„Der Jargon der Blender“
Managerdeutsch in Phrasen und Blasen: Publizist Jens Bergmann (59) widmet sich in seiner ständigen Kolumne im Wirtschaftsmagazin „brand eins“ und in seinem Buch dem Thema „Business Bullshit“. Ein Gespräch mit dem stellvertretenden Chefredakteur über das Vokabular der Angeber, über den Handel mit leeren Worten – und das Gespür oftmals stiller Mitarbeiter.
Herr Bergmann, haben Sie eine aktuelle Lieblingsfloskel? Gibt es eine Phrase der Stunde?
Der Mehrwert ist mir in jüngster Zeit häufig aufgefallen. Firmen jeder Größenordnung – von internationalen Unternehmensberatungen, über Großkonzerne bis hin zum kleinen Reisebüro in der Provinz – behaupten von sich: Wir schaffen Mehrwert. Und verwandeln so eine zentrale ökonomische Kategorie in heiße Luft. Marx hat damit einst das Wesen des Kapitalismus beschrieben: dass man den Arbeitern weniger zahlt, als sie erwirtschaften. Bei den aktuellen Versprechen, für die Kundschaft einen drauf zu legen, bleibt interessanterweise in aller Regel im Dunkeln, worin dieser Mehrwert eigentlich bestehen soll. Das ist ein klassisches Beispiel für Business Bullshit, weil es gut zeigt, wie Begriffe durch Kontextverschiebung und inflationären Gebrauch entwertet werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch unter dem unverblümten Titel „Business Bullshit“, dass noch nie derart viele Worthülsen im Umlauf waren …
Das ist so. Und glauben Sie mir: Da kommt noch mehr. Da man für die Verbreitung von Bullshit nicht viel Grips braucht, wird die künstliche Intelligenz damit gut zurechtkommen. Sie ist wie gemacht dafür, Blasen und Phrasen automatisiert zu produzieren und zu verbreiten.
Wer erfindet, propagiert und verbreitet diesen – von Ihnen nonchalant so genannten – ‚Sprachmüll‘?
Die Wirtschaft. Denn Firmen machen heute nicht nur Werbung für ihre Produkte, sondern auch für sich selbst. Nun hat man’s in der Werbung mit der Wahrheit noch nie so genau genommen, das kennen wir alle. Aber Imagewerbung ist besonders anfällig für Bullshit. Die Unternehmen haben zudem die finanziellen und personellen Mittel, diesen Jargon sehr weit zu verbreiten. Und deshalb reden heute nicht mehr nur Manager so sonderbar, sondern auch Sportler, Kirchenleute, Beamte und – sowieso – Politiker. Dass man gut aufgestellt sei, und was man am Ende des Tages alles schaffen werde, und so weiter. Letztlich ist jeder anfällig für diesen Jargon. Wer ohne Bullshit ist, der werfe den ersten Kuhfladen. Wir alle sind Sünder. Ich auch.
Was ist denn Bullshit eigentlich? Woher stammt der Ausdruck?
Ursprünglich aus dem Militär. Während des Ersten Weltkriegs machten sich britische Soldaten mit diesem Ausdruck über ihre Vorgesetzten lustig, die von ihnen blitzblank geputzte Stiefel verlangten, obwohl das vom überlebenswichtigen militärischen Training abhielt. Seit damals hat sich der Begriff weiter verbreitet. Bullshit ist übrigens kaum ins Deutsche zu übersetzen: Humbug, Quatsch, Unsinn, all das trifft es nicht so richtig. Einen wesentlichen Beitrag zur Bullshit-Forschung hat dann später der Philosoph Harry G. Frankfurt geleistet. Laut Frankfurt ist das Wesentliche am Bullshit diese Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind. Bullshit ist keine offenkundige Lüge, denn die setzt Gedanken darüber voraus, was eigentlich die Wahrheit ist. Ein Lügner muss sich also geistig anstrengen.
Und der Bullshitter?
Dem ist egal, was er sagt – er greift einfach in die Kiste mit den Plastikwörtern. Und macht dann was daraus. Das ist naheliegend und attraktiv: Wer die einhundert Plastikwörter aus meinem Buch im Repertoire hat, kommt als Führungskraft gut durch den Tag.
In ist jedenfalls, wer in diesem Jargon mitschwätzt.
Klar. Wer Moden folgt, ist auf der sicheren Seite. Das gilt für neue Kleider wie für leere Worte. Wer nicht vom Technikchef redet, sondern vom CTO, der zeigt: Ich weiß Bescheid! Ich gehöre zum Kreis der Eingeweihten!
Gibt es Menschen, die mit diesen Phrasen Geld verdienen?
Die Produktion und Distribution von Bullshit ist ein globales Milliardengeschäft. Ganze Berufszweige profitieren vom Handel mit leeren Worten. Vor allem Unternehmensberater leben davon, neue Buzzwords in die Welt zu setzen. Sie sind Superspreader von Bullshit, weil sie in vielen Unternehmen ein- und ausgehen und dort die gerade angesagten Modebegriffe platzieren. Industrie 4.0. Blockchain. New Work. Auch Keynote-Speaker, Seminaranbieter und Konferenzveranstalter sind im Bullshit Business tätig. Und ein Kundenkreis fühlt sich besonders angesprochen von den einschlägigen Angeboten: mittlere Manager, die noch was werden wollen. Sie saugen die Buzzwords begierig auf, damit sie in Meetings dann das Richtige sagen können.
Für das Wort Meeting haben Sie in Ihrem Buch ja eine äußerst nette Definition.
Meeting ist der Sammelbegriff für dienstliche Veranstaltungen und vielen Büromenschen ein Graus, besonders Fachleuten, auf die noch richtige Arbeit wartet. Die sitzen dann dort wie auf heißen Kohlen. Führungskräfte fühlen sich in Meetings dagegen tendenziell wohler, weil ein erheblicher Teil ihrer beruflichen Tätigkeit daraus besteht. Das ständige Sitzen in Meetings signalisiert, dass man wichtig ist. Und die englische Bezeichnung ist viel schicker als der deutsche Arbeitskreis – das Meeting ist eine typische Imponiervokabel.
Die Kapitel in Ihrem Buch tragen herrliche Titel: eben Imponiervokabular, Gutfirmensprech, Nullnachrichten. Könnten Sie, zwecks Illustration, jeweils ein Beispiel aus diesen Kapiteln nennen?
Der Quantensprung wird gern genutzt, um anzugeben. Wenn Führungskräfte oder vermeintlich wichtige Leute darauf hinweisen wollen, dass sie etwas ganz Großes geschafft haben, dann führen sie diesen aus der Physik stammenden Begriff ins Feld. Dabei bezeichnet er eigentlich eine minimale Bewegung im mikroskopischen Bereich – also das genaue Gegenteil des Gemeinten. Vermutlich rufen Quanten bei manchen die Assoziation großer Füße hervor.
Und ein Beispiel für den von Ihnen so genannten Gutfirmensprech?
Purpose ist einer meiner Lieblingsbegriffe aus dieser Kategorie. Erstaunlich viele Firmen fühlen sich heute bemüßigt, einen höheren Sinn und Zweck für sich zu behaupten. Dafür verantwortlich ist Larry Fink, Chef der weltweit größten Vermögensverwaltung BlackRock. Er hat vor Jahren einen Brandbrief an Vorstandsvorsitzende in aller Welt geschrieben und ihnen sinngemäß mitgeteilt, dass jene Unternehmen ohne Zukunft sind, die keinen Purpose haben. Daraufhin fing in vielen Firmen eine fieberhafte Sinnsuche an. Und was kam dabei heraus? Jede Menge Blabla und Standardfloskeln. Ich habe bei meinen Recherchen etliche Firmen gefunden, deren Purpose lautet: Nachhaltig Werte schaffen ist unser Unternehmenszweck, an dem alle in der Firma XY mitarbeiten. Wenn Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen angeblich denselben Zweck verfolgen, dann fragt man sich schon, wie gehaltvoll das ist – um nicht zu sagen: wie nachhaltig. Ein leider auch bis zur Unkenntlichkeit abgenutzter Begriff.
Und die Nullnachrichten?
Das sind die hohlsten und nahezu bedeutungsfreien Begriffe, gut geeignet für Situationen, in denen man etwas sagen soll, aber nichts zu sagen hat. Proaktiv finde ich ganz toll, diese unnötige Aufblähung des Begriffs aktiv. Erinnert mich stark an die proaktiven Joghurts, die auch nicht besser sind als normales Joghurt, nur teurer. Wenn jemand pünktlich zur Redaktions-Konferenz erscheint, dann lobe ich ihn im Scherz gern als proaktiv. Ich mag es sehr, dieses Wort.
Gibt es zu wenige kritische Köpfe, die diesen Unsinn hinterfragen?
Das denke ich nicht, denn ich bekomme auf mein Buch und meine Kolumnen in „brand eins“ viel Resonanz. Bei der Bullshit-Abwehr gibt es allerdings zwei Probleme. Zum einen sind es oft die Stillen und die wahren Fachleute, die ein Gespür dafür haben, dass dieser Jargon in die Irre führt. Solchen Menschen fällt es oft schwer, sich gegen Blender und Lautsprecher durchzusetzen. Zum anderen ist es sehr viel schwieriger, Bullshit zu kritisieren oder richtigzustellen, als ihn in die Welt zu setzen. Das wäre eine Sisyphusarbeit. An der Flut an Bullshit kann man verzweifeln. Die gängigste Form der Gegenwehr ist deswegen der passive Widerstand. Die Leute sitzen in den Meetings und spielen Bullshit Bingo, streichen also die einschlägigen Begriffe ab. Oder sie schalten einfach ab. Es liegt auf der Hand, dass das der Produktivität nicht zuträglich ist.
Sie empfehlen klugen Unternehmern und Managern: Haltet eure Firmen im eigenen Interesse von derlei Sprachunrat frei!
Ja, denn viele gute Leute sind frustriert von diesem Gerede. All die Phrasen wirken auf kluge und wirklich an ihrer Arbeit interessierte Menschen abschreckend. Der Jargon zieht Blender, Dampfplauderer und Jasager an und kann insgesamt zur Verdummung ganzer Unternehmen führen. Und noch etwas: In der Wirtschaftswelt kommt es eigentlich darauf an, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden. Man will es anders, besser machen. Das ist der Sinn in einer Marktwirtschaft. Umso erstaunlicher, dass in Unternehmen überall das gleiche leere Stroh gedroschen wird. Daher würde ich allen Führungskräften empfehlen, sich von Business Bullshit so weit wie möglich freizuhalten. Auch wenn man ihm, wie gesagt, nicht ganz entkommen kann.
Eine Frage liegt uns noch auf dem Herzen, dürfen wir die noch stellen?
Selbstverständlich!
Braucht die Industrie 4.0 nicht zwingend die Agilität der Out of the Box-Denker, um zeitnah als High Performer die Komfortzone der Old Economy verlassen zu können?
(lacht laut auf). Das sind ja sieben Begriffe in einem Satz! Wahnsinn! (lacht weiter). Sehr, sehr gut!
Vielen Dank für das Gespräch!
Lesetipp!
Jens Bergmann, „Business Bullshit – Managerdeutsch in 100 Phrasen und Blasen“, Dudenverlag Berlin, 2021.
Zur Person
Jens Bergmann
* 1964 in Hannover, schloss an der Universität Hamburg Studien der Psychologie und der Journalistik ab und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Er arbeitete als Autor für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften und lehrte an Hoch- und Journalistenschulen. Seit 2001 ist er Redakteur bei dem Wirtschaftsmagazin „brand eins“, seit 2017 stellvertretender Chefredakteur. Bergmann hat mehrere Bücher veröffentlicht.
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