Roswitha Fessler

HTL-Professorin im Ruhestand für Deutsch, Geschichte und Ethik

Ein anderer Blick auf die Geschichte

März 2022

Vielfach herrscht immer noch die Meinung vor, dass Frauen zur Kultur-, Wissenschafts- und Politikgeschichte einen geringeren Beitrag geleistet hätten als Männer. Der neueren Forschung ist es zu verdanken, dass dieser Irrtum aufgedeckt werden konnte und überkommene Vorstellungen und Klischees über die historische Rolle der Frau infrage gestellt werden müssen. Die offizielle Geschichtsschreibung ist aber leider noch weit davon entfernt.
Mit Hilfe neuer Analysemethoden konnte zwar belegt werden, dass in manchen Fürstengräbern, bestattet mit ihren Waffen und Streitwagen, Fürstinnen ruhen, deren Skelette man automatisch Männern zugeordnet hatte, trotzdem wird immer noch ausschließlich von Herrschern gesprochen. Man weiß inzwischen, dass Bilder von Künstlerinnen ihren Vätern, Ehemännern oder Kollegen zugeschrieben wurden, dass Kompositionen von Frauen in Archiven zu entdecken wären, ihre Namen sind aber immer noch nur wenigen geläufig. 
Der Anteil der Frauen an Literatur, Philosophie oder den Naturwissenschaften wurde lange geleugnet oder marginalisiert, ihre Entdeckungen und Erfindungen negiert, im besten Fall als Ausnahmeerscheinungen abgetan. Mathematikerinnen wie Ada Lovelace, die schon 1834 das erste Programm für eine Rechenmaschine schrieb, sind weiten Teilen der Bevölkerung auch heute noch unbekannt, weil sie in keinem Schulbuch erwähnt werden. Solange die Leistungen dieser Frauen nicht als selbstverständlicher Bestandteil des Unterrichts gelten, sie in Medien und Museen unterrepräsentiert sind, bleiben sie unsichtbar. Um sie ans Licht zu holen, ist ein anderer Blick auf die Geschichte notwendig, auch, weil Mädchen und Frauen Vorbilder brauchen, die ihnen bei ihrer Lebensgestaltung Orientierung verleihen und neue Wege für ihre Entwicklung aufzeigen.