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„Ist derjenige der Glücklichste, der im Überfluss lebt?“
Heinz Bertolini (79), der Gründer des Montagsforums, über den Erfolg seiner Einrichtung, die Notwendigkeit des ganzheitlichen Denkens – und seinen Wunsch, ein solches Forum auch einer jüngeren Generation in Vorarlberg anbieten zu können.
2003 gegründet, ist das Montagsforum mittlerweile eine Institution in Vorarlberg geworden. 800 Plätze sind vergeben, 400 Personen stehen auf der Warteliste. Macht Sie dieser Zuspruch stolz?
HEINZ BERTOLINI: Ich würde nicht von Stolz sprechen. Es spricht für Vorarlberg, dass es eine so große Nachfrage nach diesen interessanten Themen und Vorträgen gibt. Und natürlich stellt sich die Frage, wie wir all jenen eine Teilnahmemöglichkeit bieten können, für die wir momentan keinen Platz haben. Das ist ein Auftrag für die Zukunft.
Das Montagsforum verfolgt ja mehrere Ziele …
Einerseits vermitteln wir Bildung, wobei es nicht nur um Wissen geht – das kann man alles bei Wikipedia herunterladen –, es geht auch um Kultur, Bildung des Geistes und, wie es Humboldt so schön formulierte, um Ausbildung und Vervollkommnung der Persönlichkeit. Andererseits ist uns die Pflege sozialer Kontakte ein großes Anliegen. Und wenn das in einem von Geist und Kultur geprägten Ambiente geschieht, führt es auch zur Verbesserung der Lebensqualität.
Die Pflege sozialer Kontakte, heißt es in einer Eigendefinition des Montagsforums, sei in Zeiten ansteigender Isolation älterer Menschen hochaktuell.
Die Isolation älterer Menschen ist ein Problem der Wohlstandsgesellschaft und der gestiegenen Lebenserwartung, besonders in Ballungszentren. Unsere relativ offene Siedlungsweise im Land mit noch intakten familiären Banden ist ein Schutz gegen Isolation und Vereinsamung.
Führten Ihre eigenen Erfahrungen zur Gründung des Montagsforums?
Ja. Ich habe ursprünglich in Wien Wirtschaft studiert und mich 40 Jahre später dann in Bamberg noch dem Studium der Theologie, Geschichte und Islamistik zugewandt. Ohne das zweite Studium hätte es das Montagsforum vielleicht niemals gegeben. Denn mir ist damals, im Rahmen des Studiums in Bamberg, immer klarer geworden, dass in unserer Gesellschaft eine Überbetonung und Überbewertung des Ökonomischen vorherrscht und Ethik vielfach nicht berücksichtigt wird. Das aber wäre wichtig, genauso wie auch kulturelle und gesellschaftliche Aspekte miteinbezogen werden müssen. Es ist Sinn und Zweck unseres Montagsforums, den Menschen das Wesentliche nahezubringen und so zu versuchen, den Sinn des Lebens zu finden und zu gestalten. Der Sinn des Lebens liegt nicht nur im Konsum oder im Aktionismus. Man muss sich selbst finden und darf nicht alles den Finanzen unterordnen. Natürlich ist ein geordnetes finanzielles Leben ein wesentlicher Punkt angesichts der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich. Aber man muss sich schon die Frage stellen, ob nun derjenige, der im Überfluss lebt, wirklich der Glücklichste ist, oder ob er ein Sklave des Monetären ist und wenig Zeit darauf verwendet, sein Leben so zu gestalten, dass es ihm selbst Sinn bringt und auch die Mitmenschen erfreut.
Laufen wir den falschen Idealen nach? Fand da ein gesellschaftlicher Umbruch statt?
Gesellschaftliche Umbrüche gab und gibt es allerorten, in der Politik, in Wirtschaft und Kultur, in der Ausbildung, in den Religionen, im Sport, in Familien und Beziehungen, um nur einige zu nennen. Es sollte jeder aber für sich entscheiden, welche Ideale für sein Lebensmuster Gültigkeit haben.
Wären Sie für eine eigene Universität in Vorarlberg zu begeistern?
Nein. Wenn ich studieren will, dann muss ich hinaus, dann muss ich hinaus in eine mir unbekannte Welt, muss neugierig sein, um andere Menschen und andere Mentalitäten kennenzulernen. Die jungen Menschen haben heute, im Gegensatz zu früheren Zeiten, alle Möglichkeiten, die Welt zu sehen und Neues kennenzulernen, Traditionen und Mentalitäten in allen Kontinenten. Dieses Wissen bringen die Jungen mit zurück und tragen auch zur Internationalisierung unseres Landes bei. Und sie öffnen gleichzeitig auch ihren eigenen Horizont.
Wäre ein Montagsforum auch für die jüngere Generation in Vorarlberg denkbar?
Auch wenn ich in meinem Alter da nicht mehr der richtige Ansprechpartner bin, wäre es mein großer Wunsch, auch einem jüngeren Publikum interessante Themen anbieten zu können. Möglich wäre das mit unseren jüngeren Vorstandsmitgliedern und mit aktiven Initiatoren. Wir wollen auch die jüngere Generation ansprechen.
Im Rahmen des Montagsforums traten eine Vielzahl renommierter Redner auf. Welcher hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Bei unserer inzwischen sehr großen Zahl an international bekannten Referenten fiele es mir schwer, einzelne herauszuheben. Da sollten Sie unser Publikum fragen, da wird jeder seinen eigenen Favoriten haben. Ein Zitat des deutschen Soziologen Heinz Bude möchte ich aber nennen. Bude hat gesagt: „Bildung ist wichtig, aber nicht alles.“
Das Zitat irritiert – gelinde gesagt.
Nein. Bude spricht von einer Tatsache – dass sozialer Aufstieg immer auch über die Schiene der Bildung funktioniert –, Bildung allein aber noch keinen sozialen Aufstieg garantiert, und dass es ein Dilemma und ein Irrglaube ist, zu meinen, alle Probleme mit Bildung lösen zu können. Ich interpretiere Budes Aussage so: Es braucht immer auch das Engagement und den Willen des Einzelnen, Bildung allein reicht nicht. Es muss jeder auch selbst etwas beitragen. Bildung ist nur das Rüstzeug. Was man daraus macht, ist aber jedem selbst überlassen.
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