J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Falter im Frost: Die Überwinterungs- Strategien der Schmetterlinge

März 2024

Der Frühling zieht ins Land, und mit ihm kommt nach der beinahe insektenlosen Winterszeit wieder Leben in unsere Wälder, Wiesen und Gärten. Unter dem Kleingetier stehen die Schmetterlinge an erster Stelle auf der Sichtbarkeits- wie auch auf der Beliebtheitsskala. Wir freuen uns, wenn diese bunten Gaukler die Landschaft beleben. Nun sind sie also wieder da, aber wo waren sie eigentlich im Winter?
Schmetterlinge haben je nach Art unterschiedliche Strategien, die kalte Jahreszeit zu überdauern. Tagfalter, die sich – wie der Kleine Fuchs, das Tagpfauenauge oder der Zitronenfalter – im Jahr als erste zeigen, haben als erwachsene, geschlechtsreife Tiere überwintert. Im Herbst haben sie sich in geschützte Winterquartiere zurückgezogen. Dazu gehören auch vom Menschen errichtete Gebäude. So finden die Überwinterer ihre Verstecke oft in Stadeln und Scheunen, aber auch Garagen und Kellerräume werden gerne genutzt. In freiem Gelände kommen alle Strukturen in Frage, wo sie vor Wind und Wetter geschützt sind. Der Frost kann diesen Überwinterern nichts anhaben. Der Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni) verfügt mit Glycerin in Kombination mit Sorbit und Proteinen über einen körpereigenen Frostschutz – ein Phänomen, das in der Insektenwelt gar nicht so selten ist. Damit können die Tiere auch stärkeren Frost unbeschadet überstehen.
Eine Tagfalterart, die noch vor wenigen Jahrzehnten in unseren Breiten unmöglich überwintern hätte können, ist der Admiral (Vanessa atalanta). Dieser attraktive Schmetterling zählt zu den klassischen Wanderfaltern. Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt am Mittelmeer. Noch in den 1980er-Jahren war die Einwanderung über die Alpen der Regelfall. Die hier geschlüpfte Sommergeneration trat dann im Herbst die Reise in den Süden an. Eine Überwinterung nördlich der Alpen schien ausgeschlossen. Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, dass der Admiral den Winter auch hierzulande überdauern kann. Schon 2014 wurde der erste Admiral des Jahres Mitte Februar an einem sonnig-warmen Föhntag in Göfis dokumentiert – ein eindeutiger Überwinterer. Und heuer zeigte sich der erste Vertreter dieser Art bereits am 23. Jänner im inatura-Areal. Den nachfolgenden Kälteeinbruch überstand er problemlos. Aber nicht alle Tiere der Sommergeneration bleiben hier. Der Rückzug über die Alpen findet weiterhin statt: Vergangenen Oktober zog ein Falter nach dem anderen in Serfaus (Tirol) auf knapp 2400 Metern Seehöhe gegen Südwesten. Das Mittelmeer erreichen diese Wanderer dennoch kaum mehr: Der Südrand der Alpen ist ihnen als Überwinterungsquartier warm genug.
Nicht alle Schmetterlinge verbringen den Winter als geschlechtsreife Falter. Viel häufiger ist die Überwinterung als eines der Vorstadien Ei, Raupe oder Puppe. Der Graue Zwergspanner ist ein sehr häufiger Nachtfalter. Als Kulturfolger wird Idaea seriata in Gärten, an Häusern, auf Balkonen und in und um landwirtschaftliche Anwesen bis in die Städte angetroffen. Der Falter fliegt von April bis Oktober in zwei bis drei Generationen. Die Nachkommen der letzten Generation des Jahres überwintern als Raupe. Bei ihrer Nahrung sind sie keinesfalls wählerisch. Wird auch das Gewöhnliche Leimkraut als Hauptnahrungspflanze genannt, so werden selbst Zierpflanzen im Garten und am Balkon nicht verschmäht. Die Raupen sind klein genug, um leicht übersehen zu werden. Gelegentlich gelangen sie im Herbst als „blinde Passagiere“ mit den Topfpflanzen in geschützte Räume. Und weil die Falter vom Licht angezogen werden, verirren sie sich bisweilen auch in den Wohnbereich. Dort können sie ihre Eier an Zimmerpflanzen ablegen. Die Wärme im Keller und besonders im Wohnzimmer sorgt für eine raschere Reifung und frühe Verpuppung. Bereits im Jänner oder Februar schlüpft dann der voll entwickelte Falter – zu einer Zeit, in der er draußen im Freien nicht überlebensfähig wäre. Und im Zimmer fehlt ihm die nötige Nahrung.
Einer der schönsten Beweise, dass Nachtfalter nicht immer langweilig grau sein müssen, ist der Achat-Eulenspinner (Habrosyne pyritoides). Seinen Namen verdankt er einem weiß-braunen Schlingenmuster, das diese Art unverwechselbar macht. Gegen den Flügel-Vorderrand treten Orangetöne hinzu, und der vorderste Teil des Flügels ist (von weißen Linien begrenzt) ungezeichnet. Der Falter fliegt ab Mai bis August in lichten Wäldern, an Waldwegen und -rändern, sowie in Gärten und Parks. Brombeere und Himbeere sind die alleinige Nahrung der Raupen. Sie fressen nachts und sitzen nur selten offen auf der Pflanze. Am Tag verstecken sie sich am Boden meist in trockenem Laub. Durch ihre orangebraune Färbung mit bis zu drei weißen Seitenflecken ist auch die Raupe leicht bestimmbar. Wer sie finden will, sucht sie am besten nachts mit einer Lampe. Um erfolgreich über den Winter zu kommen, errichten die Raupen eine Behausung aus zusammengesponnenen Blättern. Noch im Herbst verpuppen sie sich dort in einem leichten, braunen Gespinst und überwintern. Erst gegen Ende des Frühjahrs schlüpfen die geschlechtsreifen Falter.
So unterschiedlich die Schmetterlinge in Färbung, Größe und Lebensweise sind, so unterschiedlich sind auch ihre Strategien, mit der kalten Jahreszeit zurecht zu kommen. Doch auch hier ist vieles im Wandel. Gerade der Admiral ist ein gutes Beispiel, dass in der Natur nichts „in Stein gemeißelt“ bleibt. Es wäre naheliegend, Verhaltensänderungen allein mit dem Klimawandel erklären zu wollen. Aber wie immer sind die Prozesse in der Natur komplexer, und die zunehmende Erwärmung ist nur ein Faktor von vielen – die wir noch immer viel zu wenig verstehen.

 

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