Michael Rauch

geb. 1961, Kinder- und Jugendanwalt seit 2002, zwei erwachsene Kinder

(Foto: © Marcel Hagen)

Mobbing in der Schule Ursachen – Prävention – Intervention

Juni 2017

Mobbing ist – was Häufigkeit und Auswirkungen betrifft – immer wieder Gegenstand und Thema medialer Berichterstattung und fachlicher Auseinandersetzung. Mobbing in der Schule, in und mit sozialen Medien, am Arbeitsplatz – kaum ein anderes Thema betrifft so viele Menschen und kann vor allem so gravierende Folgen für Betroffene haben. Neben individuellen Auswirkungen und Folgen sind auch volkswirtschaftliche Kosten nicht unbedeutend, gilt doch Mobbing als bedeutender Faktor bei Schulverweigerung und Schulabbruch. Gemeinsam mit schulunterstützenden Institutionen wie beispielsweise Schulsozialarbeit, Beratungs- und Betreuungslehrern oder offener Jugendarbeit hat sich auch die Kinder- und Jugendanwaltschaft mit dieser Thematik auf inhaltlicher und struktureller Ebene auseinandergesetzt und Handlungsbedarf an die Politik formuliert. Ein Positionspapier, auf welches sich dieser Beitrag im Wesentlichen bezieht, wurde an die Vorarlberger Landesregierung übergeben.

Was Mobbing ist

Mobbing tritt meist über einen längeren Zeitraum auf und richtet sich ganz systematisch gegen eine bestimmte Person und bedeutet die soziale Ausgrenzung einer Person als Ziel. Wo gemobbt wird, benutzen die Täter ein vorhandenes Machtgefälle, um einer unterlegenen Person bewusst und systematisch über einen längeren Zeitraum Schaden zuzufügen. Mobbing bedeutet daher Abbruch der Beziehung und das Ausleben eigener Machtfantasien auf Kosten des anderen. Betroffene von Mobbing erleben sich als hilflos und ausgeliefert, weil sie den Grund für die Peinigungen nicht verstehen oder aufgrund von beliebigen persönlichen Merkmalen zu Objekten dieser Art von sozialer Gewalt werden. Es fällt ihnen schwer, sich den Mobbinghandlungen entgegenzustellen, zumal sie von der Gruppe selbst keine direkte Hilfe zu erwarten haben. Dies gilt auch für das Phänomen Cybermobbing: Betroffene Kinder sind nicht nur der Täterschaft selbst, sondern auch der Eigendynamik des Mediums Internet ausgeliefert. Die Hilflosigkeit des Opfers macht darüber hinaus allen Beobachtenden, Duldenden und der Mittäterschaft bewusst oder unbewusst Angst: Es gibt offensichtlich kein Entkommen! Es gilt daher, klare Haltungen zu Mobbing aufzubauen und bei Auftreten von Mobbingmustern entschlossen und wirksam zu intervenieren.

Viele Betroffene

In der HBSC-Studie des Österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit von 2010 gaben 38,3 Prozent der Schüler im Alter von elf bis 17 Jahren an, in den letzten Monaten Opfer von Mobbing gewesen zu sein. Im Vergleich zu 35 europäischen Ländern liegt Österreich damit im oberen Drittel. In derselben Studie sehen 48,8 Prozent der Schulleitungen Mobbing als Problem an der Schule an. 27 Prozent der Schulen führen diesbezüglich routinemäßige Maßnahmen durch. Zusammenfassend wird von den Autoren festgehalten, dass diese Bemühungen berechtigt sind und intensiviert werden sollten. Die OECD-Studie „Skills for Social Progress: The Power of Social and Emotional Skills“ – veröffentlicht am 10. März 2015 – stellt fest, dass in Österreich mehr als einer von fünf Buben (21,3 Prozent) im Alter von elf bis 15 Jahren in den vergangenen zwei Monaten zumindest zwei Erfahrungen mit „Bullying“ in der Schule gemacht hat.

Es wurden 27 Länder untersucht. Österreich weist einen fast doppelt so hohen Anteil an männlichen Mobbingopfern (elf bis 15 Jahre) im Schulumfeld auf als der OECD-Schnitt mit elf Prozent und belegt damit den ersten Platz in der OECD-Opferstatistik. Die niedrigste „Bullying“-Rate gibt es übrigens in Schweden mit nur vier Prozent. Spezifische Zahlen für Vorarlbergs Schulen liegen bis dato nicht vor. Im Projektbericht „Schule der 10- bis 14-Jährigen in Vorarlberg“ wird allerdings festgestellt, dass 13 Prozent der Eltern von Kindern an Neuen Mittelschulen und AHS angeben, dass schon einmal auf ihr Kind Druck durch andere Schulkinder ausgeübt wurde beziehungsweise dass Mitschüler Angst verbreitet hätten. Ebenso wird von den befragten Eltern bestätigt, dass das soziale Klima an einer Schule, die Beziehungen zwischen Lehrpersonen und der Schülerschaft sowie der Umgang der Schüler untereinander großen Einfluss auf Lernfreude, Lernerfolg und Selbstwert der Kinder haben.

Die Gesellschaft

Unbestritten ist, dass mehrere und unterschiedliche Faktoren Mobbing auslösen und begünstigen.  Es gibt keine einfache Ursachen-Wirkung – Zusammenhänge und die jeweiligen Fälle unterscheiden sich zum Teil erheblich. Wachsende soziale Unterschiede und die neuen Medien bergen neue Risikofaktoren für ein Phänomen, das nicht erst in den letzten Jahren entstanden ist. Grundsätzlich kann Mobbing an jedem Ort entstehen, an dem Menschen regelmäßig zusammenkommen – vor allem Arbeitsplatz und Schule – und Gewalt direkt oder indirekt gefördert, tabuisiert oder verharmlost wird. Verstärkend wirken Erfahrungen, wenn sie durch rücksichtsloses Verhalten zum Ziele oder keine Grenzen gesetzt werden. Die Einstellung zur Gewalt, der Umgang damit und das Wissen darüber haben entscheidenden Einfluss auf die Entstehung und Vermeidung von Mobbing.

Verantwortung der Schule

Mobbing hat negativen Einfluss auf die Lernleistung, das Sozialverhalten, die Motivation zum Schulbesuch sowie die Lebensqualität im Allgemeinen und kann schwerste seelische Folgen nach sich ziehen, die betroffene Menschen oft ein Leben lang beeinträchtigen. Besonders schwer aus der Sicht des Opfers wiegt, wenn Mobbinghandlungen von der Lehrperson selbst ausgeführt oder von ihr offensichtlich geduldet werden. Mobbing nicht vorzuleben, nicht zu ermöglichen und nicht zu dulden ist daher ein zentraler institutioneller Verantwortungsbereich jeder einzelnen Schule. Diese Verantwortung kann der Schule und den in ihr tätigen Lehrpersonen von keiner außenstehenden Fachperson abgenommen werden. Der Schutz des Kindeswohles und die Wahrnehmung des Bildungsauftrages, der eine soziale, kognitive und praktische Kompetenzvermittlung gleichermaßen umfasst, sind Kernaufgaben der Schule selbst. Sensibilität, Klarheit und Kompetenz von Lehrpersonen bei Mobbing werden von Eltern und Kindern erfahrungsgemäß besonders hoch geschätzt.

Schulische Grundhaltungen

Um Mobbing präventiv ebenso wie im Akutfall begegnen zu können, helfen verbindende und verbindliche schulische Grundhaltungen. Sie zeigen sich in der Gestaltung relevanter Merkmale der Lernumwelt, die als Ausdruck eines positiven Klimas in der Klasse beziehungsweise der Schule gesehen werden können. Dazu gehören ein durch Wertschätzung, Unterstützung und Gerechtigkeit geprägter kooperativer Umgang der Lehrpersonen mit den Schülern. Ebenso wichtig ist eine durch Regelklarheit, Aufgabenorientierung und Disziplin geprägte Klassenführung. Die Förderung von positiven sozialen Beziehungen der Schülerschaft untereinander und ein wertschätzender Umgang zwischen allen Schulpartnern – Lehrern, Eltern und Schülern – sollten selbstverständlich sein.

Was brauchen Kinder und Jugendliche?

Neben der beschriebenen Schulkultur ist die Rolle der Eltern nicht zu unterschätzen. Sie geben Kindern Orientierung, Schutz und Sicherheit. Sie ermöglichen Freiräume und das Erproben von Selbstwirksamkeit und stehen für Bindung, Liebe und Resonanz. In Beziehung sein und einen respektvollen Umgang zu pflegen, verringert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind zum Täter wird oder selbst Gewalt erleidet. Und wenn dies doch der Fall ist, wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Eltern Veränderungen wahrnehmen, unterstützen und handeln. Insbesondere bei Mobbing in der Schule ist die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrpersonen unerlässlich.

Verbesserungsbedarf

Mehrfach hat die Kinder- und Jugendanwaltschaft darauf hingewiesen, dass es vielfach dem Zufall überlassen bleibt, wie einzelne Schulen – insbesondere im präventiven Bereich – mit Mobbing umgehen und welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Sowohl schulintern als auch in Kooperation mit unterstützenden und ergänzenden Systemen gibt es derzeit erhebliche regionale und standortbezogene Unterschiede. Eine flächendeckende und abgestimmte Präventionsarbeit ist erforderlich, wobei die Mittel der Kinder- und Jugendhilfe dort einzusetzen sind, wo der Bedarf nachgewiesenermaßen am größten ist. Die Erarbeitung der erforderlichen Daten – Stichwort „Brennpunktschulen“ – sollte durch ein derzeit laufendes Projekt in absehbarer Zeit möglich sein. Ebenso sollte auf das von verschiedenen Institutionen erarbeitete Positionspapier zum Thema Mobbing bei den weiteren Umsetzungsschritten Bezug genommen werden. Die Abstimmung und Finanzierung von Maßnahmen sollte zwischen den Ressorts Schule und Soziales erfolgen, damit die im Regierungsprogramm formulierte Ankündigung von notwendigen Verbesserungen auch tatsächlich umgesetzt wird.

 

Hilfe und Unterstützung

Informationen zu schulunterstützenden Angeboten (Beratungs- und Betreuungs­lehrer, Schulsozialarbeit, Schulpsychologie)
Landesschulrat für Vorarlberg,
Bahnhofsstr 12, 6900 Bregenz, T 05574 4960

Beratung und Information

Institut für Sozialdienste: www.ifs.at
Kinder- und Jugendanwaltschaft: www.vorarlberg.kija.at

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