Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Eine wenig rational geführte Debatte“

Februar 2024

EU-Lieferkettengesetz: Klaus Friesenbichler (44), stellvertretender Direktor des Lieferketteninstituts ASCII und Senior Economist beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sagt im Interview, dass im Interesse aller eine praktikable Lösung gefunden werden müsse. 

Freihandel wird von der österreichischen Bevölkerung mehrheitlich skeptisch gesehen, man sieht eher die Nachteile, denn die Vorteile. Wie bewerten denn Sie diese Haltung, Herr Friesenbichler?
Wir haben in Österreich eine wenig rational geführte, emotionalisierte Diskussion über internationale Arbeitsteilung und somit auch über Freihandel. Da wird sehr polarisiert diskutiert. Und dass es da so eine fundamentale Gegnerschaft gibt, das ist für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die österreichische eine befremdliche Situation.

Auch das EU-Lieferkettengesetz wird kontrovers diskutiert. 
Auch hier ist beobachtbar, dass die Debatte nicht mehr rational geführt wird. In Österreich, aber auch auf europäischer Ebene, ist das nur noch ein Schlagabtausch plakativer Schlagwörter. Und ich weiß nicht, ob die Regulierung in Brüssel jetzt tatsächlich noch inhaltlich verhandelt wird. Dabei wäre ja eigentlich Ziel, zu einer effektiven Regulierung zu kommen; also zu einer Regulierung, die ministrabel ist, die kosteneffizient ist, also für Unternehmen auch leistbar. Wir hätten ja nichts von einer Regulierung, die zu restriktiv und zu teuer wäre und so scharf umgesetzt würde, dass unternehmerisches Handeln dann kaum mehr möglich ist. 

Der Tenor aus der Wirtschaft, aus der Industrie lautet: Niemand will Kinderarbeit, niemand will die Umwelt zerstören. Aber die Richtlinie in dieser Form ist nicht überblickbar und nicht administrierbar.
Dass die Administrierbarkeit und Überblickbarkeit kritisiert werden, ist nachvollziehbar. Man diskutiert letztlich eine Art Globalhaftung, die so gut wie alle Unternehmen trifft. Jetzt kommen wir aber zu einem für Sie als Journalisten und für mich als Forscher wenig ergiebigen Punkt, der leider ganz zentral ist: Diese Regulierungen werden hinter verschlossenen Türen ausverhandelt und bleiben lange Zeit relativ intransparent. Man kennt den aktuellen Stand der Dinge nicht. Man weiß nur, dass man sich in Eckpunkten geeinigt hat; etwa, dass man die Anwendbarkeit erweitert hat, im Vergleich zu den bereits existierenden Lieferkettengesetzen in Frankreich und in Deutschland. 

Von welcher Dimension ist da eigentlich die Rede?
Wir haben uns am Lieferketteninstitut ASCII unseren eigenen, sozusagen synthetischen Datensatz konstruiert. Wir wissen, wie viele Firmen es in Europa gibt, wir wissen über die Größenklassen und die Branchen­zugehörigkeit Bescheid, und wir können – bei Waren sehr gut, bei Dienstleistungen etwas weniger gut – einschätzen, wie internationale Handelsverflechtungen aussehen. Unser Tool zeigt nun das Firmennetzwerk inklusive Handelsverflechtungen: Es sind 30 Millionen europäischen Firmen in rund 900 Millionen Lieferbeziehungen. Doch trotz der Größe handelt es sich letztlich um ein Small-World-Netzwerk.  

Soll heißen?
Geht man zwei, drei, maximal vier Lieferschritte zurück, landet man in einer Gegend, in einem Land, bei einem Lieferanten, der potenziell problematisch ist. Vor allem in den sogenannten Hochrisiko-Sektoren, die ein hohes Risiko aufweisen für Umwelt- und Sozialverstöße. Das sind die Landwirtschaft, die Textilindustrie und der Bergbau. Betrachtet man nun die Lieferketten beispielsweise bei Textilien, dann dürften circa 80 Prozent der textilverarbeitenden europäischen Unternehmen letztlich Güter und Dienstleistungen von „problematischen“ Lieferanten beziehen. Und jetzt stellt sich die Frage: Wie geht man damit um? Wie kann ein entwicklungspolitisches Instrument auch praktikabel umgesetzt werden? 

Was wäre denn der bessere Weg? Was wäre ein praktikabler, administrierbarer Weg?
Wir schlagen ein System vor, in dessen Zentrum Komplexitätsreduktion steht: Von vornherein alle Länder ausnehmen, die ein hinreichend gutes Rechtssystem haben – das träfe beispielsweise die gesamte EU, Nordamerika, Japan und Südkorea. Und für alle anderen Länder sollte ein Versicherungssystem und ein Zertifizierungssystem eingeführt werden: Lieferanten in den betreffenden Ländern werden geprüft, sind sie sauber, bekommen sie einen Stempel, der Versicherer übernimmt das Risiko. In Screenings vor Ort, in die Prüfung der jeweiligen Produktionsbedingungen, könnten auch die NGO eingebunden werden.

Wie lautet Ihr Fazit?
Eine Regulierung ist wünschenswert, sie muss allerdings effektiv und auch kosteneffizient umgesetzt werden. Es wäre in unser aller Interesse, dass wir eine praktikable Lösung finden. Aber die jetzige Diskussion gibt Anlass zur Sorge, es scheint die rationale Diskussion, wie so eine Regulierung ausgestaltet werden soll, leider verloren zu gehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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