J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

© Thinkstock

Die Alpen-Überflieger

Oktober 2017

Ihre Raupen fallen auf: Fingerdick und bis zu 14 Zentimeter lang, gelb bis grün, manchmal auch braun gefärbt, mit Längs- oder Schrägstreifen gemustert. Ein dornartiger Fortsatz am Hinterleib sowie Scheinaugen sollen Fressfeinde abschrecken. Da verwundert es nicht, wenn erschrockene Gartenbesitzer meinen, eine kleine Schlange entdeckt zu haben. Doch auch die aus ihnen schlüpfenden Falter sind bemerkenswert – die Schwärmer zählen zu den größten Faltern, die in Vorarlberg im Freiland beobachtet werden können. Doch nicht alle Arten gelten hierzulande als heimisch.

Als Wanderfalter werden jene Schmetterlinge bezeichnet, die aus ihren eigentlichen Verbreitungs- und Fortpflanzungsarealen gezielt über längere Strecken in andere Gegenden vordringen. Warum sie das tun, ist nicht bei allen Arten hinreichend geklärt. Vielfach sind es saisonale Wanderungen, durch welche die Tiere ungünstigen Lebensbedingungen zu entgehen trachten. Bei anderen Arten ist eine gewisse Populationsdichte der Auslöser für solch ein Verhalten. Wanderfalter finden sich in den unterschiedlichsten Schmetterlingsfamilien. Manche Edelfalter gehören dazu, einige Weißlinge und der eine oder andere Eulenfalter. Doch als die faszinierendsten Wanderer gelten Totenkopfschwärmer und Taubenschwänzchen, aber auch der hierzulande nur äußerst selten zu beobachtende Oleanderschwärmer.
Die Taubenschwänzchen gehören zu jenen Nachtfaltern, die am Tage angetroffen werden. Obwohl sie vergleichsweise kleine Tiere sind, sind sie immer noch viel zu schwer, um auf einer Blüte landen zu können – deren Stängel würde unweigerlich abknicken. So schweben sie im Schwirrflug vor der Pflanze, um mit ihrem langen Rüssel den Nektar zu saugen. Fast könnte man meinen, einen kleinen Kolibri vor sich zu haben. Das eigentliche Verbreitungsgebiet der Taubenschwänzchen ist der Mittelmeerraum. Ihre Wanderungen führen sie im Winter nach Afrika in Gegenden südlich der Sahara, in den Sommermonaten aber in den Norden über die Alpen. Was sie dabei leisten, ist gewaltig: Bis zu 3000 Kilometer können sie in weniger als 14 Tagen bewältigen! Die ersten Falter, die aus dem Süden einfliegen, erreichen Mitteleuropa im Juni bis Mitte Juli. Hier können sie sich erfolgreich fortpflanzen. Ihre nördlich der Alpen geschlüpften Nachkommen fliegen dann ab Mitte August bis in den September. Wohin die Falter vor dem Winter verschwinden, ist weiterhin unklar. Ein Rückflug in den Süden wurde bis jetzt noch nicht zweifelsfrei dokumentiert. Hieß es in älteren Lehrbüchern noch, dass die Taubenschwänzchen in unseren Breiten den Winter nicht überleben, so mehren sich in den letzten Jahren die Hinweise für eine erfolgreiche Überwinterung zumindest einzelner Tiere.

Weitaus seltener als das Tauben­schwänzchen sieht man hierzulande den imposanten Totenkopfschwärmer. Die Falter fliegen bevorzugt in den späten Abendstunden bis nach Mitternacht. Ihre Größe und ein zu kurzer Rüssel verhindern den Blütenbesuch. Zum Nahrungserwerb dringen die Falter in Bienenstöcke ein und tun sich dort am Honig gütlich. Da sie Geruchsstoffe produzieren, die jenen der Bienen gleichen, werden sie nicht als Eindringlinge erkannt. Doch auch vier Bienenstiche könnten sie unbeschadet überleben. Dennoch entdecken Imker gelegentlich im Bienenstock mumifizierte Tiere. Weitaus häufiger als die Falter findet man deren Raupen. Im letzten Raupenstadium werden sie bis zu 15 Zentimeter lang. Ihre Grundfarbe ist gelbgrün bis gelborange. Von oben gesehen zeigen sie ein V-förmiges Muster, wobei die schrägen Linien bauchseitig gelb, oben aber blau begrenzt sind. Der Rücken ist von dunklen Punkten bedeckt. Obwohl grundsätzlich nicht wählerisch, fressen die Raupen bevorzugt an Nachtschattengewächsen, und hier wiederum gerne an Kartoffeln. Auf Kartoffelfeldern werden sie auch am häufigsten entdeckt. Die Tiere überwintern im Erdreich vergraben als Puppe – zumindest theoretisch, denn fast immer überleben sie den kalten Winter nicht. Doch inzwischen kann man auch nördlich der Alpen gelegentlich frisch geschlüpfte Tiere beobachten. Ob diese dann in den Süden zurückfliegen, wird weiterhin kontrovers diskutiert.

Am außergewöhnlichsten ist jedoch das Zugverhalten des Oleanderschwärmers. Seine eigentliche Heimat liegt in Afrika südlich der Sahara. Von dort dringen die Tiere immer wieder in den Mittelmeerraum vor, wo sie sich auch erfolgreich fortpflanzen. Sehr selten verirren sich Falter aus der Mittelmeerpopulation über die Alpen. 2016 war für den Oleanderschwärmer ein besonderes Jahr. Zuvor in Vorarlberg nur drei Mal gesichtet (zuletzt 1975), konnten voriges Jahr sowohl drei Raupen als auch drei Falter dokumentiert werden. Die Falter sind nachweislich hier geschlüpft. In seiner tropisch-subtropischen Heimat ist der Oleanderschwärmer nicht zur Überwinterung gezwungen. Es gibt dort keine nahrungslose Zeit, in der er – egal, in welchem Stadium – zum Überleben seine Körperaktivitäten auf ein Minimum reduzieren müsste. Genau das aber wäre in unseren Breiten die Voraussetzung für eine erfolgreiche Überwinterung. Die Ende Oktober nördlich der Alpen geschlüpften Falter hatten daher damals keine Chance, die Kälte zu überstehen. Ein Rückflug wäre theoretisch möglich, erscheint aber als nicht wahrscheinlich.

Angesichts der Flugleistung mancher Schwärmer sollte man nicht übersehen, dass es auch in dieser Schmetterlingsfamilie heimische Arten gibt, die nicht wandern. Die Raupen von Lindenschwärmer und Abendpfauenauge (um nur zwei Arten zu nennen) sind um nichts weniger beeindruckend, und auch die Falter können sich sehen lassen!

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.