehmen den Anreiz geben, in technologische Entwicklungen zu investieren. Es sind der Markt und der Wettbewerb der Ideen, die uns am meisten bringen: Nehmen wir an, unter hundert Ideen befindet sich auch genau jene, die beispielsweise CO2 in großem Stil aus der Atmosphäre zieht? Was ist dann? Die Geschichte zeigt, dass es Fortschritte immer gegeben hat. Wir können mit technologischem Fortschritt unseren Lebensstandard steigern, ohne weiteren Ressourcenverbrauch. Ich bin eine Technologieoptimistin. Und ich bin mir sicher, dass menschliche Kreativität keine Grenzen hat.
Heute schweigen sie jedenfalls, diese Degrowth- und Postwachstumsutopisten. Von denen hört man nichts mehr. Dass kein Wachstum nichts Gutes bringt, mussten im Parlament zuletzt auch die Grünen in Person von Werner Kogler zugeben.
Na, dann kann man sich nur freuen, dass sie zur Einsicht gekommen sind. Auch wenn ich annehme, dass wir diese Stimmen wieder hören werden …
Wer unverändert in Wachstum das Übel der Welt sieht, ist was? Ein Realitätsverweigerer?
Realitätsverweigerer? Das ist ein gutes Wort. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann, wir verzichten freiwillig darauf, dass es uns besser geht. Das ist Realitätsverweigerung; es zeigt das Unwissen darüber, wie die Welt wirklich aussieht.
Wachstumskritik läuft letztlich immer auf eines hinaus: Auf das Verordnen eines Lebensstils.
Ja. Wobei das mehr ist als nur ein Missverständnis. Es ist ein geradezu totalitärer Gedanke, zu behaupten, man könne alles von oben steuern. Es muss doch genau umgekehrt sein. Man muss dem Menschen die Freiheit lassen, wirtschaftlich zu erreichen, was er selbst erreichen will; davon profitieren dann andere. Bereits Adam Smith hat erkannt, dass der Bäcker seine Brötchen nicht aus Altruismus bäckt, sondern aus eigenem Antrieb. Das ist Kapitalismus.
Warum ist das Wort Kapitalismus mittlerweile so verpönt geworden?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, das beginnt bereits in der Schule. Schulische Bildung läuft da oft sehr einseitig, da spreche ich mit einem Kind im Gymnasium leider auch aus persönlicher Erfahrung. Es wird dort das Marktmodell schlecht geredet, es wird immer nur auf dessen negative Seiten verwiesen. Schattenseiten gibt es zwar zweifelsohne auch; und da muss die Politik auch immer wieder korrigieren. Aber die guten Seiten bleiben unerwähnt, es wird nicht gesagt, dass das Marktmodell uns einst aus der tiefsten Armut befreit hat. Und es wird nicht erwähnt, dass große Teile der Welt heute nicht mehr so arm sind, wie sie es noch vor 20 Jahren waren, weil sie Teilnehmer am Markt wurden. Die guten Seiten am Kapitalismus werden nicht erwähnt; die Schwächen werden dagegen kommuniziert und von der Politik dann auch öffentlichkeitswirksam weiter verstärkt. Ich würde mich an einer ausgeglichenen Kapitalismus-Diskussion in Österreich wirklich erfreuen. Es wäre höchste Zeit.
Herrscht in Österreich Ihrer Ansicht nach ein generelles Unverständnis, was Unternehmertum überhaupt ist?
Ja. Viele haben offenbar die Vorstellung, ein Unternehmer müsse nur an irgendwelchen Schnüren ziehen, schon stelle sich der Erfolg ein. Viele Arbeitnehmer sehen nur den Erfolg der Arbeitgeber. Dass Unternehmer Risiken eingehen, Verantwortung für sich, ihre Familien und ihre Mitarbeiter tragen, Herzblut einbringen, das wird nicht gesehen. Man hat in Österreich das Gefühl, dass viele gerne den Erfolg von Unternehmern hätten, deren Risiken aber niemals eingehen würden. Und das ist natürlich nicht möglich. Das eine gibt es ohne das andere nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Monika Köppl-Turyna
* 1985 in Warschau, ist Direktorin von EcoAustria. Zu den Forschungsschwerpunkten der Professorin zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie. Nach ihrer Promotion 2011 an der Universität Wien und Tätigkeiten als Assistenzprofessorin und Senior Economist ist sie heute in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten aktiv und lehrt als Professorin an der Seeburg Universität in Seekirchen und an der Universität Warschau.
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