J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Versteinerte Pflanzen als Zeugen tropischen Klimas und eines flachen Meeresbeckens

Juli 2021

Es sind glückliche Zufälle, wenn Pflanzenreste im Gestein konserviert über Jahrmillionen erhalten bleiben: Pflanzenmaterial verrottet und ist damit nicht wirklich erhaltungsfähig. Erst wenn Wurzeln, Blätter und Äste rasch unter Luftabschluss kommen und dem zerstörenden Einfluss von Sauerstoff und damit den zersetzenden Mikroben entzogen werden, besteht eine Chance auf fossile Überlieferung. Es sind glückliche Zufälle, wenn versteinerte Blätter von naturwissenschaftlich interessierten Menschen entdeckt, geborgen und der Forschung zugänglich gemacht werden.
In Vorarlberg gewährt in erster Linie der Abtragungsschutt der jungen Alpen einen Einblick in die Pflanzenwelt vergangener Zeiten – Zeiten, in denen das Klima völlig anders war, Zeiten, als das Meer den damaligen Nordrand der Alpen umspült hat. Die inatura besitzt eine reichhaltige Sammlung von Pflanzenfossilien aus der geologisch jüngsten Vergangenheit unseres Landes. Die Mehrzahl der Funde konzentriert sich auf wenige (ehemalige) Steinbrüche an der Bregenzerach und im Schwarzachtobel. Dennoch: Wer glaubt, versteinerte Blätter in großer Zahl aufsammeln zu können, wird enttäuscht. Museumsgründer Siegfried Fussenegger hat seine Fossilien über lange Jahre zusammengetragen. Und dies in einer Zeit, als in den Steinbrüchen noch sehr viel von Hand gearbeitet wurde. Sicher wird er den Arbeitern auch das eine oder andere Bier in Anerkennung für besonders schöne und interessante Exemplare spendiert haben.
Zu den spektakulärsten Museumsstücken gehören die Blattwedel von Fächerpalmen. Freilich sind sie nie vollständig erhalten. Der Blattstiel ist abgebrochen, und auch die Fächerstrahlen liegen nur fragmentarisch vor. Dennoch geben die Überreste einen Eindruck von der beeindruckenden Größe der ehemaligen Palmwedel. Der Größe verdanken diese Pflanzen auch ihren wissenschaftlichen Namen Sabal major – „major“ heißt schlicht „der/die/das Größere“. „Sabal“ wiederum benennt die Gattung. Die Herkunft dieses Namens ist unklar, und der Zusammenhang mit einer indigenen Sprache Südamerikas bleibt spekulativ. Zur Gattung Sabal werden 17 heute noch lebende Arten gezählt. Sie alle sind auf die tropischen und subtropischen Regionen Amerikas beschränkt: Von den südlichen Staaten der USA am Atlantik und Golf von Mexiko, über die Karibik, Mexiko und Zentralamerika bis nach Kolumbien und Venezuela erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet. Dazu kommt eine gute Handvoll ausgestorbener Arten. Waren diese einst auch in Europa zu finden, so ist die Gattung Sabal heute in freier Natur aus der „Alten Welt“ verschwunden. Nur reimportiert als Zierpflanzen können ihre Vertreter im südlichen Europa gelegentlich angetroffen werden.
Andere Pflanzenfossilien sind weniger auffällig. Gattungsnamen wie Quercus (Eiche) und Rhamnus (Kreuzdorn) lassen Assoziationen zu heute in Österreich wachsenden Gewächsen aufkommen. Cinnamomum (Zimtbaum) hingegen verweist auf asiatische Länder, und Flabellaria ist heute mit nur einer einzigen Art im tropischen Afrika weit verbreitet. So divers die Herkunft der lebenden Verwandten all dieser fossilen Blätter Vorarlbergs auch sein mag, eines ist ihnen allen gemeinsam: Es sind wärmeliebende Pflanzen, die zu ihrem Gedeihen zumindest subtropische Bedingungen brauchen. Wir dürfen annehmen, dass ähnliche Verhältnisse vor etwa 28 bis 30 Millionen Jahren auch „hierzulande“ geherrscht haben.
Ja, das „hierzulande“ steht zu Recht in Anführungszeichen. Denn vor 30 Millionen Jahren waren die Alpen erst in Ansätzen vorhanden. Als Mittelgebirge vermittelten sie zwischen dem Rest des Tethys-Ozeans im Süden und einer Vorsenke im Norden gegen das (geologisch) eigentliche europäische Festland. Der über weite Bereiche als afrikanisch anzusehende Alpenkörper war bereits auf Europa aufgeschoben. Seine Auflast bewirkte ein Absinken des Südrandes Europas. In diese Senke konnte Meerwasser eindringen, doch gleichzeitig wurde sie mit dem Abtragungsschutt der jungen Alpen, der Molasse, aufgefüllt. Im zweifachen Wechsel von Meeres- zu Süßwasserablagerungen ist dieses Geschehen dokumentiert. 
Unsere Pflanzenfossilien stammen aus dem ersten Zyklus, aus der Unteren Meeresmolasse. Diese Gesteinsabfolge startet mit landfernen, feinkörnigen Ablagerungen: Nur feiner Schlamm wurde von Wellen und Meeresströmungen in tiefere Beckenbereiche verfrachtet. Das grobe Geschiebe hingegen blieb an den Flussmündungen liegen. Sehr langsam wurde das Meeresbecken verfüllt, und erst mit der Zeit wurden die tonigen Ablagerungen immer häufiger von Sandlagen unterbrochen. Aber Sand kann nur in Ausnahmefällen den Küstenbereich verlassen. Stürme sind solch eine Transporthilfe. Sie wühlen den Meeresgrund an der Küste auf, und bevor sich der Sand wieder ablagern kann, wird er vom Strand weg ins offene Meer verfrachtet. Sturmbedingte Sandlagen zeigen ganz charakteristische Strukturen, die eine eindeutige Zuschreibung zu diesem Transportmechanismus möglich machen. Mit der weiteren Auffüllung des Meeresbeckens verlagerte sich nun auch die Küste gegen Norden, weg von den jungen Alpen. Das Meer verflachte. Der Sandanteil nahm zu, und der Seegang formte den Sand zu Rippeln. Es folgen massive Sandsteinbänke. Sie verdanken ihre Entstehung Schichtfluten als Folge von wolkenbruchartigen Regenfällen. Schließlich stellten sich lagunäre Verhältnisse ein: In geschützten Bereichen nahe der Küste kam wieder vermehrt toniges Material zur Ablagerung, gelegentlich unterbrochen von Sandlagen. Es sind diese Bereiche, die vermehrt Pflanzenmaterial führen – meist als inkohltes Pflanzenhäcksel, selten aber als Abdrücke ganzer Blätter im Sand. 
Die langsame Auffüllung der Vorsenke und das Vorrücken der Küste ist somit in der Gesteinsfolge festgehalten. Die Küstennähe aber wird durch das überlieferte Pflanzenmaterial bezeugt. Im Zuge eines Forschungsprojekts werden die fossilen Blätter der inatura derzeit fotografisch dokumentiert und neu bestimmt.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.