Lidiya Anastasova

Lidiya Anastasova ist Kunstvermittlerin, Kuratorin, freie Autorin und Dozentin an der Universität Konstanz, momentan sesshaft in Berlin. Als Gründerin von laartprojects kooperiert sie mit internationalen Künstler*innen und Kunstinstitutionen. Schwerpunkte ihrer Forschung und Praxis sind aktuelle Fragestellungen zu den Kategorien Gender/Race/Class/Age/Health und Inklusion im zeitgenössischen Kunstkontext. 

HypnoBirthing

September 2020

Ein Weg zur Selbstermächtigung und Selbstbestimmung.
Ein Text über Geburt, nicht nur für Frauen.

Von Lidiya Anastasova aus einem Gespräch mit Claudia Mang

Neulich las ich einen erschreckenden Artikel über Gewalt im Kreissaal1. Darin stand, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Thema 2014 zum Schwerpunkt erklärt hat. Neben körperlicher Misshandlung listet die WHO auch „verbale Beleidigung“, „aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe“ und „grobe Verletzung der Intimsphäre“ als Formen der Gewalt auf. Die hohe Anzahl negativer Geburtserfahrungen formt das kollektive Bewusstsein von Frauen. So verbinden die meisten Geburt hauptsächlich mit Schmerz und Angst. Solche Glaubenssätze prägen stark die (zukünftigen) Erfahrungen der Frauen.
Die Psychologin Ulrike Hauffe, die sich seit den 1970er Jahren mit dem Geburtserleben beschäftigt, sieht das zentrale Problem der Geburtshilfe in der Haltung. Viele Gynäkolog*innen und Hebammen seien der Überzeugung, dass sie die Frauen entbinden2 und die Kinder holen. Dahinter stehe eine patriarchale Form der Medizin mit einer klaren Machtkonstellation: Die Expert*innen wissen, wie es läuft und erklären es der Frau. Dabei sei es genau andersherum: Die Frauen gebären ihre Babys, sie wissen, wie es geht, sie müssen im Mittelpunkt stehen“, so Ulrike Hauffe3. 
„Genau! Ich muss gleich Claudia Mang anrufen“, dachte ich mir sofort, nachdem ich den Text zu Ende gelesen hatte und keine Alternativen zum dargestellten Horrorszenario darin fand. Wir brauchen ein neues Narrativ. Wir wollen positive Geburtsgeschichten, die kraftgebende und lebensbejahende Glaubenssätze formen. 
Claudia Mang ist bildende Künstlerin, die in diversen Medien – von Zeichnung über Skulptur, Malerei bis Rauminstallation arbeitet. Oft beschäftigt sie sich mit feministischen Themen und verarbeitet eigene Erfahrungen des Frau-Seins in ihrer Ganzheit, Komplexität und Vielschichtigkeit. Aktuell sind ihre Arbeiten Teil der Ausstellung „geburtskultur. vom gebären und geboren werden“ im Frauenmuseum Hittisau (bis zum 18. April 2021).
Ihre zwei Geburten mit HypnoBirthing beschreibt sie als „sinnliche, lustvolle, großartige Erlebnisse“. Diese Erfahrung wollte sie anderen Frauen weitergeben und ermöglichen und ließ sich zur zertifizierten HypnoBirthing-Kursleiterin ausbilden. Großzügig und in einer sehr bedachten und plastischen Sprache erzählt mir Claudia über die Philosophie und Praxis der Methode. 
HypnoBirthing vereint Wissen über eine natürliche Geburt, über die Physiologie des Körpers, seine Reaktionen und Funktionen während der Geburt. Wissen ist Macht. Es gibt Frauen mehr Verständnis und dadurch mehr Kontrolle über den eigenen Körper. Führt zu Ermächtigung. „HypnoBirthing ist Hilfe zur Selbsthilfe“, so Claudia. Während des Kurses erschaffen sich die Frauen den Zugang zu dem tiefen Vertrauen, dass Geburt ein normaler, physiologischer Vorgang ist, der reibungsfrei und leicht ablaufen kann.
Über Sprache, Bilder und spezielle Entspannungsübungen wird der Körper für die Geburt vorbereitet und vor allem systematisch trainiert, selbst in der Extremsituation der Geburt zu tiefer Entspannung zu gelangen. Zugleich wird auch der Zugang zum eigenen, inneren Ur-Wissen, dem „Gebär“-Wissen, erleichtert, das jede Frau in sich trägt und das allerdings oft im Zuge der Sozialisation „überschüttet und verbogen“ wird. Auch der*die Vater/Partner*in wird bei der Vorbereitung auf die Geburt integriert und instruiert wie er*sie dabei mitarbeiten kann. Männer berichten über sehr erfüllende Erfahrungen. 

 

Eine neue Wahrnehmung von Geburt verändert die gesamte Geburt.

Marie F. Mongan, Gründerin der HypnoBirthing Methode  

Die Macht der Sprache 

Wehen, Kontraktionen, Schmerz, pressen, entbinden et cetera – das alles sind Wörter aus dem Geburtskontext, die bei den meisten Frauen Assoziationen von Angst und Stress auslösen. Das negativ konnotierte Vokabular wird im HypnoBirthing durch ein neues ersetzt und positiv belegt. So wird die Wehe Welle genannt und in Verbindung mit einer speziellen Atemtechnik Wellenatmung in die Praxis der Entspannung eingesetzt. Das Wort „entbinden“ suggeriert Trennung, dabei ist die Geburt, das Gebären (so im HypnoBirthing Vokabular) eine Fortsetzung der Beziehung zwischen Mutter und Kind, die bereits seit neun Monaten besteht. Die Beziehung der Eltern zum Baby wird im Laufe des Kurses bewusst gestärkt und vertieft. Die Geburt wird außerdem als Team-Work verstanden. Das Baby macht auch mit. Denn eine Geburt ist schließlich Arbeit, buchstäblich labour auf Englisch. 

 

Meist geben Menschen ihre Macht auf, indem sie denken, sie hätten keine.

Alice Walker

Die Macht der Bilder

Durch mentales Training (das eigentlich mit „Hypno“ in der Bezeichnung der Methode gemeint ist) werden positiv konnotierte innere Bilder bezüglich des eigenen Körpers, der Schwangerschaft und der Geburt erschaffen und regelmäßig durch bestimmte Übungen visualisiert. Diese sollen die negativ besetzten (in Verbindung mit Angst und Schmerz) ersetzen. Es ist das Wissen um die Kraft der Gedanken, die unseren Körper steuern. Unser Gehirn reagiert sehr stark auf Bilder. Die Frage ist, welche Bilder wir ihm zur Verfügung stellen? Claudia zeigt den Eltern kurze HypnoBirthing-Dokumentationen, die positive Geburtserfahrungen anderer Frauen vermitteln. „Die Frauen reagieren meist begeistert und erleichtert. Die Vorfreude auf die Geburt steigt“, so Claudia. Etwas ganz Persönliches und Einmaliges sind die Zeichnungen, die sie für jede Frau anfertigt. Diese sind im Einklang mit den ganz individuellen Bedürfnissen und fungieren als visueller Anker für positive Gedanken und Gefühle zur Geburt. 
„Positive Geburtsgeschichten sind eine Seltenheit. Es ist mein Traum und meine Vision, positive Geburtsgeschichten zur Norm zu machen“, sagt Bee Ting Ng in ihrem TED Talk über HypnoBirthing. Ja, das wollen Claudia und ich auch. 
Übrigens: Royals und Stars wie Kate Middleton und Alicia Keys schwören auf HypnoBirthing.

1    Magazin „Emotion“, 06/20, S. 28-32
2    Der Begriff entbinden wird an der Stelle bewusst verwendet.
3    Ebd.

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