J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Der dritte Mammutfund in Vorarlberg mutiert zum Science Hoax

Dezember 2023

Abgeschriebene oder von Ghostwritern verfasste Diplomarbeiten und Dissertationen zwingen immer wieder Politiker und andere Personen des öffentlichen Interesses dazu, ihre Funktionen niederzulegen. Regelmäßig vernehmen wir, dass wissenschaftliche Studien aufgrund fehlerhafter Basisdaten oder methodischer Mängel zurückgezogen werden müssen. Der Geltungsdrang der Wissenschaftler und die Forderung nach immer mehr Publikationen in angesehenen Fachzeitschriften treiben seltsame Blüten. Forschungsergebnisse werden veröffentlicht, lange bevor deren Grundlagen methodisch abgesichert sind. Und in gar nicht mehr so seltenen Fällen basieren „sensationelle“ Entdeckungen schlichtweg auf Fälschungen. Die Liste fragwürdiger Studien, Publikationen und Sensationsfunde wird immer länger. Im „sauberen Ländle“ freilich kann so etwas nicht passieren – oder? Und doch hat sich jüngst einer der spektakulärsten Fossilfunde des Landes als „Hoax“, als übler Scherz herausgestellt.
Bereits 1889 wurden bei Au im Bregenzerwald Reste eines Mammuts gefunden. Der Rechenschaftsbericht des Landesmuseums vermerkt als Neuzugang: „Zwei fossile Zahnfragmente des Mammuths (Elephas primigenius) gefunden in Au, Bregenzerwald, geschenkt von Herrn k. k. Bezirksarzt Dr. [Jodok] Baer [Bregenz].“ Dennoch fanden Knochen, die knapp 100 Jahre später 1987 beim Bau der Lawinengalerie in Au ans Tageslicht gekommen sein sollen, zunächst keine Beachtung. Der Überlieferung zufolge sollen sie – auch um einem Baustopp vorzubeugen – schlichtweg in die Bregenzerach gekippt worden sein. Eine Nachsuche blieb erfolglos. Doch dann entdeckte Walter Krieg, damals Direktor der Vorarlberger Naturschau, im Heimatmuseum Egg einen Mammut-Backenzahn mit der Fundortangabe Au. Als Finder war ein bekannter Bregenzerwälder Heimatforscher genannt. Es ist nur zu verständlich, dass Walter Krieg den Zahn als bedeutendes Relikt aus Vorarlbergs Vorzeit für „sein“ Museum reklamierte. Dies wiederum stieß beim Finder auf wenig Gegenliebe: Bevor er seinen Fund nach Dornbirn ausliefere, werde er ihn von der Fluhbrücke in Egg in denjenigen Fluss werfen, aus dem er geborgen worden ist. Kurz darauf war der Zahn dann tatsächlich aus dem Heimatmuseum verschwunden. Um diese Zeit – es war gerade Winter – hatte der begeisterte Höhlenforscher Walter Krieg Besuch von befreundeten Speläologen, die sich dem Höhlentauchen verschrieben hatten. Bald kam die Sprache auf den Zahn, und ob dieser der kalten Jahreszeit zum Trotz aus dem Fluss geborgen werden könnte. Die Taucher schritten zur Tat, und der Mammutzahn kam – wenngleich etwas beschädigt – schließlich doch noch nach Dornbirn. „Der dritte Mammutfund in Vorarl­berg“ betitelte Walter Krieg seinen Beitrag im Jahrbuch 1989 des Vorarlberger Landesmuseumsvereins. Niemand zweifelte an dem Fund und seiner Geschichte, und erst vor wenigen Jahren wurde das Fossil in einer Aufstellung aller Mammutnachweise aus Österreich erneut in einer Publikation erwähnt.
Die wahre Herkunft des Zahnes kam erst nach dem Tod des Heimatforschers bei der Sichtung seines Nachlasses ans Licht. Auf einer Kopie des Schreibens, das er seinerzeit von Walter Krieg erhalten hatte, sind handschriftlich die tatsächlichen „Fundumstände“ des Zahnes vermerkt. Walter Krieg und der Heimatforscher wurden beide gelegentlich von den Behörden als Amtssachverständige beigezogen. Bei einem dieser Verfahren fühlte sich der Heimatforscher von Walter Krieg beleidigt und bloßgestellt – der Museumsdirektor habe sein Fachwissen zu Unrecht massiv angezweifelt. Das Verhältnis der beiden scheint schon längere Zeit gespannt gewesen zu sein, und es war dies wohl auch nicht der erste Fall, bei dem die gegensätzlichen Meinungen der beiden aufeinandergeprallt sind. Für den Heimatforscher war es Zeit für eine fachliche Retourkutsche. Den Backenzahn hatte er sich gemeinsam mit anderen Mammutknochen von einem Freund aus Mannheim beschafft, der sie aus den dortigen Kiesgruben geborgen hatte. Am Oberrhein sind Mammutfunde keine Seltenheit. „Aus 1000enden [sic!] Stücken“ wählte er einige für Vorarlberg. Diese wurden dann auf der Baustelle in Au gut sichtbar ausgelegt. Schließlich nahm Walter Krieg den Ort in der Regel zwei Mal die Woche in Augenschein. Als keine Reaktion erfolgte, wanderte der Backenzahn ins Heimatmuseum in Egg – dort musste er irgendwann auffallen. Was schließlich auch geschah. Der Rest deckt sich mit der „offiziellen“ Geschichte. Doch eine sorgfältige Prüfung des Fundes unterblieb. Zwischen den Zahnlamellen steckten, so der Heimatforscher, kleine Steinchen von Aaregranit – ein Gestein, das im Bregenzerwald unmöglich gefunden werden kann. „Ein profunder Geologe würde das sofort richtig einordnen“, merkt er an, und er meint weiters: „Was aber Walter als studierter Geologe [an] gewissen[n] Kleinigkeiten übersehen hatte, wird ihm heute, nachdem er bald verstarb, im Himmel oben ein Schmunzeln entlocken!“ Und doch übersah der Heimatforscher seinerseits eine gewisse Kleinigkeit: Walter Krieg besuchte zwar einst auch Vorlesungen der Geologie, doch eigentlich hatte er Germanistik und Geografie studiert.
Durch diese handschriftliche Notiz erscheint ein vermeintlich spektakulärer Fossilfund aus dem Bregenzerwald in einem neuen Licht. Den Nachkommen des Heimatforschers ist zu danken, dass sie dessen Nachlass für die Forschung zugänglich gemacht haben. Dadurch fand auch eine Kopie dieses Schriftstücks den Weg in die inatura, wo der Mammutzahn weiterhin verwahrt wird – nun aber mit dem neuen Fundortetikett „Kiesgrube bei Mannheim“.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.