J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Mäuse, Bilche & Co. – unsere unbekannten Nachbarn

April 2023

Auf der biologischen Landkarte Vor­arlbergs sind etliche Tiergruppen unterrepräsentiert. Wenig attraktive und vor allem schwer bestimmbare Familien der Wirbellosen finden kaum Naturinteressierte, die sich ihrer Erforschung widmen – selbst wenn diese Tiere groß genug sind, um sie leicht fangen zu können. Bei den Wirbeltieren erscheint die Situation einfacher. Sie sind groß und meist leicht zu bestimmen, und sie erfreuen sich einer gewissen Beliebtheit. Großsäuger aus Landwirtschaft und Jagd sowie Fische sind vor allem am Teller gerne gesehen, und unter den kleineren wild lebenden „Wirblern“ haben die Vögel eine große Fangemeinde – sei es, dass sie im Winter für Leben im Garten sorgen, sei es, dass Hobby-Ornithologen regelrechte Wettkämpfe veranstalten, wer am meisten und wer die seltensten Arten gesehen hat. Auch über die Lurche und Kriechtiere im Ländle wissen wir gut Bescheid. Ein ganz anderes Bild bieten die Kleinsäuger: Zu den Nagetieren und Insektenfressern gibt es kaum Verbreitungsdaten: Ganze 31 Fundnachweise zum Maulwurf sind in der Datenbank der inatura vermerkt. Ebenso wenige Funde wurden am Naturhistorischen Museum in Wien dokumentiert. Ein mageres Bild, findet man doch Maulwurfhügel auf fast jeder Wiese. Nur geringfügig besser ist die Datenlage bei der Hausmaus: Hier gibt es immerhin 97 Nachweise, von denen der Hauptteil (76 Datensätze) vom Naturhistorischen Museum Wien erhoben wurde. Selbst beim allseits beliebten Igel finden kaum Beobachtungsmeldungen Eingang in die wissenschaftlichen Datenbanken. Plattgewalzte Verkehrsopfer werden als vermeintlich uninteressant ignoriert, und die (gut gemeinte, aber oftmals nicht notwendige) Überwinterungshilfe fördert lediglich die Verzerrung der Verbreitungskarte, wenn im Frühjahr zu viele Tiere – alle im selben Gebiet – weitab ihres ursprünglichen Lebensraums wieder „in die Freiheit entlassen“ werden. Die kleineren Nagetiere wiederum werden ungeachtet der Art unter dem Überbegriff „Maus“ subsummiert. Ihre Dezimierung überlässt man der Katze, aber Katzen kümmern sich nicht darum, welche Art sie gerade verspeisen. Anders ausgedrückt: Die Kleinsäuger in Vorarlberg haben sich bisher einer Dokumentation und Erforschung erfolgreich entzogen.
Vordergründig könnte man Mäuse & Co. als Lästlinge und Vorratsschädlinge und den Rest als nettes Beiwerk zu unserer Umgebung abtun. Doch der Schein trügt: Auch die Kleinsäuger sind ein unverzichtbarer Teil in der ökologischen Vielfalt, von der letztendlich auch das Überleben der Menschheit abhängt. Und wie alle Lebewesen stehen auch die Kleinsäuger in ihrem Kampf ums Dasein vor immer neuen Herausforderungen. Die Bedrohungen sind überall dieselben: Der Flächenverbrauch und damit verbunden der Verlust an Lebensraum schreitet unvermindert voran, und der Klimawandel hat massive Auswirkungen auf die Tiere: Die immer milderen Winter beeinflussen den Winterschlaf der Bilche, und bei Igel, Maulwurf und Spitzmaus führt das Insektensterben zu Nahrungsmangel. Aber auch positive Entwicklungen gibt es: Die Abkehr von monotonen Fichtenplantagen zurück zu naturnahen Mischwäldern fördert auch die in ihnen wohnenden Kleinsäuger. Doch wie wollen wir all diese Veränderungen dokumentieren, wenn nicht einmal die Ausgangslage bekannt ist? Eine fachlich fundierte Grundlagenerhebung zur aktuellen Situation ist unumgänglich und ein Gebot der Stunde.
Dass solch eine Grundlagenerhebung minutiös geplant sein will, versteht sich von selbst. Denn Kleinsäuger sind meist nachtaktiv, und sie leben sehr versteckt. Damit sind sie für uns nur schwer fassbar. Anders als bei den Wirbellosen können die Tiere nicht durch Licht angelockt und/oder in Fallen gefangen werden. Und jedes Tier zu Dokumentationszwecken zu erlegen, wäre ein denkbar falscher und den Zielen der Studie zuwiderlaufender Weg. Systematische Erhebungen durch Fachleute sind nur ein Teil des nun anlaufenden Forschungsprojekts der inatura. Dabei sollen strategisch platzierte Wildtierkameras die Tiere fotografieren. Künstliche Wohnröhren dienen dazu, Siebenschläfer, Gartenschläfer und Haselmaus anzulocken und so ihr Vorkommen dokumentierbar zu machen. Augenmerk liegt auch auf der Auswertung der Gewölle von Greifvögeln: Diese herausgewürgten Ballen aus unverdaulichen Nahrungsresten enthalten genügend Hinweise darauf, wer dem Vogel zum Opfer fiel. Und nicht zuletzt hinterlassen die Kleinsäuger selbst auswertbare Spuren, etwa in Form von angenagten Nüssen. Die Erhebungen sollen an repräsentativen Orten in insgesamt fünf ausgewählten Lebensraumtypen stattfinden. Doch welche Methodik wo angewandt wird, hängt von der zu erwartenden Tierart ab. Hier ziellos „ins Blaue hinein“ zu forschen, wäre eine sinnlose Geldverschwendung. Vor den Detailerhebungen gilt es, einen Überblick darüber zu gewinnen, in welchem Landesteil die jeweiligen Tierarten überhaupt vorkommen. Und dabei sind Sie, liebe Leserin und lieber Leser, gefragt. Dokumentieren Sie – wo immer dies gefahrlos möglich ist – Totfunde auf der Straße mittels Fotos. Fotografieren sie Eichkätzchen, Igel und Mäuse im Garten. Und auch Bilder von Katzenopfern können wertvolle Informationen liefern. Die inatura hat dafür eine eigene Projektseite eingerichtet: Unter www.laendlemaus.at erfahren Sie alles über die in der Studie berücksichtigten Tierarten, und natürlich gibt es auch ein Meldeformular für die beobachteten Tiere. Sie leisten dadurch einen sinnvollen Beitrag zur Erforschung der Natur Vorarlberg. Wir freuen uns über jede Beobachtungsmeldung.

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