J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

City Nature Challenge 2024 – Naturwettbewerb der Städte

April 2024

Zeigen wir der Welt, wie artenreich Vorarlberg ist!

Am Anfang stand ein freundschaftlicher Wettstreit zwischen Los Angeles und San Francisco. Los Angeles ist mit knapp 2,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Vereinigten Staaten. San Francisco ist ungleich kleiner, hat aber mit rund 875.000 Menschen immer noch mehr als doppelt so viele Einwohner wie Vorarlberg. Beide Städte sind dicht besiedelt. Hören wir ihre Namen, so denken wir an Straßenschluchten und Wolkenkratzer. Für die Natur scheint in diesen Großstädten kein Platz mehr zu sein. Was soll es hier schon zu entdecken geben? Wie so oft, führen Vorurteile in die Irre. Doch welchen Stellenwert die Artenvielfalt in solch einem Ballungsraum tatsächlich für sich beanspruchen kann, blieb im Dunkeln. Menschliche Ansiedelungen – und speziell in dieser Dimension – gehören nicht zum primären Zielgebiet der Biologie. Die California Academy of Sciences und das Natural History Museum of Los Angeles County beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Fachleute mit der Kartierung der Tier- und Pflanzenarten im Siedlungsraum zu betrauen, schien aussichtslos. Aber warum nicht die Bevölkerung selbst in die Forschung mit einbeziehen? 2016 riefen die beiden Institute erstmals zur gemeinschaftlichen Artenzählung in Los Angeles und San Francisco auf. Die Idee war so einfach wie genial: Mobiltelefone mit Kamerafunktion sind heute allgegenwärtig. Mit iNaturalist stand eine geeignete Beobachtungsplattform zur Verfügung, auf der auch Laien ohne Artenkenntnis ihre Beobachtungen festhalten konnten. Die Bestimmung der fotografierten Lebewesen wurde der Künstlichen Intelligenz überantwortet, aber bereits bei der ersten City Nature Challenge waren Fachleute dazu angehalten, die so ermittelten Namen auf Plausibilität zu prüfen. Das Ergebnis übertraf die Erwartungen: 1018 Menschen dokumentierten in 19.742 Beobachtungen insgesamt 3152 Arten – für ein erstmals durchgeführtes Experiment durchaus beachtliche Zahlen: Das Konzept kam an, und im Folgejahr stellten sich bereits 16 Städte innerhalb der USA dem Wettbewerb. 2018 wurde die City Nature Challenge international, und seit 2020 ist auch Österreich beim freundschaftlichen Wettstreit vertreten. Für heuer haben sich 715 Städte und städtische Regionen weltweit für dieses Festival der Artenvielfalt registriert – und Österreich ist mit 14 Regionen dabei. Vorarlberg ist auf der Teilnehmerliste sogar zweimal zu finden: Gleich wie das Haus der Natur in Salzburg setzt die inatura auf die Internetplattform Observation.org.
War die Dokumentation der Natur in früheren Zeiten wissenschaftlichen Kreisen vorbehalten, so ist heute die Mithilfe der Bevölkerung aus dieser Monsteraufgabe nicht mehr wegzudenken. Artenkenntnis war nie ein Lehrgegenstand der Universitäten, doch mit der Verschiebung der inhaltlichen Schwerpunkte hin zu Mikrobiologie und Genetik nimmt die Zahl derer, die sich der Naturdokumentation verschrieben haben, kontinuierlich ab. Gleichzeitig verlangt der internationale Naturschutz die langfristige Beobachtung der Schutzgebiete. Die Kräfte der wenigen verbliebenen Fachleute sind dort gebunden. Sie können sich nicht vervielfältigen, können nicht das ganze Land flächendeckend beforschen. Sie erheben über kleine Gebiete vieles, doch es bleiben große, nicht unter besonderem Schutz stehende Gebiete, über deren Lebewelt nur wenig bekannt ist. Und der Siedlungsraum war schon immer ein Stiefkind der Forschung. Wie sollten dort auch systematische Erhebungen durchgeführt werden? Am besten gelingt dies noch durch nächtliche Begehungen: Fliegende Insekten – in erster Linie Nachtfalter – die vom Licht angezogen werden, werden im Umfeld mancher Lampen angetroffen. Bei Bodenbewohnern wird es bedeutend schwieriger: Auf Verkehrsflächen und Gehwegen Fallen zu installieren, ist kaum möglich. Und synanthrope Arten, die sich die menschlichen Behausungen als Lebensraum auserkoren haben, entziehen sich fast völlig der Dokumentation. Es sind Zufallsbeobachtungen und Anfragen besorgter Mitmenschen angesichts eines ihnen unbekannten Tieres, die uns über ihre heimlichen Untermieter informieren.
Genau hier setzt Citizen Science mit Beobachtungsplattformen wie Observation.org an. Gute Fotos, wie sie heute mit jedem besseren Mobiltelefon erzielt werden können, wurden längst als dem musealen Beleg ebenbürtig erkannt. Künstliche Intelligenz schafft es, eine erstaunliche Menge an Arten selbst auf schwachen Fotos korrekt anzusprechen. Satellitenbasierte Ortsbestimmung fasst die Fundorte mit Koordinaten in Zahlen, um sie jederzeit wieder lokalisieren zu können. In der Masse sind Zufallsbeobachtungen bei statistischer Auswertung ähnlich aussagekräftig, wie systematische Erhebungen. Und vor allem. Naturdokumentation macht Spaß. Überall gibt es Neues zu entdecken, und manchmal sind die beobachteten Arten auch für die Wissenschaft des Landes überraschend und vielleicht sogar neu.
Von 26. bis 29. April 2024 also gilt es, Naturbeobachtungen aus ganz Vorarlberg auf Observation.org zu melden. Danach bleibt für die inatura und externe Fachleute eine Woche Zeit, um die Fotos zu sichten und zweifelhafte Fälle neu zu bewerten. Am 6. Mai 2024 schließlich werden die Ergebnisse verkündet. Für die weltweite Vergleichbarkeit fließen die Fläche des Beobachtungsraumes und die Bevölkerungszahl in das Ranking mit ein. Zeigen wir der Welt, wie artenreich Vorarlberg ist – jede Beobachtung zählt!

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