Nikola Langreiter

Nikola Langreiter * 1970, Kulturwissenschaftlerin und Lektorin in Lustenau, Projekte und Publikationen zu Tourismus im Alpenraum, Do it yourself, Biografieforschung und Gender Studies.

Für die bessere Gesellschaft? Tourismus auf dem Bödele

August 2020

Das zwischen Dornbirn und Schwarzenberg gelegene Bödele ist heute ein vielbesuchtes Ausflugsziel.
Im Winter bietet es ein Skigebiet für alle – aus ganz Vorarlberg leicht zu erreichen, auch für Tagesausflügler aus dem Bodenseeraum, noch dazu mit verhältnismäßig günstigen Skipässen. Auf zahlreichen Wegen lässt es sich gut wandern, mit und ohne Schnee.

Im Sommer gibt es Heidelbeeren und Pilze und immer lockt die Sonnenterrasse des Berg­hof Fetz. Außer man erwischt einen der nicht gerade seltenen Regentage in diesem niederschlagsreichen Gebiet. Aber das ist ein anderes Thema.
Geologie, Flora und Fauna sind hier erdgeschichtlich besonders interessant, dem Laien fallen aber wohl eher jüngere historische Überreste ins Auge: nämlich ein schwaches Dutzend eng auf einem sanften Abhang gruppierte Hütten. Sie entstanden um 1800 und verweisen zum einen auf die frühere Nutzung des Areals als Gemeinschaftsvorsäß durch Schwarzenberger Bauern. Zum andern führt die kleine private Feriensiedlung zurück in eine Ära als das Bödele eine höchst exklusive touristische Veranstaltung war. Dabei wurzelt die touristische Entdeckung der kleinen Region am Losenpass auch in sozialem Engagement. Und damit war nicht Wohltätigkeit in den eigenen Kreisen gemeint.

Die Entdeckung der Oberlose als Erholungsgebiet

Die Industrialisierung hatte zwar Fabrikanten reich gemacht, die soziale Lage des Proletariats jedoch verschlimmerte sich zusehends. Lehrer und Ärzte beklagten den schlechten Gesundheitszustand vieler Arbeiterkinder. In der Schweiz gründete ein Pfarrer namens Walter Bion eine erste Ferienkolonie; im Sommer wurden dort Kinder aus armen Verhältnissen aufgepäppelt. Bions Idee fand Nachahmer – auch in Vorarlberg. Auf dem Bödele hatte neben den erwähnten Schwarzenberger Bauern der Ammenegger Johann Klocker ein Vorsäß, nebenbei betrieb er eine einfache Ausschank. Der Dornbirner Arzt Leo Herburger brachte Klocker dazu, im Sommer 1887 vier kränkliche Buben aufzunehmen. Die Burschen erholten sich prächtig und Herburger wünschte sich auf der Oberlose einen Kurbetrieb für bedürftige Dornbirner. Er motivierte den Landwirt, ein Gasthaus mit Übernachtungsmöglichkeit einzurichten und vermittelte ihm dazu einen zinslosen Kredit bei seinem Schwager, dem örtlichen Textilfabrikanten Viktor Hämmerle.
Auch den Fabrikanten konnte es nicht egal sein, dass Tuberkulose und andere Mangelkrankheiten ihr Personal schwächten. Vereinzelt begannen sie, ihrer verarmten Belegschaft Genesungs- und Erholungsaufenthalte zu ermöglichen. Der Textilindustrielle Franz Martin Hämmerle, Viktor Hämmerles Vater, hatte ab Mitte des 19. Jahrhunderts schon Grundstücke auf dem Bödele, genauer am Hochälpele, gekauft, um dort seine Tiere zu sömmern. Die Fabrikanten brauchten Fuhrwerke und Dampfmaschinen und waren deshalb auch Land- und Forstwirte. In Dornbirn gehörten sie zu den größten Viehaltern. Außerhalb der Alpsaison schickte die Firma F. M. Hämmerle seit 1892 Arbeiter zur Erholung in die Höhe: drei Wochen bei kräftiger Milchkost und mittags Fleisch. Die Erfahrungen seien so „ermunternd“, hieß es dazu in der Wiener Zeitung vom 7. Juli 1900, dass die Krankenkassen die Kosten dieser Aufenthalte übernähmen. F. M. Hämmerle beschäftigte zu der Zeit 800 Arbeiter und nahezu 1000 Arbeiterinnen. Dazu kamen über 100 Angestellte und Werkmeister.

Otto Hämmerle erfindet das Bödele

Inzwischen hatte ein weiterer der Hämmerle-Brüder Gefallen an dem Landstrich zwischen Dornbirn und Schwarzenberg gefunden und die Idee aufgegriffen, das Gebiet zur Erholung zu nutzen. Otto Hämmerle sollte dieser Idee jedoch eine völlig andere Richtung geben. Er kaufte 1901/02 Stück für Stück das Gemeinschaftsvorsäß Oberlose auf, um es zu einer Ferienanlage umzugestalten. Hämmerle erwarb weitere Grundstücke und Wälder, ließ Wege und Straßen bauen, das Gelände teils trockenlegen und neu bepflanzen. Die Vorsäßhütten waren rasch als Ferienhäuschen adaptiert, die man im Sommer an Bekannte und Verwandte vermietete. Etwas höher gelegen wurde eine Musteralpe mit Sennerei errichtet. Ein zeitgenössischer Beobachter kommentierte 1902 in der Zeitung Vorarlberger Volksfreund: „Zwar meinen viele, es sei dies eine Liebhaberei des Besitzers. Mir kommt vor, daß das Geld, das aufgewendet wird, gar bald sich verzinsen werde.“
1904 verkaufte auch Johann Klocker seinen Oberlose-Besitz mitsamt dem Wirtshaus an Otto Hämmerle. Bezahlt wurden dafür laut Kaufvertrag 24.000 Kronen; ein Arbeiter verdiente in der lokalen Textilindustrie etwa 2,85 Kronen am Tag. Leo Herburgers Wohltätigkeitsprojekt war damit Geschichte. Wenig später konnte er im nahen Maien eine Ferienkolonie nach seinen Vorstellungen gründen. Dennoch bedauerte er zeitlebens, dass ihm das Bödele verloren gegangen war. In seinen Memoiren kommentierte er ein wenig bitter: „Die von Herrn Otto Hämmerle durchgeführten Um- und Neubauten haben wohl einen kapitalskräftigen Mann benötigt, und es ist mit stolzer Genugthuung zu constatieren, daß jetzt das ‚Bödele‘ zur Sommerstation für reichere Familien geworden“. Immerhin unterstützten die „Bödele-Kolonisten“ Herburgers Ferienheim regelmäßig durch Spenden und Benefizveranstaltungen.

 

Die Familienkolonie und andere Bödeledomizile

Lange Zeit war auf dem Bödele der Dornbirner Johann Alois Albrich (1865–1944) der gestaltende Baumeister. Sein Vater Josef Anton Albrich hatte schon die Fabrikantenvillen für Franz Martin Hämmerles Nachfahren unten im Tal geplant. Albrich der Jüngere entwarf das neue Alp­gebäude (heute befindet sich dort die Meierei, zwischenzeitlich um ein Stockwerk verkleinert) und er baute die Oberlose-Vorsäßhütten für die Sommerfrische um. Die Hütten der sogenannten Familienkolonie sollten dabei nach Wünschen des Auftraggebers ihren ursprünglichen Charakter bewahren. Außen blieben sie weitgehend unverändert, die Einrichtung war sehr schlicht. Neben Landhäusern für die Familie Hämmerle plante Albrich mehrere weitere Feriendomizile auf dem Bödele. Und er verantwortete auch die vielen Zubauten zum ehemaligen Gasthaus Johann Klockers, das unter Otto Hämmerles Ägide zum mondänen Alpenhotel Bödele wurde.
„Mein Sport ist das Bödele“, soll Otto Hämmerle immer gesagt haben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Tourismusdestination von einer einzelnen finanzkräftigen Unternehmerpersönlichkeit entdeckt und entwickelt wird. Die breite Vielfalt von Interessen und Geschäften, der Hämmerle auf dem Bödele nachging, scheint hingegen außergewöhnlich – wohl auch für eine Zeit als Mischgewerbe eine Selbstverständlichkeit waren. Zu Hämmerles Bödele-Sport gehörten neben der schon erwähnten Alp- und Milchwirtschaft, die nach modernsten Methoden betrieben wurde, der Forst- und Jagdbetrieb und das Züchten von Fischen im künstlich angelegten Bödelesee. Der Unternehmer fotografierte leidenschaftlich und förderte den Ski- und Rodelsport. Auf zahlreichen Reisen informierte er sich über die gehobene Hotellerie und die internationale Badekultur. In der Familienkolonie ließ er ein Badehäuschen installieren, dessen Warmwasser mit Sonnenkraft erzeugt wurde. Er hatte dieses „Sonnenwasser-Badehäuschen“ selbst geplant und im Jahr 1900 auf der Dornbirner Gewerbeausstellung dem Publikum vorgestellt.
Als Touristiker berücksichtigte Hämmerle von Anbeginn die Bedürfnisse von Kindern. Anstelle einer nicht mehr zu sanierenden, verfallenen Vorsäßhütte wurde ein „Spiel-Haus“ errichtet. Ein solcher Spielplatz war im frühen 20. Jahrhundert an und für sich eine Innovation und erst recht auf über 1000 m Seehöhe. Der Neubau erhielt die Gestalt eines traditionellen Bregenzerwälder Tanzhauses und fügte sich als Zitat regionaler Baukultur bruchlos ins Bödele-Ensemble ein.
Für ein urbanes Flair war hingegen im Alpenhotel gesorgt. Das ehedem einfache Wirtshaus wurde rasch zum luxuriösen Hotel umgestaltet, das jeglichen zeitgenössischen Komfort bot: Zentralheizung, elektrisches Licht, Telefonanschluss, Badezimmer, Billard- und Lesezimmer, Kaffeesalon und Kegelbahn. Ansichtskarten zeigen eindrücklich, wie sich die Hotelanlage immer weiter ausdehnte. Mit dem letzten Zubau bot sie über 80 Betten.
Unter hohem Aufwand hatte man der bäuerlichen Kulturlandschaft ein tourismustaugliches Gepräge gegeben. Im Zuge dieser Entwicklung wurde ein Badesee gegraben, es wurden Alleen angelegt und die benachbarten Landwirte angewiesen, nur zu bestimmten Zeiten zu düngen. Verträge zwischen der Firma Alpenhotel Bödele und den Bauern von der Unterlose regelten, dass weder Bäume noch Bauten die schöne Aussicht verstellen dürfen. Andererseits hielten sie auch fest, dass die Wanderer auf den Wegen bleiben müssen und wo Liegestühle oder Hängematten verboten sind. So kam auch die Vieh- und Milchwirtschaft zu ihrem Recht. 
Das 1938 abgebrannte Alpenhotel Bödele (vgl. „Brandalarm am Bödele“, Thema Vorarlberg März 2018) konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden. Die Zeiten waren schlecht und die unter Beteiligung der Stadt Dornbirn und der Mohrenbrauerei 1940 gegründete Hotelgesellschaft entschied sich für eine bescheidenere Variante. 1949 kaufte man das Landhaus Otto Hämmerle und baute es zu einer Gaststätte um. Mit der Planung wurde der zweite Bödele-Architekt neben Albrich, Hugo Wank, beauftragt. Das Haus führte als Pächter der ehemalige Schwarzenberger Bürgermeister Albert Fetz mit seiner Frau Gertraud. Die beiden sollten sich später mit dem Berghof Fetz selbstständig machen. Für die Hotelgesellschaft blieb das Alpenhotel ohne Rendite. Nachdem Hämmerles Erben und die Mohrenbrauerei aus der GmbH ausgestiegen waren, verkaufte die Stadt den Betrieb 1983 und behielt lediglich einige strategische Grundstücke auf dem auf Schwarzenberger Gemeindegebiet gelegenen Bödele.

Die Ära Girardelli

Das Alpenhotel hatten die Eltern des Skirennläufers Marc Girardelli erworben. In den frühen 1980ern galt der junge Lustenauer als bestverdienender Akteur im Skizirkus; nach Querelen mit dem Österreichischen Skiverband startete er für Luxemburg. Das Bödele kannte der Athlet gut: Seit Kindertagen hatte er dort mit dem Vater trainiert. Der berühmte Name zog Prominenz an und belebte das Alpenhotel nochmals für einige Jahre. Nach der Karriere als Leistungssportler stieg Girardelli in das Familienunternehmen ein. Als das Hotel im Herbst 2001 brannte, zerschlugen sich seine Pläne, dort ein Zentrum für Sporttherapie einzurichten. Das Gebäude blieb über viele Jahre als Brandruine stehen, bevor ein neuer Besitzer es 2013 als Apartmenthotel mit veganem Restaurant revitalisierte.
Heute wirbt das Bödele mit Retro- Charme, Familienfreundlichkeit und günstigen Preisen. Und ist damit wohl wieder innovativ. Dank der Sozialgesetzgebung des 20. Jahrhunderts kann sich heute zumindest einen erholsamen Ausflug aufs Bödele jeder leisten. Auch
Leo Herburger würde das vielleicht freuen.

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