Albert Lingg

Psychiater

Nur noch kurz die Welt retten …

September 2020

„Muss nur noch kurz die Welt retten…“ Dieser eingängige Song kam mir im Austausch mit Maturanten in den Sinn, die sich in diesem Jahr besondere Gedanken um ihre Berufswahl machten. Hatte manchem doch erst die Seuche vor Augen geführt, wie weit unsere Normalität ja schon lange keine normale, sondern eine letale (Markus Gabriel) war, angesichts Klimakrise, schamloser Ausbeutung von Ressourcen, sozialer Ungleichheit, Massentourismus etc. Was tut not? In der Corona-Debatte setzt nun wieder die Mehrheit auf die MINT-Fächer, verlangt mehr Naturwissenschaftler, Virologen, Pharmakologen; setzen viele auf technische Lösungen (Impfung, Alarm-Apps) in der Illusion auf ein Weiterleben und Wirtschaften wie gehabt. Das nächste Virus, woher auch immer, oder Umweltkatastrophen werden die Weltgemeinschaft so erneut ins Schlingern bringen. Es sei denn, wir lernen aus der gegenwärtigen Krise nicht nur mit Seuchen besser umzugehen, sondern fassen auch Mut, in der Krise aufgedeckte Fehlentwicklungen anzugehen. Was braucht es noch? Bedenklich, dass unser Bildungssystem mehr und mehr an die Anforderungen der Wirtschaft angepasst wird – heißt AUSBILDUNG statt BILDUNG – also um den Preis, dass jene Fächer ins Hintertreffen geraten, die mit Bildung zu tun haben und den jungen Menschen die Fähigkeit kritischen Denkens vermitteln – dies vor allem auch in Zeiten alternativer Wahrheiten und Fake News und immer mehr beklagter sozialer Kälte! Eine komplexe Welt braucht komplexes Denken – KNOW-HOW muss auf KNOW-WHY treffen! Wir benötigen natürlich weiter technologische Innovationen, aber auch jemanden, der uns die heutigen Krisen erklärt und psychologisches Einfühlungsvermögen und moralische Sensibilität fördert. Ein Plädoyer übrigens für ein Pflichtfach Ethik – schon ab der Grundschule!